Startseite      Souveränität angesichts des Kriegs: Die ungewisse Zukunft der russischen Sprache in Kasachstan

Souveränität angesichts des Kriegs: Die ungewisse Zukunft der russischen Sprache in Kasachstan

Nach dem Beginn des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs auf die Ukraine befinden sich kasachstanische und russische Beamt:innen und Aktivist:innen in einem sich ausweitenden Konflikt über die Zukunft der russischen Sprache in Kasachstan. Die zunehmenden Spannungen erfordern eine genaue Analyse.

Russlands Botschaft in Astana, Photo: Wikimedia Commons

Nach dem Beginn des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs auf die Ukraine befinden sich kasachstanische und russische Beamt:innen und Aktivist:innen in einem sich ausweitenden Konflikt über die Zukunft der russischen Sprache in Kasachstan. Die zunehmenden Spannungen erfordern eine genaue Analyse.

In einem im März veröffentlichten Film, der von dem russischen Abgeordneten Andrej Lugowoi produziert wurde, wird die Ukraine mit Kasachstan verglichen. Wie Radio Azattyq, der kasachstanische Dienst von Radio Free Europe, berichtete, wird Kasachstan darin als „zunehmende russophobes Land“ bezeichnet. Es ist nicht das erste Mal, dass solche Äußerungen zu hören sind.

Bei einem Gastauftritt in der Politsendung des kremlnahen Moderators Wladimir Solowjow, erklärte der russische Politologe Dmitrij Drobnitskij im November 2022: „Wir sollten darauf achten, dass Kasachstan nicht zum nächsten Problemfall wird, da dort die gleichen Nazi-Entwicklungen wie in der Ukraine beginnen könnten. Und es leben viele Russen dort“.

Drobnitskij spricht eine klare Drohung aus, die, obschon sie nicht von offizieller Seite stammt, trotzdem dazu beiträgt, ein Klima der Spannung zwischen den beiden Ländern in der Frage der russischen Sprache in Kasachstan zu schaffen.

Gute Beziehungen in Kriegszeiten – eine Gratwanderung

Diese zunehmende Schärfe im Tonfall kommt nur wenig überraschend. Seit dem Beginn des Kriegs in der Ukraine versucht Kasachstan die Beziehungen zu all seinen Partnern aufrechtzuerhalten – von Russland bis hin zu den westlichen Ländern, inklusive der Europäischen Union.

Dies lässt sich gut am Besuch des französischen Präsidenten Emmanuel Macron in Astana im Jahr 2023 veranschaulichen, der das Land kurz nach dem russischen Präsidenten Wladimir Putin bereiste. Und auch die Passivität Kasachstans im Zusammenhang mit der Unterstützung Russlands bei den Kriegshandlungen in der Ukraine trägt sicherlich zu den harschen Worten in den russischen Talkshows bei.

Im Widerspruch mit der kasachstanischen Souveränität?

Der Konflikt in der Ukraine scheint noch weitere Probleme aufzuzeigen, vor allem im Zusammenhang mit der Selbstwahrnehmung des zentralasiatischen Landes. Indem Dmitrij Drobnitskij die Präsenz einer zahlenmäßig großen russischen Bevölkerung in Kasachstan betont, öffnet er die Tür zu einer generellen Reflexion über die Zukunft der russischen Sprache und Kultur in Kasachstan. Dies wiederum ist ein wichtiges Anliegen für die kasachstanische Souveränität.

Als Schauplatz zahlreicher Debatten, Reformen und Kurskorrekturen folgt Kasachstan einem klassischen Muster der Unsicherheit zwischen einer definitiven Rückkehr zu seiner ethnischen Turksprache, welche über lange Zeit vernachlässigt wurde, und der fortschreitenden Verwendung des Russischen zur Erleichterung der interethnischen und regionalen Verständigung.

Lest auch auf Novastan: Der Krieg in der Ukraine verleiht der kasachischen Sprache Auftrieb

Die beiden Amtssprachen sind in Kasachstan weder gesellschaftlich noch symbolisch gleichgestellt. Russisch ist nach wie vor die lingua franca Zentralasiens und wird von fast der gesamten kasachstanischen Bevölkerung verstanden und gesprochen. Im Gegenzug geben nur 40 Prozent der 18- bis 29-jährigen an, Kasachisch im Alltag zu verwenden, bei den über 60-jährigen sind es sogar nur 25 Prozent.

Russisch ist noch immer weit verbreitet

Die zahlreichen und ehrgeizigen Reformen, die die kasachstanische Regierung vorantreibt, um das Erlernen der kasachischen Sprache zu fördern, machen deutlich, wie viel noch zu tun ist. Von der Intensivierung des Kasachisch-Unterrichts in den Schulen bis hin zu der Idee, statt dem kyrillischen das lateinische Alphabet zu nutzen: Die Regierung Kasachstans hat sich das Ziel gesetzt, die Sprachlandschaft mittel- bis langfristig stark umzugestalten.

Für die 19.9 Millionen Einwohner:innen, von denen sich circa 15 Prozent zu der russischen Minderheit zählen, steht jedoch viel auf dem Spiel. Schätzungen zufolge sind nach der russischen Invasion der Ukraine im Jahr 2022 zehntausende russische Staatsbürger:innen hinzugekommen, die vor dem Regime in Moskau geflohen sind.

Da seit Kriegsausbruch ein größer Teil der Bevölkerung, inklusive der russischen Minderheit Kasachisch lernen möchte, vermutet Radio Free Europe, dass das Interesse an der kasachischen Sprache eng mit dem Wunsch nach größerer Unabhängigkeit und Souveränität verwoben ist. Sich von der russischen Sprache zu distanzieren wird so zu einem Mittel, sich von dem politischen und kulturellen Einfluss Russlands zu emanzipieren.

Kontroverse Aussagen von Entscheidungsträgern

Auf diese Dynamik hat das Kreml-Regime bereits mehrfach reagiert und die sprachlichen und kulturellen Entwicklungen in Kasachstan kritisiert. Vor allem die Äußerungen von Außenminister Sergej Lawrow im November 2021 lösten dabei öffentlichen Unmut aus.

In einem Artikel mit dem Titel „Russland und Kasachstan: Zusammenarbeit ohne Grenzen“ erklärte Lawrow: „Leider wurden wir in letzter Zeit Zeugen einer Reihe von medienwirksamen fremdenfeindlichen Handlungen gegen russischsprachige Bürger Kasachstans, die größtenteils auf das Konto externer Akteure gehen und die spezielle Informationsmethoden verwenden, welche darauf ausgelegt sind, Lokalpatriotismus anzustacheln und die Zusammenarbeit mit Russland zu diskreditieren.“

Lest auch auf Novastan: Kasachstans langsamer, aber bestimmter Weg zum lateinischen Alphabet

Auch wenn Sergej Lawrow seither einen milderen Ton gegenüber Kasachstan und dessen Regierung anschlägt, ist er bei weitem nicht der einzige russische Politiker, der sich zu diesem Thema geäußert hat. So berichtet etwa The Moscow Times, dass der russische Generalskonsul in Kasachstan, Jewgeni Bobrow, 2023 das Land verlassen musste, nachdem er den kasachstanischen Staat und das Bildungsministerium beschuldigt hatte, russischsprachige Schulen zu diskriminieren.

Aktivistische Bestrebungen auf beiden Seiten

Trotz der russischen Kritik an den gegenwärtigen und zukünftigen Bemühungen in Kasachstan ist der Wunsch der Aktivist:innen im Land, die Bedeutung der kasachischen Kultur zu stärken, unvermindert geblieben.

Viele junge kasachische Aktivist:innen, die in traditionellen Nachrichtenmedien und sozialen Netzwerken aktiv sind, fordern zunehmend eine Rückbesinnung auf die „traditionelle“ kasachische Kultur und brechen dabei mitunter Gesetze: Radio Free Europe berichtete 2021 über Quat Ahmetov, der aus Kasachstan in die Ukraine geflohen war, weil gegen ihn wegen Volksverhetzung ermittelt wurde. Er hatte sich gefilmt, wie er russischsprachige Kasach:innen aufforderte, ihm auf Kasachisch zu antworten.

Umgekehrt schrecken auch die Verteidiger der russischen Sprache nicht vor harschen Zurechtweisungen zurück. So empörte sich Tina Kandelaki, die wie Solowjow als Fernsehmoderatorin arbeitet, im Januar 2024 in den sozialen Medien über die Entscheidung Bahnhöfe in Kasachstan nunmehr nur noch auf Kasachisch anzuschreiben. Laut Kandelaki sei dies ein erste Schritt zur Ausgrenzung der Russen aus dem öffentlichen Leben in Kasachstan, so Eurasianet.

Mögliche Szenarien eines sich anbahnenden Konflikts

In Kasachstan gab es seit der Unabhängigkeit im Jahr 1991 keine größeren ethnischen Konflikte, doch das Szenario einer Auseinandersetzung mit Russland darf – obschon noch weit von der Realität entfernt – nicht völlig ignoriert werden. So wies das Quincy Institute 2023 auf den sich ausbreitenden Nationalismus in der kasachischen Bevölkerung und Kultur hin und empfahl den USA sich auf eine mögliche Destabilisierung des Landes vorzubereiten.

Angesichts der großen Herausforderung, den Frieden zu bewahren, muss Kasachstan versuchen, die Gratwanderung zwischen einer Zurückweisung des russischen Imperialismus und einer sprachlichen Inklusion des Russischen zu meistern.

Helmand Gardezi für Novastan

Übersetzt aus dem Französischen von Maximilian Rau

Noch mehr Zentralasien findet ihr auf unseren Social Media Kanälen: Schaut mal vorbei bei Twitter, Facebook, Telegram, Linkedin oder Instagram. Für Zentralasien direkt in eurer Mailbox könnt ihr euch auch zu unserem wöchentlichen Newsletter anmelden.

Kommentare

Your comment will be revised by the site if needed.