Mehr als ein Jahr nach dem Anschlag auf die Crocus City Hall in Moskau verschlechtert sich die Lage der Migrant:innen aus Zentralasien in Russland drastisch. Repressive Maßnahmen, Polizeirazzien und der Druck, der russischen Armee beizutreten, nehmen zu.
Diskriminierung gegenüber Menschen aus Zentralasien gab es in Russland schon immer. Nach den Anschlägen auf die Crocus City Hall am 22. März 2024 hat sie jedoch neue Ausmaße erreicht. Tadschikische Staatsbürger, die vom Islamischen Staat – Khorasan (afghanischer Zweig des IS, der auch in anderen Ländern Zentralasiens aktiv ist, N. d. Ü.) rekrutiert worden waren, hatten den Anschlag verübt, bei dem 145 Menschen getötet und 550 verletzt wurden.
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Infolgedessen ergriff die russische Regierung zahlreiche offizielle und inoffizielle Maßnahmen gegen die zentralasiatischen Migrant:innen.
Ortung von Migrant:innen in Moskau
Im Juni 2025 hat das Parlament ein neues Gesetz verabschiedet: Migrant:innen in der Hauptstadt und ihren Vororten müssen ab dem 1. September 2025 eine App installieren, die die Verfolgung ihres Aufenthaltsortes ermöglicht. Ziel des Gesetzes sei es, die Kriminalität unter zentralasiatischen Migrant:innen zu reduzieren. Wer die Regel nicht beachtet, wird auf eine Liste gesetzt, und ist von einer Abschiebung durch die Regierung bedroht.
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Als vereinsgetragene, unabhängige Plattform lebt Novastan vom Enthusiasmus seiner ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen – und von eurer Unterstützung!Das Gesetz zur „digitalen Verfolgung” von Migrant:innen gehört zu einem weitreichenden Anti-Migrant:innen-Kurs der russischen Regierung. Ein aktueller Bericht der NGO Human Rights Watch (HWR) stellt fest: „Razzien, willkürliche Verhaftungen, längere Haftstrafen und Massenausweisungen wegen geringfügiger Vergehen sind häufiger geworden. Viele [Migrant:innen] werden willkürlich für mehrere Tage auf Flughäfen festgehalten und anschließend ohne Erklärung ausgewiesen”.
Die Abschiebungen haben in der Tat zugenommen: Im ersten Halbjahr 2024 gab es laut HWR fast 85.000 Abschiebungen und damit doppelt so viele, wie im gleichen Zeitraum des Vorjahres.
Razzien durch Polizei und Bürgerwehr
Bürger:innen aus Zentralasien sind außerdem wiederholt brutalen Razzien ausgesetzt. Dabei kommt es zu willkürlicher Gewalt, polizeilichen Übergriffen und Demütigungen, so auch am 10. April 2025 in Moskau. Ein von Radio Free Europe veröffentlichtes Video zeigt einen gewaltsamen Polizeieinsatz in einem öffentlichen Bad: Die Polizei schlägt dutzende kirgisischer Staatsbürger brutal zu Boden, zwingt sie, durch einen Raum zu kriechen und sich zusammenzudrängen. Auf der Aufnahme sind außerdem Mitglieder einer Bürgerwehr zu sehen, die sich am Einsatz beteiligen. Sie tragen zivile Kleidung, Masken und Armbinden mit der Aufschrift „Druzhinnik” (eine Art freiwillige Bürgerwehr).
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Anfang Mai wurde, wiederum in der Hauptstadt, eine ähnliche Razzia von Überwachungskameras aufgezeichnet. Auch dort werfen russische Sicherheitskräfte Migranten aus Zentralasien in einem Café zu Boden und schlagen sie.
Zentralasiatische Bürger an der ukrainischen Front
Neben Razzien, Abschiebungen und Massenüberwachung sind Migrant:innen aus Zentralasien zudem Rekutierungsversuchen durch die russischen Behörden ausgesetzt. The Times of Central Asia berichtet, dass Migranten, oft aus prekären Verhältnissen, regelmäßig lukrative Kurzzeit-Arbeitsangebote für ihre Dienste in der Armee erhalten. Nicht selten werden sie aber auch irregeführt oder sogar bedroht, damit sie sich den russischen Bataillonen im Krieg gegen die Ukraine anschließen.
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Die Rekrutierungsmaßnahmen zeigen Erfolg: Nach Angaben von Alexander Bastrykine, dem Leiter des russischen Untersuchungskomitees, sollen etwa 20.000 Soldaten aus Zentralasien an der ukrainischen Front im Einsatz sein.
Die „anti-migrantische” Stimmung in Russland könnte Menschen aus Zentralasiens zunehmend davon abhalten, ins Land zu kommen. Laut Radio Free Europe sind bereits fast drei Viertel der Cafés und Restaurants, die auf Arbeitskräfte aus Zentralasien angewiesen sind, davon betroffen.
Vladimir Przybylinski für Novastan
Aus dem Französischen von Giulia Manca
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Die Bedingungen für Migrant:innen aus Zentralasien verschärfen sich weiter