In Russland verschlechterte sich die Lage für Migrierte aus Zentralasien nach dem Anschlag auf die Crocus City Hall. Seit diesem Tag hat der russische Staat seine Politik verschärft. Zwischen Einreisebarrieren, Verhaftungen und neuen Anti-Einwanderungsgesetzen scheint die Zukunft für Menschen aus Zentralasien in Russland immer trüber.
Auch drei Monate nach dem Anschlag auf die Crocus City Hall, bei dem 140 Menschen ums Leben kamen, hat sich die Lage der zentralasiatischen Bevölkerung in Russland nicht verbessert. Der Anschlag auf die Konzerthalle bei Moskau war von vier tadschikischen Staatsangehörigen verübt worden, die dem Islamischen Staat in Chorasan (ISPK) angehörten.
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Laut Aussage eines Betroffenen sind tadschikischen Migranten bereits bei ihrer Ankunft mit brutalen Bemerkungen seitens einiger FSB-Agenten konfrontiert. „Bei der Grenzkontrolle kamen Vertreter des FSB auf uns zu und sagten uns, dass wir aus Tadschikistan seien, Russland Schaden zufügen würden und in unser Land zurückkehren sollten“, berichtete der Zeuge.
Wie Asia-Plus berichtet, sehen sich zentralasiatische Migrierende neben den brutalen Äußerungen von Beamtenseite auch mit anderen Hindernissen konfrontiert. Hierzu zählen übermäßig lange Kontrollen, die von den russischen Behörden am Moskauer Flughafen Scheremetjewo eingerichtet wurden.
Sprachbarriere
Darüber hinaus sollen die russischen Behörden die tadschikistanische Regierung angewiesen haben, bestimmten Personen die Einreise nach Russland zu verweigern, weil sie die russische Sprache nicht beherrschten. Auch einige Schalter am Flughafen Duschanbe bestätigten, dass „die zuständigen Beamten ihnen empfehlen, die Russischkenntnisse der abfliegenden Personen zu überprüfen, bevor sie Flugtickets verkaufen.“
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Nach diesen Angaben sollen solche Überprüfungen verhindern, dass Fluggäste nach ihrer Ankunft auf russischem Boden abgeschoben werden und ein Rückflugticket bezahlen müssen.
Haftanstalten mit schwierigen Bedingungen
Doch auch die Menschen aus Zentralasien, die sich bereits in Russland aufhalten, stoßen auf Probleme. Dies zeigt sich an den temporären Haftzentren für Migrierte, von denen das bekannteste das in Sacharowo ist. Die Lebensbedingungen dort sind hart, wie Radio Azattyk ermittelte.
So berichtet Rachima Aitachun kyzy, die seit zehn Jahren in Russland lebt, dass ihr Bruder in der Moskauer U-Bahn verhaftet wurde. Sie habe ihn während seiner Haft viele Male besucht und die Behandlungsbedingungen gesehen; ihr Bruder habe in zehn Tagen Haft zwischen 10 und 15 Kilogramm abgenommen.
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Als vereinsgetragene, unabhängige Plattform lebt Novastan vom Enthusiasmus seiner ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen – und von eurer Unterstützung!Auch ein Video eines kirgisischen Mädchens, das in diesem Lager festgehalten wurde, war im Internet veröffentlicht worden. Sie sagte, dass die Menschen in dem Lager Hilfe bräuchten und „es gab Tage, an denen wir schlimmer als Hunde behandelt wurden. Das würde ich meinem Feind nicht wünschen.“
Darüber hinaus dienen diese Lager auch als Rekrutierungszentren für den Krieg. Tatsächlich sollen laut der Menschenrechtsaktivistin Valentina Tschupik 100 bis 200 Personen gegen Geld freiwillig in die Ukraine gegangen sein.
Zahlreiche Kontrollen
Die russische Polizei führt seit dem Anschlag auf die Crocus City Hall sehr viele Kontrollmaßnahmen und Razzien durch. Die Polizei der Oblast Leningrad schrieb in einer Erklärung, dass sie als Reaktion auf die kriminellen Erscheinungen in diesem Umfeld ständige Kontrollen an Orten durchführen werde, an denen sich Migrierte konzentrieren.
Bei den Razzien Mitte Juni kontrollierte die Polizei mehr als 350 Migrierte und nahm 49 fest. Außerdem kontrollierte sie 242 Autos, die von Menschen aus dem Ausland gefahren wurden.
Diese zahlreichen Kontrollen werden von massiven Abschiebungen im Rahmen der „Operation Illegal“ begleitet, wie die Moscow Times berichtet. Die regionale Zentrale des Innenministeriums berichtete, dass die Gerichte die Ausweisung von rund 1.500 Personen beschlossen hätten. Zuvor hatte die Moskauer Polizei vom 3. bis zum 9. Juni Operationen durchgeführt, die darauf abzielten, illegale Migrierte aufzuspüren.
Neues Gesetz erleichtert Abschiebungen
Schließlich nahm die Duma in erster Lesung einen Gesetzentwurf an, der die Mechanismen zur Ausweisung ausländischer Staatsangehöriger vereinheitlichen und die Befugnisse zur Ausweisung bei der Polizei konzentrieren soll. Dies ermöglicht insbesondere eine schnellere Ausweisung von denen, die gegen das Gesetz verstoßen haben.
Ausländische Staatsangehörige, die einer Ausweisungsregelung unterliegen, werden in ein Register eingetragen, wodurch sie daran gehindert werden, Immobilien zu kaufen, Fahrzeuge zu fahren, zu heiraten und sich in Russland frei zu bewegen. Außerdem werden sie verpflichtet, die Polizei über ihren Aufenthaltsort zu informieren.
Vladimir Przybylinski, Redakteur für Novastan
Aus dem Französischen von Michèle Häfliger
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