Um Fehlinterpretationen des auf der Flagge erscheinenden Symbols auszuschließen, hat Kirgistans Parlament ein Gesetz zur Änderung von Elementen erlassen. Die Bevölkerung ist in Aufruhr.
Die Abgeordneten des kirgisischen Parlaments Dschogorku Kengesch haben am 29. November den Entwurf zur Änderung des Gesetzes über Staatssymbole der Kirgisischen Republik angenommen. Mit 66 Ja- und 8 Nein-Stimmen nahmen die Parlamentarier:innen den bereits am Vortag im Parlamentsausschuss bestätigten Text an, der eine Änderung der Nationalflagge vorsieht.
Die kirgisische Flagge wurde am 3. März 1992 eingeführt und stellt auf rotem Grund eine gelbe Sonne dar. Diese wird umgeben von 40 Strahlen, die die 40 kirgisischen Stämme symbolisieren. In der Mitte der Sonne befindet sich ein Tündük, ein Holzreifen, der von drei Tschamgarak genannten Holzstreifen durchzogen ist. Der Tündük ist das zentrale Element des Daches einer Jurte und bildet ein Fenster, das Licht hereinlässt und für Belüftung sorgt.
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Als vereinsgetragene, unabhängige Plattform lebt Novastan vom Enthusiasmus seiner ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen – und von eurer Unterstützung!Der Gesetzentwurf wurde am 28. September von den Abgeordneten Nurlanbek Schakijew und Ulan Primow initiiert und erhielt die Unterstützung von Präsident Sadyr Dschaparow, der sich in einem Interview mit der staatlichen Presseagentur Kabar zu diesem Thema äußerte. Neben der Hinzufügung eines vierten Tschamgarak zielt die Änderung hauptsächlich darauf ab, die bisher wellenförmigen Sonnenstrahlen, die auf der Flagge erscheinen, zu glätten.
„Als ob die Sonne scheint und uns anlächelt“, erklärte Dschaparow. „Wir werden ein entwickeltes und unabhängiges Land sein, wie die Sonnenstrahlen auf unserer Flagge, die durch den Tündük eindringen.“ Wie die kirgisische Presseagentur 24.kg berichtet, schlägt der Abgeordnete Nurlanbek Asygalijew auch Änderungen hinsichtlich der Hymne und des Wappens vor.
Unklarheiten beseitigen
Dschaparow erklärte gegenüber Kabar, dass Ausländer:innen das Symbol als eine Sonnenblume interpretieren und sich dann vorstellten würden, dass Kirgistan ein Land sei, in dem große Mengen davon angebaut werden. Es ist aber auch eine Metapher, die Abhängigkeit hervorruft, denn die Sonnenblume „neigt sich zur Sonne“. „Seit der Unabhängigkeit sind wir stark von der Außenwelt abhängig. Vielleicht ist es an der Zeit, das Erscheinungsbild unserer Flagge zu überdenken“, sagte der Präsident.
Kirgistans Flagge in der seit 1992 gültigen Version
Der neue Flaggenentwurf
Wie das kirgisische Nachrichtenportal Kloop berichtet, versucht Mitinitiator Nurlanbek Schakijew bezüglich der Kosten zu beruhigen. Ein Teil der Finanzierung werde von „Sponsoren“ gestemmt, versichert er, ohne diese namentlich zu nennen. „Wir haben viele Patrioten“, erklärte er einfach. Es müssen weder Kfz-Kennzeichen noch Ausweisdokumente geändert werden, neue Kennzeichen werden künftig mit der neuen Flagge ausgestellt und Ausweisdokumente behalten bis zu ihrem Ablaufdatum ihre Gültigkeit. In Regierungsbehörden, in den 32 kirgisischen Botschaften sowie bei den Vereinten Nationen werden Flaggen gewechselt. Das seien rund 150 Flaggen, so Schakijew.
Öffentliche Kritik
Zu den Gegnern der Modifikation gehört einer der Urheber der 1992 eingeführten Flagge. Bekbosun Dschaitschybekow erklärte in einem Interview mit dem Nachrichtenportal Kaktus Media, dass die Umwandlung der Wellenstrahlen in gerade Linien „die schlechteste Option, die schlechteste Möglichkeit“ darstelle. Einige Abgeordnete sagen, diese Änderungen seien einfach nicht notwendig. Auch Bolot Ibragimow, einer der Berater des Präsidenten, sprach sich öffentlich gegen diese Änderung aus. Es gebe „viele größere Probleme, die so schnell wie möglich gelöst werden müssen“, postete er auf Instagram.
Staatssekretär Sujunbek Kasmambetow warnte auf Facebook, dass die Behörden auf die vielen Kirgis:innen achten sollten, die gegen den Flaggenwechsel seien. „Hoffen wir, dass die vom Volk gewählten Abgeordneten des Dschogorku Kengesch unter Berücksichtigung der Wünsche des Volkes handeln“, postete er im sozialen Netzwerk.
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Der Abgeordnete Dastanbek Dschumabekow schlug vor, ein Referendum zu diesem Thema zu organisieren. Ulan Primow wies dies mit der Begründung zurück, dass es 1992 kein Referendum für die Einführung der Flagge gegeben habe, berichtet das kasachstanische Internetportal Vecher.
„Wir müssen die Meinung der Menschen berücksichtigen. Wenn die Regierung tut, was sie will, wird das Vertrauen der Menschen sinken“, warnt der Medienexperte Mirdschan Balybajew laut der zu Radio Free Europe gehörenden Seite Echo Kawkasa.
Ein Aufschrei in der Bevölkerung
Der Vorschlag, die Flagge zu ändern, wird von einem großen Teil der Bevölkerung abgelehnt. Eine für den 3. Dezember in der Hauptstadt Bischkek geplante Kundgebung gegen den Flaggenwechsel wurde von der Polizei verhindert, berichtet Radio Azattyk, der kirgisische Dienst von Radio Free Europe. Nach diesem gescheiterten Versuch planten die Organisator:innen für den 9. Dezember eine neue Versammlung, auf dem Maxim-Gorki-Platz, wo Versammlungen gestattet sind.
Auch Social-Media-Nutzer:innen machen mobil. Der Hashtag #неменяйтефлаг (Ändert nicht die Flagge) verbreitet sich in kirgisischen Netzwerken. Präsident Dschaparows Instagram-Seite wurde mit Kommentaren überschwemmt, in denen er aufgefordert wurde, die Flagge nicht zu verändern, berichtet Kaktus Media. Eine Online-Petition wurde gestartet und hat bis zum 8. Dezember mehr als 5.400 Unterschriften gesammelt. Radio Azattyk führte eine Umfrage durch: Von mehr als 40.000 Befragten wollten rund 80 Prozent die aktuelle Flagge behalten.
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Zu den Kritikern des Gesetzentwurfs zählt auch der Abgeordnete Dastan Bekeschew. „Der Wechsel der Nationalflagge ist nur ein Anstoß, unsere Geschichte neu zu schreiben. Wie viele Wähler sehe ich keinen Sinn darin, unsere Flagge zu ändern, unsere Flagge zu verraten“, sagte er laut Kloop.
Semetej Amanbekow, kirgisischer Jurist und Journalist, stellte am 25. Oktober die Hypothese auf, dass der Wechsel der Flagge nur eine Möglichkeit für die Regierung sei, die Aufmerksamkeit von dem umstrittenen Gesetz über ausländische Agenten abzulenken.
Eléonore Darasse für Novastan
Aus dem Französischen von Robin Roth
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