Bis zum Hidschab ist es noch weit, aber… Vor kurzem haben Expert:innen für Menschenrechte und Geschlechtergleichstellung den aktualisierten WPS-Index veröffentlicht, der die Situation von Frauen in 177 Ländern berücksichtigt. Erwartungsgemäß führt Europa mit Dänemark, der Schweiz und Schweden die Rangliste an. Die zentralasiatischen Republiken liegen im Mittelfeld. Dabei schneidet Turkmenistan deutlich besser als die anderen Länder der Region.
Der WPS-Index wird gemeinsam vom Georgetown Institute for Women, Peace and Security (USA) und dem Norwegian Institute for Peace Studies erstellt. Er wird alle zwei Jahre veröffentlicht. Berücksichtigt werden verschiedene Kriterien aus den Kategorien Inklusivität, Gerechtigkeit und Sicherheit. Analysiert werden beispielsweise der Zugang zu Bildung, Beschäftigung und die Rolle von Frauen in der Regierung, Fragen der rechtlichen Diskriminierung, das Ausmaß häuslicher Gewalt und die Nähe zu bewaffneten Konflikten.
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Als vereinsgetragene, unabhängige Plattform lebt Novastan vom Enthusiasmus seiner ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen – und von eurer Unterstützung!Im jüngsten Bericht werden die zentralasiatischen Länder wie folgt eingestuft: Als höchstklassiertes Land liegt Turkmenistan auf Platz 58, Kasachstan auf Platz 70, Tadschikistan auf Platz 90, Usbekistan auf Platz 94, und Kirgistan auf Platz 95.
Zum Vergleich: Turkmenistan liegt nur einen Punkt hinter Russland, aber vor Zypern, Belarus und Brasilien, wenn es um Frieden und Sicherheit für Frauen geht.
Turkmenistan als umstrittener Vorreiter
Die Vorreiterrolle Turkmenistans beim Schutz der Frauenrechte erscheint fragwürdig. Zum einen besteht seit der Amtszeit des ersten Präsidenten Saparmyrat Nyýazow ein Verbot, bunte Kleidung zu tragen. Die Behörden schreiben den Frauen Turkmenistans uniforme Bekleidung vor, etwa lange, die Figur kaschierende Kleider und keine engen Jeans.
Diese Vorschriften gelten nicht nur bis heute, Nyýazows Nachfolger haben sie sogar noch verschärft. So dürfen Beamte nur noch die Landestracht tragen und müssen mit Geldstrafen rechnen, wenn sie sich nicht an die Kleiderordnung halten. Maniküre und Make-up sind tabu.
Serdar Berdimuhamedow, seit März 2022 im Amt, gilt als Verfechter natürlicher weiblicher Schönheit, manche Medien bezeichnen ihn offen als Frauenfeind. Der Präsident scheint diese Bezeichnung durch unausgesprochene Verbote zu bestätigen. So wird berichtet, dass Beamte auf seinen Wunsch hin die Arbeit von Schönheitssalons eingeschränkt haben – nur noch Haareschneiden ist möglich, kosmetische Eingriffe, die fast ausschließlich von Frauen in Anspruch genommen wurden, sind verboten. Zudem sollen Sicherheitskräfte Razzien auf Märkten und in Geschäften durchgeführt haben, um nach illegalen Waren wie Lippenstift, Nagellack, Wimperntusche und anderen Kosmetika zu suchen.
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Auch Brustvergrößerungen, Lippenkorrekturen und Botox-Injektionen zur Faltenglättung sind dem Präsidenten ein Dorn im Auge und seit diesem Jahr illegal. Lokalen Quellen zufolge führte dies zur Entlassung mehrerer Dutzend Flug- und Zugbegleiterinnen, weil sie ihr natürliches Aussehen chirurgisch und kosmetisch verändert hatten.
Ein weiteres Beispiel für die Diskriminierung von Frauen in Turkmenistan ist das Verbot, Auto zu fahren. Frauen dürfen nur dann Auto fahren, wenn sie mindestens 40 Jahre alt sind, einen Ehepartner haben und einen Führerschein besitzen. Außerdem kontrollieren die Behörden, dass Frauen in Taxis wie auch privaten Autos auf dem Rücksitz Platz nehmen; der Vordersitz ist Männern vorbehalten.
Menschenrechtsaktivist:innen erklärten, dass Frauen in Turkmenistan als Bürgerinnen zweiter Klasse behandelt werden. Abtreibung ist praktisch verboten, Zwangsehen, Jungfräulichkeitstests und häusliche Gewalt sind weit verbreitet. Und 60 Prozent der Frauen in Turkmenistan glauben, dass ein Ehemann das Recht hat, seine Frau zu schlagen. Auch hier bietet die Gesetzgebung kaum Schutz, so die Schlussfolgerung.
Trotzdem steht Turkmenistan an der Spitze des Women‘s Peace and Security Index in Zentralasien.
Auf dem letzten Platz: Kirgistan
Das Schlusslicht des WPS-Index in Zentralasien bildet Kirgistan. Hauptgrund dafür ist der dort weit verbreitete „Brauch“ der Brautentführung, auf Kirgisisch ala kachuu „packen und weglaufen“. Viele Menschen halten es für normal, wenn am helllichten Tag eine Gruppe von Männern eine junge Frau gewaltsam in ein Auto zerrt und an einen unbekannten Ort bringt.
Manchmal enden solche Vorfälle tragisch. 2018 schockierte der Mord an der 19-jährigen Burulaj Turdalijewa die Öffentlichkeit. Das Auto ihres „Verlobten-Entführers“ wurde von der Verkehrspolizei angehalten, woraufhin der junge Kirgise gewalttätig wurde und sein Opfer in einem Wutanfall erstach.
Aufsehen erregte auch die Entführung der 26-jährigen Aisada Kanatbekowa im Jahr 2021, deren Leiche zwei Tage nach ihrem Verschwinden gefunden wurde. Den Ermittlungen zufolge hatte sie sich gegen ihren „Verlobten“ zur Wehr gesetzt, der sie vergewaltigte und erwürgte. Anschließend beging er Selbstmord. An der Entführung des Mädchens waren fünf Personen beteiligt. Die Komplizen des Entführers wurden später zu Haftstrafen von bis zu sieben Jahren verurteilt. Diese Fälle lösten in der Gesellschaft Kontroversen aus, doch unzählige weitere Vorfälle dieser Art bleiben der Öffentlichkeit verborgen.
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Das Schlimmste sei, dass die Behörden nicht immer bereit seien, Brautraub als Straftat einzustufen. Der Abgeordnete Meikenbek Abdalijew zog eine Analogie zwischen Viehdiebstahl und ala kachuu: Ersteres sei eine schwere Straftat, letzteres eine „nationale Tradition“. Damit erklärte er, warum es sich lohne, die Strafen für Viehdiebstahl zu verschärfen, nicht aber für Zwangsheirat.
Leider werden Gewalt und Missbrauch von Frauen auch in Kirgistan zur „Tradition“. In den Nachrichten wird immer wieder von solchen Vorfällen in verschiedenen Regionen des Landes berichtet. Ein ungeheuerlicher Fall ereignete sich im September dieses Jahres, als ein Mann seine Ex-Frau mehrere Stunden lang folterte, weil er sie der Untreue verdächtigte. Dabei schnitt der Täter der Frau Ohren und Nase ab. Zuvor hatte sich die Kirgisin zweimal wegen Vergewaltigung an die Polizei gewandt. Beim zweiten Mal kam der Fall vor Gericht, der Richter verurteilte den Angeklagten zwar zu drei Jahren auf Bewährung, doch das Gesetz hätte eine viel härtere Strafe vorgesehen.
Fortschritte in Usbekistan, Kasachstan und Tadschikistan
In der Region werden aber auch Gesetze zugunsten von Frauen verabschiedet. Usbekistan und Kasachstan haben diesbezüglich mehrere grundlegende Gesetzesänderungen vorgenommen.
In Usbekistan kämpften Menschenrechtsverteidigende über ein Jahr lang für die Aufnahme von häuslicher Gewalt in das Strafgesetzbuch. Im April 2023 unterzeichnete Präsident Shavkat Mirziyoyev ein Gesetz zum Schutz von Frauen und Kindern. Darüber hinaus wurde sexuelle Belästigung in die Liste der Ordnungswidrigkeiten aufgenommen, und selbst beleidigene Berührungen, Gesten und verbale Beschreibungen der Figur oder des Aussehens einer Person sind nun strafbar.
Obwohl lokale Aktivist:innen dies als laschen Kompromiss betrachten, ist es dennoch ein Fortschritt. Dies wurde auch von internationalen Organisationen betont, so begrüßte Amnesty International die Kriminalisierung häuslicher Gewalt und bezeichnete das Vorgehen der Behörden als wichtigen Schritt zur Erfüllung der menschenrechtlichen Verpflichtungen Usbekistans.
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Auch in Kasachstan wird das Thema häusliche Gewalt seit Jahren diskutiert. Im vergangenen Herbst ließ Präsident Qasym-Jomart Toqaev die Strafen für solche Verbrechen verschärfen. Eine bahnbrechende Reform gibt der Polizei das Recht, misshandelnde Ehemänner zu verfolgen, auch wenn das Opfer keine Anzeige erstattet hat. Diese Neuerung ist besonders wichtig angesichts der Statistiken des Innenministeriums, nach denen die Strafverfolgungsbehörden seit Anfang 2023 rund 5.000 Fälle häuslicher Gewalt nicht mehr verfolgen, weil sich die Parteien versöhnt haben.
Kasachstan hat die Bekämpfung von Zwangsheiraten weiter ernsthaft in Angriff genommen. Es wird ein Artikel über „Brautraub“ ausgearbeitet, und in Zukunft sollen Entführer auch dann strafrechtlich verfolgt werden, wenn sie das Opfer freiwillig freilassen. Menschenrechtsaktivist:innen betonen, dass Zwangsheiraten in Kasachstan weit verbreitet sind, insbesondere in den südlichen Regionen. Mädchen, die zur Heirat geraubt werden, werden oft geschlagen oder vergewaltigt. Die Änderung des Frauenschutzgesetzes sollte daher nicht aufgeschoben werden.
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In Tadschikistan schließlich sind die Rechte der Frauen „durchschnittlich“: Die Medien sind nicht voll von Berichten über häusliche Gewalt, und es gibt keine öffentlichen Fälle von Rechtsverletzungen, obwohl es in der Realität viele gibt.
Dennoch gibt es positive Entwicklungen, etwa bei der Bestrafung von Schwiegermüttern, die ihre Schwiegertöchter demütigen. So werden beispielsweise nach dem Selbstmord einer Schwiegertochter Gerichtsverfahren eingeleitet und die (Mit-)Verantwortlichen juristisch bestraft. Im vergangenen Jahr wurden zwei solche Urteile bekannt: Eine ältere Frau wurde zu sieben, eine andere zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Hoffentlich hören die Schwiegermütter dann auf, die Frauen ihrer Söhne wie Sklavinnen zu behandeln….
Eine schwierige Situation
Die Situation des Schutzes der Frauenrechte in den postsowjetischen Staaten Zentralasiens ist sehr unterschiedlich, aber Turkmenistan scheint in dieser Hinsicht kein fortschrittliches Land. Sein Ruf wird offenbar dadurch gerettet, dass die meisten Verbote inoffiziell eingeführt wurden, während sich die Forschenden auf offizielle Daten stützen.
Man kann nur hoffen, dass die Situation in Zentralasien nicht auf das Niveau des benachbarten Afghanistan abrutscht, wo Frauen Medienberichten und Menschenrechtsaktivist:innen zufolge praktisch aller Rechte beraubt sind. Immerhin belegt der von den Taliban beherrschte Staat im „Women’s Peace and Security Index“ den letzten Platz.
Fergana News
Aus dem Russischen von Michèle Häfliger
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