Die usbekische Literatur befindet sich in einer Zeit des Umbruchs. Zwar wächst die Diversität der Autoren und der Themen, doch damit ist der Kampf, die usbekische Literatur unters Volk und über seine Grenzen hinaus zu verbreiten, noch nicht gewonnen. Über die Entwicklung und die Herausforderungen der usbekischen Literatur sprechen die Autorin Madina Muminova, die sowohl auf Russisch als auch Usbekisch schreibt, und Viktoria Gayratova, Gründerin des Verlags „Asian Book House“ sowie Vorsitzende des Online-Bücherhandels LitRes.
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Als vereinsgetragene, unabhängige Plattform lebt Novastan vom Enthusiasmus seiner ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen – und von eurer Unterstützung!Viktoria, wie kam es zur Zusammenarbeit mit LitRes und wie gelang der Einstieg der Plattform in den usbekischen Markt?
Das ergab sich auf Initiative von LitRes. Das Unternehmen hatte bereits Erfahrung außerhalb des russischen Marktes gesammelt, zum Beispiel in Polen und Italien. Als jedoch 2022 einige Verträge auf Eis gelegt wurden, bauten sie ihre Präsenz auf dem Markt der GUS-Staaten aus. Als das Büro für internationale Entwicklung mich kontaktierte, imponierte ihnen meine Arbeitserfahrung in Aserbaidschan. Mit Beginn der Zusammenarbeit ernannten sie mich zur Vertreterin usbekischer Interessen im Büro für Internationale Entwicklung.
Erzählen Sie ein wenig über ihren Verlag „Asian Book House“ und wie sie mit der Verlegung von Büchern auf Usbekisch begannen.
Als wir den Verlag vor sechs Jahren gründeten, übersetzten wir viel kanadische Literatur ins Usbekische. Als schließlich die Pandemie uns dazu zwang, unser Konzept zu überarbeiten, lernte ich Madina Muminova kennen. Zusammen widmeten wir uns der Kinderliteratur, einer Sparte mit Zukunft.
Fällt es Ihnen schwer, Kinderbuchautoren zu finden?
Wir stehen nicht in direktem Kontakt mit den Autoren, sondern mit den Verlagen. Dabei müssen wir einiges an Überzeugungsarbeit leisten. Viele empfinden E-Books als sinnbefreit, besonders dann, wenn sie sowieso eine zuverlässige Unterstützung vom Staat kriegen.
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Die Nachfrage nach usbekisch-sprachiger Literatur ist hier [in Usbekistan, Anm. d. Red.] eher niedrig. Auf dem usbekischen Markt florieren, so wie vielerorts, die Genres rund um Business, Marketing und Lebensratgeber.
Gibt es auf LitRes Hörbücher auf Usbekisch und wenn ja, wie groß ist die Hörerschaft?
Ja, die gibt es. Besonders beliebt sind Kinderhörbücher.
Welche Probleme haben Sie bei Literaturübersetzungen ins Usbekische?
Zuerst einmal sind offizielle Übersetzungen ins Usbekische sehr kostspielig. Darum boomt der Schwarzmarkt, obwohl die dort zu findenden Versionen zu wünschen übriglassen. Das beste Beispiel hierfür ist Harry Potter: Nicht nur missachtet die illegal vertriebene Übersetzung die Autorenrechte, sie verschlechtert auch maßgeblich die Wahrnehmung des Originals. Um dieses Problem zu bekämpfen, benötigen wir erstens einen Grundstock an Übersetzern, den wir finanziell auch zu unterstützen imstande sind.
Im November 2023 lancierte der usbekische Präsident ein Projekt, bei dem die 5000 weltweit bekanntesten Bücher auf Usbekisch übersetzt werden sollten. Verantwortlich für das weitere Vorgehen ist das Jugendwerk. In diesem Jahr sollen die ersten 50 Übersetzungen auf den Markt kommen. Haben Sie von diesem Projekt gehört?
Ja, ich bin im Bilde. Die Initiative gefällt mir, doch es ist nur der erste Schritt von vielen. Es fehlt uns an Literaturagenten, die hiesige Literaturbetriebe mit ausländischen in Verbindung setzt.
Wie stehen die Zukunftsaussichten der usbekischen Literatur vor Ort und im Ausland?
Das wird kein leichter Weg, solange der Staat den Literaturbetrieb hinter dem des Sports oder des Schachs anstellt. Es braucht nicht nur gute Autoren, sondern auch staatliche Unterstützung, gerade um auch außerhalb der Agglomerationen ein Netz aufzubauen. Die Übersetzung, das Verlegen, der Vertrieb, das alles ist nicht umsonst und erfordert Anstrengungen aller Parteien.
Madina, Ihre Bücher erscheinen auf zwei Sprachen – auf Usbekisch und auf Russisch. Fällt Ihnen das Schreiben und das Übersetzen auf Usbekisch schwer?
Ich schreibe genaugenommen nur auf Russisch. Die usbekische Umgangssprache spreche ich zwar sehr gut, doch in der Literatur geht es um mehr als nur sprachliche Korrektheit – der Stil, die Form und die Vermittlung des Inhalts sind nicht weniger relevant. Darum arbeite ich bei der Übersetzung meiner Bücher sehr eng mit meinen Übersetzern zusammen. Direkt auf Usbekisch zu schreiben, wird vorerst noch ein Traum bleiben, bis ich mich in der Sprache sicherer fühle.
Nehmen Ihre Leser die Bücher auf Russisch anders wahr als die auf Usbekisch? Kommen bestimmte Themen besser bei der einen Leserschaft an als bei der anderen?
Ich denke schon. Russischsprachige Kinder sind die erfahreneren Leser. Sie lesen mehr, dementsprechend fällt es ihnen leichter und sie tauchen schneller in Geschehen und Figuren ein. Usbekisch-sprachige Kinder lesen weniger, teils überhaupt nicht. Bis auf Schulbücher haben sie kaum Bücher daheim oder nur solche mit wenig Text und überwiegend Bildern. Hinzu kommt, dass die Figuren ihrer Bücherwelt mit noch mehr Klischees behaftet sind. Das würde ich gerne ändern, immerhin prägt das Lesen unsere Weltsicht und fördert das Vorstellungsvermögen sowie die Kreativität.
Das Thema Umwelt, eingebettet in einen Märchenkontext mit mutierten Monstern, die unseren Planeten auslöschen wollen, kommt bei russischsprachigen und ausländischen Kindern gut an. Ihnen gefällt, dass meine Bücher nie belehrend sind, sondern dass es wie bei Multiki (Zeichentrickfilmen, Anm. d. Übersetzers) verschiedene Genres und Themen gibt. Außerdem mögen sie die Bilder, in denen sie immer wieder Neues entdecken.
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Ich finde, man sollte sich Kindern gegenüber nicht verstellen, sondern mit ihnen reden wie mit einem würdigen Gesprächspartner. Wir brauchen die Texte und Bilder für sie nicht in rosarote Watte einzuwickeln, sie sollen die Welt in all ihrer Schönheit und Hässlichkeit kennenlernen, sich als Weltenbürger wahrnehmen. Das ist von besonderer Bedeutung, wenn es um Umwelt, Frieden und andere Werte geht.
Welche Rolle spielt die Zweisprachigkeit bei der Entwicklung der usbekischen Literatur?
Es ist großartig, dass sich die usbekische Sprache weiterentwickelt. Unser Land ist unabhängig und pflegt seine Sprache und Kultur, übersetzt usbekische Klassiker in andere Sprachen und Weltliteratur ins Usbekische. Das ist einfach großartig.
Was uns bis heute nachhängt, ist der damalige Wechsel auf die lateinische Schrift. Die Idee war im Kern nicht verkehrt, doch unsere Gesellschaft, die sich so stark im Wandel befindet, hat es überfordert. Als die Regierung das Gesetz zum Übergang von der kyrillischen Schrift auf die lateinische verabschiedete, ignorierten sie, dass ein großer Teil der usbekischen und der Weltliteratur noch nicht in lateinische Schrift übertragen wurde. Dabei ist das so wichtig für die nachkommenden Generationen. Die Schüler, die nicht mehr mit der kyrillischen Schrift aufwachsen, wurden so um ihr literarisches Wissen gebracht. Sogar Ozod Sharafutdinov, einer der Initiatoren des Gesetzes, beklagt rückblickend, dass der Schriftwechsel den literarischen Bildungsstandard um viele Jahrzehnte zurückgeworfen hat.
In diesem Sinne bin ich froh darum, dass solche folgenschweren Entscheidungen nun klüger abgewogen werden. Doch uns steht noch ein weiter Weg bevor, um das usbekische Volk zu einer lesenden Nation zu machen.
Was für Projekten möchten Sie sich in näherer Zukunft widmen? Reizen Sie eher ökologische oder soziale Themen?
Das Umweltthema möchte ich noch nicht ad acta legen. In unserer Bücherserie „Die Zeit der Helden“ geht es genau darum und wir haben damit einen Volltreffer bei der jungen Generation gelandet. Man könnte fast meinen, wir hätten damit eine ganze Horde zukünftiger Umweltretter aufgezogen! Dazu haben wir die Auszeichnung „Kleiner Umweltheld“ erhalten, die den Kindern als Inspiration dient. Gemeinsam pflanzen wir Bäume, trennen Müll und üben uns in einer gesunden Beziehung zu unserer Umwelt.
Ansonsten schreibe ich aktuell ein Buch über die Geschichte unserer multiethnischen Kultur: Welche ethnischen Gruppen kamen wann und wieso, wer blieb in Usbekistan und wer suchte sein Glück anderswo?
Zuletzt bewegen mich auch die Themen rund um die Lage der Frauen sowie psychologische Fragestellungen.
Die Redaktion von Hook
Aus dem Russischen von Arthur Siavash Klischat