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Gemeinsam gegen den Westen – Warum China und Russland in Zentralasien nicht konkurrieren

Es hat den Anschein, als habe Moskau in Zentralasien seine Stellung eingebüßt und Peking die Vorherrschaft übernommen. Doch dem sei nicht so, befindet Temur Umarov, Fellow am Russia Eurasia Center des Carnegie Endowment for International Peace. Der Grund liege vor allem darin, dass es für die fünf Länder der Region nicht vorteilhaft sei, wenn ein einflussreicher Nachbar den anderen verdränge.

Treffen Putin und Xi Jinping, Präsidentenbüro d. russ. Föderation

Es hat den Anschein, als habe Moskau in Zentralasien seine Stellung eingebüßt und Peking die Vorherrschaft übernommen. Doch dem sei nicht so, befindet Temur Umarov, Fellow am Russia Eurasia Center des Carnegie Endowment for International Peace. Der Grund liege vor allem darin, dass es für die fünf Länder der Region nicht vorteilhaft sei, wenn ein einflussreicher Nachbar den anderen verdränge.

Der folgende Text ist eine Zusammenfassung einer längeren Analyse von Temur Umarov, die ursprünglich bei Carnegie Endowment erschienen ist.

Man könnte denken, dass Russland vor allem in der Erhaltung der Sicherheit in der Region aktiv sei, während China als Haupttreiber für die wirtschaftliche Entwicklung in Zentralasien erscheint. Doch die wirtschaftlichen Beziehungen der Region mit Russland stehen denjenigen mit China in nichts nach und sind in mancher Hinsicht sogar stärker.

Bereits in den ersten Monaten des Ukrainekrieges sahen sich die zentralasiatischen Staaten mit schwerwiegenden Problemen konfrontiert: Die Inflation stieg auf ein Rekordniveau und dem russischen Rubel folgend verloren auch die nationalen Währungen an Wert. Außerdem verteuerten sich Importgüter. Grund dafür sind die zahlreichen Abhängigkeitsverhältnisse der zentralasiatischen Staaten gegenüber Russland.

Anhaltend wichtige Rolle Russlands in Zentralasien

Erstens beziehen die zentralasiatischen Länder viele Grundnahrungsmittel und andere Waren aus Russland, wie etwa Mehl und Zucker. Zweitens wird der Handel mit den westlichen Staaten hauptsächlich über Russland abgewickelt, da alle anderen Handelswege teurer oder länger sind. Drittens sind Kasachstan und Kirgistan Mitglieder der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU), die trotz ihrer Schwächen den Druck des chinesischen Handels und der wirtschaftlichen Expansion auf lokalen Märkten eindämmt und gleichzeitig den Zugang zu den Märkten der übrigen Mitgliedsstaaten erleichtert [Anm. d. Red.: Zu den Mitgliedern der EAWU zählen neben Kasachstan, Kirgistan und Russland auch Armenien und Belarus]. Viertens ist Russland nach wie vor Hauptdestination für Migrant:innen aus Zentralasien. China kann Russland in dieser Hinsicht nicht ersetzen und strebt dies auch nicht an.

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Auch andere populäre Mythen über die Rollen Russlands und Chinas in der Region zweifelt Temur Umarov an. Beispielsweise wird häufig angenommen, die Volksrepublik China habe Zentralasien mit Finanzkrediten überhäuft, weshalb einige Länder nun Schwierigkeiten hätten, aus der chinesischen „Schuldenfalle“ herauszukommen. Die Gesamtverschuldung der zentralasiatischen Länder gegenüber Russland und China ist jedoch ähnlich hoch. Hinzu kommt, dass Russland und China unterschiedlichen Staaten Kredite zur Verfügung stellen. Während Moskau vor allem Geld an Kasachstan und Usbekistan leiht, ist Peking primär in Kirgistan und Tadschikistan aktiv. Auch wenn man den Zugang chinesischer und russischer Investor:innen zu den zentralasiatischen Märkten betrachtet, wird der Mythos einer chinesischen Vorherrschaft in den finanziellen Beziehungen der Region widerlegt. Von 70.000 Unternehmen mit einem ausländischen Kapitalanteil liegt der Anteil russischer Investor:innen bei 36 Prozent, während er sich auf chinesischer Seite auf lediglich 8 Prozent beläuft. Zudem hat sich Russland seit Beginn des Krieges keineswegs abgeschottet, sondern im Gegenteil Zentralasien erneut als Handelsoption erschlossen.

Zudem ist die chinesische Volkswirtschaft weitaus weniger mit denen der zentralasiatischen Staaten verflochten als die russische. Soowohl die Staatsführungen der zentralasiatischen Länder als auch eine alternde russische Gesellschaft sind dabei von Arbeitsmigration abhängig. Krisen in Russland wirken sich somit unmittelbar auf die Region aus.

Zusammenarbeit im Bereich der Sicherheit

Ein weiterer Mythos besagt, Peking konzentriere sich auf wirtschaftliche Beziehungen und habe Fragen der Sicherheit in Zentralasien Russland überlassen. Es ist richtig, dass Russland als einziger Staat eine rechtliche Grundlage hat, sich auf Ersuchen seiner Behörden in die internen Prozesse der Region einzumischen. Dies geschieht im Rahmen der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) und bilateraler Verträge. In Tadschikistan und Kirgistan verfügt Russland über Militärstützpunkte und im Winter 2022 unterstützte Russland Kasachstans Machthabende bei der Niederschlagung der Proteste. Doch auch China ist in dieser Hinsicht aktiv. Gemeinsam mit den zentralasiatischen Armeen führt es dutzende Militärübungen durch und im Wachankorridor an der Grenze von Tadschikistan und Afghanistan unterhält die chinesische Volksmiliz zwei Stützpunkte. Außerdem bezieht Usbekistan seit 2014 mehr Waffen von China als von Russland. Umarov geht davon aus, dass die Präsenz der Volksrepublik China im Bereich der Sicherheit in Zentralasien weiter zunehmen wird. Das hänge damit zusammen, dass Zentralasien an das Uigurische Autonome Gebiet Xinjiang grenzt und den zentralasiatischen Ländern selbst ihre große Abhängigkeit von Russland zur Last falle [Anm. d. Red.: Usbekistan grenzt als einziges zentralasiatisches Land nicht an Xinjiang.]. Des Weiteren hätte sich die russische Armee während des bereits über zwei Jahre andauernden Krieges in der Ukraine selbst diskreditiert, was Zweifel an der vorbehaltlosen russischen Sicherheitsgarantie aufkommen lasse.

Der dritte Mythos geht von einer schwelenden Konkurrenz von Russland und China in Zentralasien aus. Mit Beginn des Ukrainekrieges war häufig die Rede davon, dass China Russland aus Zentralasien verdrängen würde. Doch tatsächlich sind keine Anzeichen eines Konfliktes zwischen Moskau und Peking erkennbar. Im Gegenteil, mit jedem Jahr arbeiten die beiden Großmächte enger zusammen im Kampf gegen den „Import von Farbrevolutionen“. Für beide Staaten liegt die Priorität darin, die Stabilität der autoritären Regime in der Region aufrechtzuerhalten und eine übermäßige Annäherung an den Westen zu verhindern. In der Zunahme der chinesischen Aktivitäten im Bereich der Sicherheit in Zentralasien sieht Moskau dabei eine Gelegenheit, sich die Verantwortung mit Peking zu teilen.

Das offensichtlichste Beispiel für die indirekte Zusammenarbeit Russlands und Chinas in Zentralasien ist dabei die rasante Zunahme von Handelsbeziehungen beider Großmächte mit den fünf Ländern der Region. China selbst versucht, die gegen Russland verhängten Sanktionen nicht direkt zu verletzen, liefert aber bereitwillig unter Sanktion stehende Waren über Kasachstan, Kirgistan und Usbekistan. Zugleich verwenden die Länder der Region im Handel mit Russland zunehmend den chinesischen Renminbi.

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Chinesische und russische Staatsunternehmen kooperieren auch mit den zentralasiatischen Staaten. So stellt beispielsweise ein Joint Venture zwischen Kazatomprom und der China General Nuclear Power Group Brennelemente für chinesische Reaktoren aus Uran her, das mit russischer Unterstützung angereichert wurde. Zudem hat Russland in diesem Jahr seine Öllieferungen an China über Kasachstan um 40 Prozent erhöht. Peking profitiert auch von dem Gaslieferungsabkommen zwischen Russland, Kasachstan und Usbekistan, welches China eine ununterbrochene Versorgung mit Brennstoff über Zentralasien garantiert. Umarov geht davon aus, dass Peking im Laufe der Jahre immer weniger auf russische Unterstützung in der Region angewiesen sein wird und in Zentralasien zunehmend ohne Rücksicht auf Russland agieren wird. Zum jetzigen Zeitpunkt führe die Entwicklung Russlands zum Juniorpartner Chinas nicht zu einer Konfrontation in Zentralasien, sondern zu einer ausgeprägten Zusammenarbeit.

Umarov: Zentralasiatische Staaten kein Spielball der mächtigen Nachbarländer

Und schließlich, so Umarov, liegen viele Beobachter:innen falsch, wenn sie den zentralasiatischen Ländern eine subjektive Haltung absprechen. Ihnen mag es dann scheinen, dass alle wichtigen Entscheidungen über die zentralasiatischen Länder hinweg durch die großen und einflussreichen Nachbarländer getroffen würden. Tatsächlich waren die zentralasiatischen Staaten noch nie so selbstständig wie aktuell, und die Zivilgesellschaften in diesen Ländern noch nie so fordernd gegenüber ihrer jeweiligen Staatsführung, so der Experte. Selbst die stärksten pro-chinesischen oder pro-russischen Positionen, die diese Staaten einnehmen können, fußen ausschließlich auf ihren eigenen pragmatischen Interessen. So kritisieren die zentralasiatischen Länder Peking beispielsweise nicht für die Politik gegenüber den Uigur:innen, obwohl diese auch in Zentralasien zahlreich leben. Dies liegt daran, dass sie dem Westen nicht den Ball zuspielen und ihm eine Begründung liefern wollen, sich erneut in die Angelegenheiten der Region einzumischen. Auch sind die Stützpunkte der chinesischen Volksmiliz für Tadschikistan von nicht geringem Nutzen.

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Hinzu kommt, dass die zentralasiatischen Länder aufgrund ihrer Lage tief im eurasischen Kontinent ohne Zugang zum Meer nicht davon profitieren, wenn ein einflussreicher Nachbar den anderen verdrängen sollte. Daher versuchen alle fünf zentralasiatischen Staaten, ihre Beziehungen so weit wie möglich zu diversifizieren. Durch Balancing zwischen verschiedenen Akteuren auf der Weltbühne sind sie in der Lage, sowohl mit einem aufstrebenden China als auch mit einem kriegstreibenden Russland umzugehen.

Redaktion von Kloop

Aus dem Russischen von Marie Schliesser

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