NACHHALTIGES ZENTRALASIEN. Die Energiewende ist auch in Kasachstan zu einem wichtigen Thema geworden, allerdings fehlt es an Spezialisten. Wie deren Ausbildung läuft und was in diesem Bereich zu tun ist, erklärt Dr. Abylaikhan Soltanayev von der Almaty Universität für Energietechnik und Telekommunikation (AUPET) im Interview.
Dr. Soltanayev, Ihre Institution ist recht einzigartig in der Region, da sie interdisziplinäre und internationale innovative Schulungsprogramme und Projekte veranstaltet. Aber bevor wir über Ihre Arbeit sprechen, könnten Sie uns bitte erzählen, wie Sie persönlich zum Bereich der nachhaltigen Energie gekommen sind?
Das erste Mal in Berührung gekommen bin ich mit dem Thema Nachhaltigkeit während meines Kurses über elektrisches Energiemanagement 2010 an der Almaty Universität für Energietechnik und Telekommunikation (AUPET). In dem Jahr konnte ich eine Gruppe von Studenten im Grundstudium zusammenbringen und überzeugte die Universitätsleitung davon, ein zusätzliches Fachgebiet im Bereich Nachhaltige Energie für uns einzurichten.
Nach fortwährenden Verhandlungen mit der Universität machte diese Gruppe mit Arbeiten zu erneuerbaren Energiequellen im Fach Studien zur Stromversorgung ihren Abschluss. Seitdem kann die Universität Spezialisten für Grüne Energie mit einem Schwerpunkt in Erneuerbaren Energiequellen ausbilden.
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Als vereinsgetragene, unabhängige Plattform lebt Novastan vom Enthusiasmus seiner ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen – und von eurer Unterstützung!Außerdem nahm ich 2011 an der von der DAAD gegründeten International Association for the Exchange of Students for Technical Experience (IASTE) teil und reiste zur Technischen Universität Darmstadt. In Darmstadt konnte ich praktische Erfahrungen in der Arbeit mit Solar-Photovoltaik-Anlagen und weiteren erneuerbaren Energietechnologien sammeln.
Danach erwarb ich einen Masterabschluss in Erneuerbare Energien und Energiesystemmanagement an der London University. Nach meiner Rückkehr nach Kasachstan habe ich in verschiedenen Projekten für erneuerbare Energien im privaten Sektor gearbeitet, darunter Design und Konstruktion von erneuerbaren Energiestationen. Für den höheren Bildungssektor entwarf ich einen speziellen Kurs für Erneuerbare Energietechnologien.
Die Deutsch-Kasachische Universität und die Almaty Universität für Energietechnik und Telekommunikation haben mit internationalen Geldgebern zusammengearbeitet, um einen einzigartigen Kurs zur Sauberen Energiewende für Bachelor- und Masterstudenten zu entwickeln und zu lehren. Woher kam diese Idee? Gibt es eine Nachfrage für so einen Kurs?
Ich würde gerne anfangen mit der Erneuerbare Energien-Exkursion, einem Lehrprojekt, welches die Möglichkeit bietet, viele erneuerbare Energietechnologie-Anlagen in Kasachstan zu besuchen. Die Deutsch-Kasachische Universität und hier insbesondere Dr. Alexey Kobzev organisieren diese jährliche Exkursion. Während einer dieser Exkursionen habe ich Alexey getroffen und wir diskutierten über verschiedene Themen und Möglichkeiten für eine Zusammenarbeit im Bereich grüne Energie. Eine davon war der Kurs zur Sauberen Energiewende, entwickelt mit Unterstützung der US-Botschaft in Kasachstan.
Das Team, welches den innovativen Kurs zur Sauberen Energiewende entwickelt hat, umfasste mich selbst (als Repräsentanten von AUPET), die Deutsch-Kasachische Universität, und dazu Experten für Ökologie, nachhaltige Entwicklung, Stadtplanung und Public Policy (Staatstätigkeit) von verschiedenen höheren Bildungsinstitutionen, darunter die Kasachisch-Britische Technische Universität, die Satbayev Universität und US-amerikanische Universitäten – die George Washington Universität und die George Mason Universität.
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Die Deutsch-Kasachische Universität gab eine 5-tägige Schulung, auf welcher die Kursentwickler und geladene Vortragende die Kursinhalte diskutierten, um einen Testlauf zu veranstalten. Der Kurs bekam positive Rückmeldungen von den Trainingsteilnehmern. Ich wurde der erste Partner, um diesen Kurs im Masterprogramm „Moderne und innovative erneuerbare Energietechnologien“ bei AUPET vorzustellen. Es ist geplant, dass dieser Kurs vom israelischen Gelehrten German Trofimov abgehalten wird, welcher direkt an Kasachstans Energiewende mitgearbeitet hat.
Letztens hatten wir ein Treffen mit den Vertretern der Region Südkasachstan, bei welchem wir unser Projekt vorstellen konnten. Sie haben es wärmstens begrüßt, und teilten uns mit, dass sie den Kurs zwar nicht in Gänze in ihr Lehrprogramm aufnehmen könnten, aber zumindest einen Teil, was schon mal ein Erfolg ist. Es gibt auch Pläne, den Kurs zu erweitern und in benachbarte zentralasiatische Länder auszuweiten.
Als Lehrender sind Sie bei der Arbeit in ständigem Kontakt mit Jugendlichen: Haben Sie den Eindruck, dass die heutige Generation umweltbewusster ist?
Unglücklicherweise ist ein Umweltbewusstsein in Kasachstan meiner Meinung nach eher gering ausgeprägt. Zurzeit arbeite ich am Hauptausbildungszentrum für Energiespezialisten in Kasachstan, und ich arbeite dabei eng zusammen mit Studenten aus allen Regionen des Landes. Ich kann ganz klar sehen, dass es eine Lücke gibt zwischen den normalen Energiestudenten und jenen, welche sich speziell für die Lehre der erneuerbaren Energie entschieden haben.
Die Ersteren haben ganz einfach kein Verständnis für Ökologie, weil sie, wie sie selbst bestätigen, nichts im Zusammenhang mit Umwelt in der Schule oder zu Hause beigebracht bekommen haben. Die Letzteren haben ein grundlegendes Wissen über und Verständnis für ökologische Probleme. Das große Problem ist, dass die normalen Energiestudenten mehrere Hundert sind, aber die Studenten der erneuerbaren Energie kaum ein paar Dutzend.
Was sind die Hauptherausforderungen für einen reibungslosen und effizienten Übergang zu sauberer Energie in Zentralasien allgemein und in Kasachstan im Speziellen?
Das Hauptproblem in Kasachstan ist die passive öffentliche Einstellung. Die Leute haben Angst, dass saubere Energieproduktion zu einem Anstieg der Energiepreise führen würde. Außerdem gibt es einen gravierenden Mangel an Verständnis für den Schutz der Umwelt und ökologische Zusammenhänge. Aber gleichzeitig zeigt die Zunahme an Unfällen in großen Stromkraftwerken, dass die Energiewende nicht warten kann.
Während die defekten Kessel in der Stadt Kentau während der Heizperiode unbemerkt blieben, zog der Fall der im Frost gefangenen Stadt Ekibastuz die Aufmerksamkeit des ganzen Landes auf sich. Nichtsdestotrotz hat die kasachstanische Öffentlichkeit nichts daraus gelernt. Die Leute scheinen lieber unter dem Gestank verbrannter Kohle der Heizstationen zu leiden als für sauberere Energie zu zahlen. Es gibt kein Verständnis dafür, dass sie weit mehr für die dadurch verursachten gesundheitlichen Probleme werden zahlen müssen.
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Kirgistan verlässt sich zum großen Teil auf seine Wasserkraftwerke. Aber wenn die Wasserstände niedrig sind, gibt es ein Energiedefizit im Land. Von daher braucht auch dieses Land weitere erneuerbare Energiequellen für Energiesicherheit. Das verlangt aber nach bedeutenden Investitionen und einem festen regulatorischen Rahmen, welcher zukünftigen Investoren in saubere Energie die Finanzierung garantieren kann. Die große Frage ist, wer zahlt für die Ausgaben für saubere Energie? Zusätzlich sind die Energiepreise in Kirgistan sehr niedrig, was privatwirtschaftliche Projekte für erneuerbare Energie unprofitabel macht.
Usbekistan stützt sich auf die Wasserkraft und auf Gasturbinenkraftwerke. Allerdings bleibt Wasser eine knappe Ressource, und niedrige Wasserpegel können sowohl die Landwirtschaft als auch die Energieproduktion beeinträchtigen. Bei Gas besteht ein ähnliches Problem: Diese Ressource wird in naher Zukunft ganz einfach aufgebraucht sein. Deshalb benötigt Usbekistan dringend eine große Anzahl von Solarkraftwerken. Und zusätzlich muss es einen festen regulatorischen Rahmen entwickeln für die Einführung von erneuerbaren Energien durch eine Erhöhung der Anzahl von Investoren.
Was muss Kasachstan Ihrer Meinung nach tun, um seinen Übergang zu sauberer Energie zu beschleunigen?
Kasachstan muss das öffentliche Bewusstsein für ökologische Probleme erhöhen und ein vollumfängliches Verständnis dafür sichern, dass zum Beispiel die zunehmende Zahl chronischer Erkrankungen von Kindern in Almaty mit der Verschmutzung durch Heizstationen und Hunderten alter Autos verbunden ist. Wir könnten uns ein Beispiel nehmen am deutschen Erfolgsmodell: Deutschland hat Reinigungs- und Filteranlagen in Wärmekraftwerken wie dem Rheinhafen-Dampfkraftwerk installiert, um den Schaden für die Gesundheit der Menschen und die Umwelt zu begrenzen. Wir könnten die Anzahl von Umweltorganisationen erhöhen und es ihnen erlauben, schädliche industrielle Projekte zu besuchen, und ebenso die Strafen für Verschmutzung erhöhen. Firmen sollten das Gefühl haben, dass ein Wandel zu sauberer Energie mehr Sinn macht als das Zahlen unbedeutender Strafen.
Was denken Sie über das Potenzial von Living Labs in Ihrem Land?
Living Labs könnte möglicherweise einen Anstoß für nachhaltige Entwicklung in Kasachstan geben, wenn alle Akteure voll dabei wären. Diese Akteure sind die Regierung (Stadt- und Kommunalbehörden), regierungsnahe Organisationen (SICs – sozial-industrielle Unternehmen), die Wissenschaft (Universitäten, Hochschulen und Schulen), Unternehmen, Umweltschutzorganisationen und natürlich die breite Öffentlichkeit. Wie ich vorab gesagt habe, die Bevölkerung sollte grundlegendes Wissen zu diesen Problemen vermittelt bekommen.
Die Menschen müssen auch verstehen, dass diese Initiativen keine schnelle Lösung bieten, sondern ein nachhaltiges und langfristiges Projekt darstellen. Es ist höchste Zeit für die Menschen zu verstehen, dass es auch Verbesserungen geben wird, wenn jeder diese Projekte unterstützt, so gut er eben kann.
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Das Living Labs wird sein Potenzial in Kasachstan dann entfalten können, wenn die Labore der weiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, anstatt in engen Zirkeln implementiert zu werden, nur um offiziell den Anforderungen zu genügen. Es gab den Fall eines Living Labs, welches an einer Universität in Almaty operierte, aber alle seine Teilnehmer kamen von einer einzigen Universität. Das widerspricht komplett der grundlegenden Philosophie des Living Labs Konzepts.
Dieses Interview ist im Rahmen einer Studienreise zentralasiatischer Expertinnen und Experten nach Deutschland im Juni 2023 entstanden. Die Studienreise zum Thema Reallabore der Nachhaltigkeit und Energiewende wurde von der Organisation SPCE Hub und der Intersectoral School of Governance Baden-Württemberg (ISoG BW) durchgeführt. Das Projekt wurde vom Deutschen Akademischen Austausch Dienst (DAAD) mit Mitteln des Auswärtigen Amtes gefördert.
Das Interview führte Aijan Sharshenova
Aus dem Englischen von Mafra Martens
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