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Die Geschichte des zentralasiatischen Jazz: Hamdam Zakirov über das Fergana Jazz Festival

Hamdam Zakirov ist ein in Fergana geborener Dichter, DJ und Kenner zentralasiatischer Pop- und Jazzmusik. Er spricht über das Jazzensemble „Sato“, den Kult-Avantgardekünstler Sergej Kurjochin und die berühmteste Vertreterin des Roma-Volkes in der UdSSR, die Sängerin Walentina Ponomarjowa – und über ihre Verbindung mit dem Fergana Jazz Festival, das eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der lokalen Szene sowie der sowjetischen Musik spielte.

Die Redaktion 

Übersetzt von: Robin Roth

EastEast


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Fergana, 1988: Werbung für den Film „Assa“, Photo: Hamdan Zakirov

Hamdam Zakirov ist ein in Fergana geborener Dichter, DJ und Kenner zentralasiatischer Pop- und Jazzmusik. Er spricht über das Jazzensemble „Sato“, den Kult-Avantgardekünstler Sergej Kurjochin und die berühmteste Vertreterin des Roma-Volkes in der UdSSR, die Sängerin Walentina Ponomarjowa – und über ihre Verbindung mit dem Fergana Jazz Festival, das eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der lokalen Szene sowie der sowjetischen Musik spielte.

Im Januar 1988, nachdem ich die Militärschule in Leningrad abgebrochen und meine Zeit in der Nordflotte abgeleistet hatte, kehrte ich in meine Heimatstadt Fergana [heute Fargʻona, Anm. d. Ü.] zurück. Das Leben begann sich sofort zu drehen: verschiedene Geschwindigkeiten, Farben, Gerüche. Es schien, dass alles möglich war und alles vor uns lag – Perestroika, Demokratisierung, Glasnost

Ich bekam einen Job als Kurier für eine Regionalzeitung, schrieb mich in die Journalistische Fakultät der Universität Taschkent ein, beschäftigte mich mit Poesie, las, schaute und hörte viel. Geschäftiges Leben! Und das alles dank redaktioneller Aufträge, die ich zum Teil selbst erfunden habe, und dank dem kulturellen Umfeld, in dem ich mich unerwartet wiederfand. Ich traf großartige Künstler, Dichter, Kunstkritiker, Schauspieler und Musiker, die in unserer Stadt lebten, und gewann neues und sehr vielfältiges kulturelles Gepäck. Und – zu meiner Überraschung – entdeckte ich meine Heimatstadt.

Perestroika in Fergana

Es stellte sich heraus, dass es im Kino „Kosmos“ einen „Klub der Kino-Freunde“ gab, in dem wir anfingen, Meisterwerke des Weltkinos anzusehen. Natürlich diejenigen, die damals noch im sowjetischen Filmverleih waren. Es gab einen Bardenclub, in dem ich auch regelmäßig auftrat. Vor allem, weil einer meiner neuen Freunde die Lieder meiner Lieblingsbands Aquarium und Kino kannte und sang. Wie sich herausstellte, gab es in der Stadt auch einen Jazzclub. Und während all das obengenannte eine Idee der Perestroika war, gab es den Jazzclub schon seit mehr als zehn Jahren!

Im Herbst 1988 organisierten meine Freunde und ich auf Initiative von Rustam Juraev, dem Direktor des Kinos „Kosmos“, eine zweitägige Show-Präsentation von Sergej Solowjows Film Assa. In Ermangelung von Postern mit Rockmotiven wurden Plattenhüllen an die Wände gehängt. Man malte Graffiti an die Wände in der Lobby und im Kinosaal. Es scheint, dass dies auch den Zuschauern gestattet wurde – einer der ersten Schritte auf dem Weg vom „Straßenrowdytum“ zur „zeitgenössischen Kunst“.

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Im Foyer gab es unter anderem eine Tafel, in die jeder mit einem in der Nähe liegenden Hammer seinen „Nagel des Programms“ einschlagen konnte. Ganz echt, brandneu, glänzend, scharf. Generell haben wir unserer Fantasie freien Lauf gelassen. An der Show nahmen sowohl Profis als auch Amateure – Barden und Rocker – teil. Und sogar Schulkinder, die übrigens eine (für damalige Verhältnisse) hochmoderne Semi-Punk-Modenschau inszenierten. Wir hatten sogar unser eigenes „Bananenmädchen“ [Anspielung auf den Film „Assa“, Anm. d. Ü.]! Auch die Gruppe „Sato“ trat bei unserer Show auf.

Das Jazzensemble „Sato“

Ehrlich gesagt war ich damals kein Fan von Jazz. Meine Generation hatte gewisse Vorurteile gegenüber Blasinstrumenten. Der Grund dafür waren vielleicht die zahlreichen sowjetischen VIAs [„Vokalisch-instrumentales Ensemble“, die sowjetische Version von „Band“, Anm. d. Ü.] oder die Tatsache, dass wir Rock leidenschaftlich liebten, welcher damals in unserem Land verboten war.

Und wir waren misstrauisch gegenüber Gruppen mit mehr als vier oder fünf Mitgliedern. Maximum – Schlagzeug, Gitarre und Bass. Nun, der Solist. Na ja, vielleicht auch Synthesizer. Aber keine Blechbläser! Den Blechbläsern gegenüber waren wir gnadenlos. Rock war in jenen Jahren – oder wurde zumindest von uns jungen Leuten als solcher wahrgenommen – ein Sprachrohr des Protests. Und Jazz schien ziemlich konformistische Musik zu sein. Darüber hinaus spielten verschiedene Jazzgruppen größtenteils etwas völlig Konventionelles, das nicht über die allgemein anerkannten Jazzstandards hinausging. Damals kam es mir so vor, als ob Rock’n’Roll noch nicht tot sei und Jazzmusiker halt irgendwo seien [Anspielung auf die Lieder „Рок-н-ролл мертв“ und „Немое кино“ von Aquarium].

Und so lernte ich das Jazzensemble von Fergana kennen. Mein erster Gedanke: Nun, natürlich ist das Team in irgendeinem Kulturzentrum in unserem provinziellem Fergana wahrscheinlich amateurhaft. Doch beim Kennenlernen stellt sich heraus, dass dieses Ensemble im Vorjahr, 1987, seine zweite Platte auf [dem größten sowjetischen Plattenlabel, Anm. d. Ü.] Melodija veröffentlicht hatte. Natürlich gehe ich in Geschäfte, kaufe Sato-Platten und höre mir die Musik an. Und dann lerne ich die Musiker kennen, sehe und höre sie live auf der Kinobühne bei der Premiere von „Assa“ und ich bin beeindruckt von ihrer Professionalität. Wenn ich mich recht erinnere, spielte das Ensemble am ersten Tag vollständig und am zweiten Tag trat Enver Izmailov solo auf.

Jahre später, bei meiner nächsten Reise nach Fergana, als ich die erhaltenen Platten aus dem Haus meiner Mutter mitnahm, entdeckte ich „Sato“ wieder. Jetzt stand meine jugendliche Fixierung auf Rockmusik nicht mehr im Weg – ich hörte Fusion, Acid Jazz, Elektronik, Funk. Endlich „hörte“ ich, wie […] alle Mitglieder der Band brillant spielten. Das sieht man deutlich an den Soli – Gitarre, Keyboards, Flöte … Ich habe gehört, wie leicht und elegant die Arrangements sind, die die Musik über die Grenzen bekannter Genres hinausführen. Ich bin mir sicher, dass das jeder Zuhörer spüren wird.

Das Fergana Jazz Festival

Das Ensemble „Sato“ wurde 1974 von Leonid Atabekow gegründet. 1977 initiierten Mitglieder der Gruppe die Eröffnung des Fergana-Jazzclubs und organisierten das erste Jazzfestival der Stadt! Zuvor fand 1969 in Taschkent das einzige derartige Festival in Zentralasien statt. Außer den Fergana-Festivals kenne ich nur das Jazzfestival, das 1988 in Alma-Ata [heute Almaty, Anm. d. Ü.] stattfand. In den 90er Jahren und bereits im 21. Jahrhundert fanden und finden in Kasachstan und Usbekistan Festivals statt, die jedoch nur eine lokale Bedeutung haben, obwohl an ihnen manchmal sowohl regionale Künstler als auch Gäste aus dem Ausland beteiligt sind.

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Insgesamt fanden damals in Fergana drei Festivals statt – 1977, 1978 und 1984. Das vierte sollte im Dezember 1988 stattfinden. Aber leider wurde es aufgrund des schrecklichen Erdbebens in Stepanakert und der im Land ausgerufenen Trauer unterbrochen – unmittelbar nach dem Eröffnungskonzert, an dem meine Freunde und ich teilnehmen konnten. Aber selbst drei Festivals und die Künstler, die auf ihnen auftraten […], reichten aus, um zu sagen, dass es sich um ein bedeutendes Phänomen auf Unionsebene handelte, wie man damals sagte. Ich denke, ein paar Namen werden ausreichen, um dies zu bestätigen.

In seinem Buch „Gespräche über Jazz“ erinnert sich der berühmte Kontrabassist und damalige Präsident des Taschkenter Jazzclubs Sergej Gilew an das zweite Fergana-Festival im Jahr 1978: „Das Festival wurde mit Gästen aus Leningrad geschmückt, dem Quartett von Anatolij Wapirow, bestehend aus: A. Wapirow (Saxophon, Klarinette), S. Kurjochin (Klavier), S. Gretschkin (Schlagzeug), V. Greschtschenko (Bassgitarre, Schlagzeug). Wapirow war bekannt sowohl als großartiger Interpret als auch als außergewöhnlicher Komponist. Der Pianist des Ensembles, S. Kurjochin, tritt häufig bei Konzerten mit Soloprogramm auf und stellt verschiedene Ensembles für einmalige Auftritte zusammen. Er ist einer der ernstzunehmenden Vertreter des Free Jazz.“

Walentina Ponomarjowa

Ein weiterer nicht minder interessanter Gast in Fergana – ein „Stern von einem ganz anderen Horizont“ – war die Moskauerin Walentina Ponomarjowa. Ponomarjowa begann ihre Karriere als Jazzmusikerin Ende der 60er Jahre und verbrachte fast die gesamten 70er Jahre damit, Romanzen und „Zigeunerlieder“, wie man sie damals nannte, als Solistin des Romen-Theaters und später des gleichnamigen Trios zu singen. Doch Ende der 70er Jahre manifestierte sich ihr Interesse am Jazz immer mehr: 1979 verließ sie das Theater und begann mit der Solo-Jazzarbeit.

Wer weiß, vielleicht war Fergana nicht nur eine der ersten Plattformen, sondern auch der Ausgangspunkt auf ihrem Weg zurück zum Jazz. Ich war 1978 erst 12 Jahre alt und habe Ponomarjowas Auftritt natürlich nicht besucht. Allerdings habe ich erst vor relativ kurzer Zeit von dieser Seite ihrer Arbeit erfahren, als eine der Jazzplatten der Sängerin in meine Sammlung kam. Im Gegensatz zu den Alben aus der Zeit des Romen-Trios entpuppte sich dies als eine ganz, ganz andere Welt, ein anderer Planet!

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Ich weiß nicht, welches Repertoire Walentina Ponomarjowa 1978 beim Konzert des zweiten Festivaltages aufführte, aber es ist mit Sicherheit bekannt, dass fast alle Roma von Fergana dorthin kamen. Dies war wahrscheinlich das am schnellsten ausverkaufte Festivalkonzert aller Zeiten. Leonid erinnert sich, dass das Publikum die Sängerin mit Zetteln bombardierte. Man kann nur davon ausgehen, dass diejenigen, die kamen, um „die berühmteste Zigeunerin der Sowjetunion“ zu sehen und zu hören, die avantgardistischen Sketche vor dem Hintergrund von Free-Jazz-Experimenten nicht ganz verstanden und sie in ihren Notizen gebeten haben, etwas mehr Erwartbares zu singen.

Damals – auf einem Festival in Fergana im Jahr 1978 – lernten sich Walentina Ponomarjowa und Sergej Kurjochin kennen. Dieses Treffen markierte den Beginn von Ponomarjowas langjähriger Freundschaft und kreativer Zusammenarbeit mit Kurjochin, Boris Grebenschtschikow und vielen anderen St. Petersburger Jazz- und Rockmusikern. Anschließend nahm Ponomarjowa wiederholt als geladener Gast an Konzerten und Aufnahmen von Pop-Mechanics, Aquarium und Anatolij Wapirow teil. Man kann also mit Sicherheit sagen, dass diese Bekanntschaft in Fergana von historischer Bedeutung für die Entwicklung der russischen Avantgarde-, Jazz- und sogar Rockszene war.

Sergej Kurjochin und Pop-Mechanics

Leonid Atabekow erinnerte sich in einem Telefongespräch mit mir daran, dass Sergej Kurjochin ein zweites Mal nach Fergana kam – zum Festival 1984, diesmal jedoch mit seinem Ensemble. Leonid konnte sich nicht an den Namen erinnern, aber es kam mir nie in den Sinn, dass es „Pop Mechanics“ sein könnte. Doch als ich es erwähnte und sagte, dass Kurjochin später ein solches Projekt haben würde, bestätigte Leonid: Ja, das stimmt: „Popular Mechanics“. Das heißt, die von Kurjochin im selben Jahr 1984 gegründete und später berühmt gewordene Gruppe hatte einen ihrer ersten Auftritte auf der Bühne des III. Fergana Jazz Festivals!

Leonid erinnerte sich, wie irgendwann während ihres Auftritts, während des Solos des Cellisten, die übrigen „Pop Mechanics“-Musiker begannen, über die Bühne zu kriechen und, als sie den mit Blumen geschmückten Rand erreichten, begannen, diese zu essen! Und am nächsten Tag litten fast alle unter Magenschmerzen. Eine lustige, aber auch erstaunliche Geschichte! Schockierender Free Jazz – mit einem Wort: Fleisch gewordene Transzendenz. Wir können sagen, dass die Vergangenheit in diesem Moment, ohne sich dessen völlig bewusst zu sein, die Zukunft kennenlernte. Nun, es ist schön, dass Fergana nicht enttäuscht hat, und ein solcher Skandal wie bei einem ähnlich schockierenden Auftritt von „Aquarium“ beim Tbilissi Rock Festival 1980 einige Jahre zuvor gab es in meiner Heimatstadt nicht.

Weitere Bilder findet ihr im Originalartikel.

Hamdan Zakirov für EastEast

Aus dem Russischen von Robin Roth

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