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Fotoreise durch Turkestan: Ethnographische Fotografien des 19. und 20. Jahrhunderts

Die ethnographische Fotoreise führt quer durch das historische Turkestan und bildet verschiedene historische Städte wie Buchara, Chudschand, Chiwa und Samarkand ab. Die Fotografien stammen aus dem Archiv Munawar Mamadnazarows und zeigen ethnographische Abbildungen der lokal ansässigen, städtischen Bevölkerung aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert.

Fotografien aus dem Bildarchiv Munawar Mamadnazarows

Die ethnographische Fotoreise führt quer durch das historische Turkestan und bildet verschiedene historische Städte wie Buchara, Chudschand, Chiwa und Samarkand ab. Die Fotografien stammen aus dem Archiv Munawar Mamadnazarows und zeigen ethnographische Abbildungen der lokal ansässigen, städtischen Bevölkerung aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert.

Im Privatarchiv [des Architekturwissenschaftlers – Anm. d. Red.] Munawar Mamadnazarows befinden sich Abzüge verschiedener bekannter und weniger bekannter Fotografen, die im 19. und frühen 20. Jahrhundert die Regionen Zentralasiens bereisten. Die besagten Fotografien sind Thema dieses Artikels.

Das Fotoalbum „Turkestan“

Nachdem die zentralasiatischen Territorien, darunter die Emirate Buchara und Kokand und das Khanat Chiwa, durch das Russischen Zarenreich eingenommen wurden, studierte General Konstantin Kaufman (1818–1882), der 1867 zum Hauptkommandanten des Militärkreises Turkestans ernannt wurde, die Region.

Das Russische Zarenreich beabsichtigte damals nicht nur seine militärische Einflusssphäre entgegen den englischen Interessen in diesem Gebiet in Zentralasien zu stärken. General Kaufmann sollte während seiner Expeditionen das zentralasiatische Territorium inspizieren, das „sich sehr stark von dem unterschied, was Russ:innen als ihr Zuhause betrachten würden“. Kaufmann war es auch, der den Buchdruck eines Fotoalbums namens „Turkestan“ initiierte. An dem Album beteiligten sich federführende Islamwissenschaftler und Fotografie-Interessierte der Zeit. Das Album, das die Unterkapitel „Archäologie“, „Ethnografie“, „Wirtschaft“ und „Geschichte“ umfasste, erschien im Jahr 1872 in St. Petersburg. Die Besonderheit daran war, dass nur sechs Exemplare desgleichen gedruckt wurden. Die inhaltlichen Schwerpunkte umfassten die Region Zentralasiens hinsichtlich ihrer geografischen und ethnografischen Zusammensetzung sowie Beschriebe über die Kultur und Bräuche der Menschen.

Besondere Beachtung fanden Porträts von Personen die verschiedenen ethnischen Gruppen und sozialen Klassen angehörten ihre jeweilige Bekleidung miteinschließend.

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Exemplare des Albums „Turkestan“ befinden sich heute in der russischen Nationalbibliothek, in der Nationalbibliothek Usbekistans, in der Library of Congress in den USA und manche Ausgaben in Frankreich. „Das Album Turkestan“ wurde zum visuellen Aufeinandertreffen zweier sich unterscheidender Welten.

Besondere Beachtung finden in diesem Artikel Fotografien aus der Zeit, die das tadschikische Leben in Zentralasien dokumentieren.

Quelle: Archiv von Munawar Mamadnazarow. Tadschikische Märkte vor eineinhalb Jahrhunderten. 1. Ein Tabak-Händler 2. Ein Brot-Verkäufer 3. Ein Stoff-Händler 4. Chudschand: Händler auf dem Bazar 5. Ein Melonen-Verkäufer in Buchara

Der französische Blick auf Zentralasien

Nicht nur russische Fotografen interessierten sich für die Region. Im Jahr 1902 erschien ein Bildband des französischen Fotografen Hugues Krafft (1853–1935) namens „A travers le Turkestan russe“ [Quer durch das russische Turkestan – Anm. d. Red.].

 Das Buch wurde ein großer Erfolg innerhalb der geographischen Gesellschaft von Paris und der französischen Akademie.

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Ein weiterer französischer Fotograf, der im Jahr 1890 Zentralasien mit seiner Kamera einfing, war Paul Nadar (1856–1939). Er fotografierte nicht nur architektonische Kulturdenkmäler wie Medressen, Moscheen usw. sondern fertigte auch eine Fotoserie des Emirs Abd al-Ahad Khan von Buchara an.

Quelle: Archiv von Munawar Mamadnazarow. 1. Porträt des Emirs Abd al-Ahad Khan von Buchara, Foto: Paul Nadar, 1890. 2. Bettler aus Kokand, Foto: Annette Meakin, 1901. 3. Bazar und Überreste der Moschee Bibi-Chanum, Foto: Paul Nadar, 1890.

Ein besonderer Kontrast zum Porträt des Emirs, stellt die Abbildung des Bettlers aus Kokand aus dem Jahr 1901 dar, fotografiert von der britischen Reisenden Anette Meakin (1867–1959).

Im Jahr 1902 erkundete eine Expedition bestehend aus dem Botaniker Wolodymyr Lypskyj (1863–1937) das Pamir-Gebirge und seine Bevölkerung in den Jahren 1806 bis 1899.

Quelle: Archiv von Munawar Mamadnazarow. Fotografien von N. Bogojawlenskij und A. Stejn. 1. Beamte aus Kulob, 1898. 2. Blick auf die Zitadelle von Chudschand. 3. Ein alter Wohnungseingang des Hauses von Mingbaschir in Kalai Wamar (1915–1916).

Es folgen Fotografien der Stadt Samarkand.

Quelle: Archiv von Munawar Mamadnazarow. Fotografien von E. Pawlowskij, 1908. 1. Medrese Scherdor in Samarkand. 2. Karagatsch bei der Moschee in Ura-Tjube. 3. Ura-Tjube. 4. Wohnhaus in Samarkand. 5. Samarkand, die Medrese Chwarizmi.

Die russischen Ethnografen bemühten sich um die Einteilung der Bevölkerung in „Tadschiken“, „Usbeken“, „Kirgisen“, „Turkmenen“ und manchmal „Sarten“, wobei letztere Kategorie heutzutage nicht mehr verwendet wird. Die Bevölkerung vielmehr nannte sich jedoch oft anhand ihrer Heimatstadt, also „Buchara-er“, „Chudschand-erin“, „Badachschan-er“, „Pamir-in“. „Sarte“ war jedoch auch damals keine Selbstbezeichnung der Menschen. Gemäß den Meinungen des Poeten Navoiy und des Timuriden Babur, verstand man unter der Namensgebung eine „turkisierte“, persischsprachige Gruppe.

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Als „Sarten“ bezeichnete das Russische Zarenreich Händler, Handwerker und weitere Bevölkerungsgruppen der sesshaften, städtischen Bewohner:innen Zentralasiens. Weil es sich um eine erfundene Bezeichnung handelte und sie von der Bevölkerung selbst nicht verwendet worden ist, verschwand sie allmählich.

Menschen und Bräuche

Die Porträts der Menschen heben nicht nur die individuellen Züge der Dargestellten hervor, sondern auch ihren sozialen Status, die Eigenheiten ihrer Kleidung und ihres Schmucks. Es sind nicht bloß ethnografische Aufnahmen. Trotz inszenierter Elemente erzählen sie auch einiges über die Menschen jener Zeit.

In den Abbildungen spiegelt sich eine ganze Lebenswelt: Weisheit, herzliche Gastfreundschaft, ein fröhliches Wesen. Sie zeigen eine tiefe Verbundenheit mit der oft rauen Natur, einen liebevollen Umgang mit Kindern und Tieren, eine gewisse Gemächlichkeit im Alltag. Das abgebildete Volk mit einer alten Geschichte schätzt nicht nur ausgedehnte Gespräche in der Teestube „Chaikhana“ – sie begegnen der Welt auch mit Nachdenklichkeit und philosophischer Gelassenheit.

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Unter den Porträtierten finden sich hohe Beamte und Kaufleute in bunt schillernden Atlaskaftanen, gegürtet mit breiten, kostbaren Gürteln; Frauen in leuchtenden Gewändern, geschmückt mit kunstvollen Accessoires. Daneben sind aber auch zahlreiche Aufnahmen einfacher Stadtbewohner, schlicht gekleidet: Fladenbrotverkäufer, deren phantastische Gewänder und witzig aussehende, spitz zulaufende Kopfbedeckungen wie aus einer anderen Welt wirken.

Quelle: Archiv von Munawar Mamadnazarow. Tadschiken – Porträts von Männern. 1. Tadschike aus Samarkand. 2. Bucharischer Taschike im Seidenkaftan. 3. Junger Sart aus Samarkand. 4. Mullah-Tadschike aus Kokand. 5. Tadschike aus Samarkand in einem mit Pelz gefütterten Kaftan. 6. Tadschike aus Urgut in Baumwollkleidung. 7. Tadschike – Händler aus Buchara. 8. Tadschikischer Bauer aus Buchara. 9. Mirza-Chan, Bewohner des Oberlaufs des Flusses Yaghnob, 1880er-Jahre. 10. Mirza Vasikh, Sektenführer (Pir), 1871–1872. 11. Mahmud-Chan, Qadi (Richter) aus Ura-Tjube, 1871–1872. 12. Mullo Niyoz aus dem Dorf Margtumain (Yaghnob). Informant von M. S. Andrejew, 1925.

In einer Welt ohne Massenmedien waren es die farbenfrohen Basare mit ihren hölzernen, von Strohdächern beschatteten Ständen, die als Zentren des Austauschs und der Information dienten. Es waren Orte, an denen sich wirtschaftliches Interesse mit dem Bedürfnis nach Spektakel und Neuigkeiten verband. Hier konnte man Brot und Unterhaltung zugleich finden, sich über die Marktlage informieren und den Pulsschlag der eigenen Stadt spüren.

Quelle: Archiv von Munawar Mamadnazarow. 1. Junge Tadschikin aus Samarkand, spielt auf der Dutar. 2. Tadschikin aus Samarkand im Winterkaftan mit Diadem auf dem Kopf. 3. Junge Tadschikin aus Kokand in einem Kaftan aus Brokat. 4. Munawwar-Ai, Tadschikin, 1871–1872. 5. Margilan. Tadschikin, 1880. Foto von F. Orda

Die zentralasiatische Region zog sowohl russische als auch andere europäische Reisende an. Sie bezauberte durch die Eigenart ihrer Naturlandschaften ebenso wie durch die Kultur ihrer Bevölkerung. Viele sagten dieser Gegend tiefgreifende Veränderungen voraus. Der bekannte russische Forscher Alexei A. Bobrinski (1852–1927) rief bereits 1908 dazu auf, mit der Erforschung Badachschans nicht zu zögern, „weil die alles verschlingende europäische Kultur beginnt, es zu berühren – und damit alles Ursprüngliche, Individuelle, Charakteristische in ihm zu zerstören“.

Quelle: Archiv von Munawar Mamadnazarow. Die historische Stätte von Hisar (14.–19. Jh.). 1. Blick auf die Zitadelle (Ark) gegen Ende des 19. Jahrhunderts. 2. Gebäude am Fuss der Zitadelle und rechts aktuelle Ansichten

Hugues Krafft wiederum schrieb in seinem Werk über die Zukunft der Region: „Mögen diese fotografischen Dokumente und der Text des Buches Ausdruck der wahren muslimischen Seele Turkestans sein – und sie noch lange im Gedächtnis bewahren!“

Die Lebensweise der Region hat sich jedoch im Laufe des 20. Jahrhunderts stark verändert – als Folge gesellschaftlicher Erschütterungen, Revolutionen, Kriege, innerer Konflikte, intensivierter wirtschaftlicher Kontakte und zahlreicher Migrationsbewegungen.

Munawar Mamadnazarow für Asia-Plus

Aus dem Russischen (gekürzt) von Berenika Zeller

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