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Sicherheit der Bergleute bei Arcelor Mittal Temirtau: Ändert ein Investorenwechsel etwas?

Seit in Kasachstan um mehr als fünfzig kasachstanische Bergleute getrauert wird, die bei einem Bergbauunglück verunglückten, wird einmal mehr über einen Investorenwechsel diskutiert. Denn ohne strukturelle Veränderungen wird das Leben der Bergleute weiterhin gefährdet sein, meint der Ökonom Kuat Akijanov in seiner Analyse für das kasachstanische Medium Vlast. Wir übersetzen mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.

Das Unternehmen ArcelorMittal steht wegen wiederholten Unfällen in der Kritik, Photo: Wikimedia Commons

Seit in Kasachstan um mehr als fünfzig kasachstanische Bergleute getrauert wird, die bei einem Bergbauunglück verunglückten, wird einmal mehr über einen Investorenwechsel diskutiert. Denn ohne strukturelle Veränderungen wird das Leben der Bergleute weiterhin gefährdet sein, meint der Ökonom Kuat Akijanov in seiner Analyse für das kasachstanische Medium Vlast. Wir übersetzen mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.

Die aktuelle Debatte um das Bergwerk Arcelor Mittal in Temirtau (Region Karaganda) akzeptiert blind die bestehende kapitalistische Logik. Dabei werden Fragen struktureller Veränderungen in der Wirtschaft ausgeklammert, die notwendig wären, um die Gesundheit und das Leben der Arbeiter in den kasachstanischen Bergwerken und Minen nicht zu gefährden und ihnen einen angemessenen Lohn für ihre harte Arbeit zu sichern.

In dieser kapitalistischen Weltanschauung kümmern sich Politiker und Experten nicht um den Schutz der Arbeitnehmerrechte, die gerechte Verteilung der Einkommen oder um die Verwaltung der Produktionsmittel. Dies würde zu der Erkenntnis führen, dass der Wechsel eines Eigentümers durch einen anderen, selbst den „strategischsten“, keine Garantie für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen in kasachstanischen Unternehmen ist. Ein neuer Eigentümer wird die Kreditschulden der kasachstanischen Bevölkerung nicht verringern, keine neuen Wirtschaftszweige schaffen und die zahlreichen Probleme der Städte mit Monoindustrie nicht lösen.

„Normativer Neoliberalismus“

All dies ist das Ergebnis dessen, was der Ökonom Akijanov in seiner Forschung als Phase des „normativen Neoliberalismus“ bezeichnet. Diese Phase begann mit der Verabschiedung der zweiten Verfassung im Jahr 1995, die Kasachstan faktisch in eine autoritäre Kleptokratie verwandelte – also in die Herrschaft des Raubkapitals. Vorausgegangen war die „militante Phase“ von 1989-1994, als Kasachstan unter dem Deckmantel von Marktreformen und demokratischen Parolen die sozialen Rechte der Arbeitnehmenden abbaute und den Sozialstaat zerstörte.

Seither sind die Prinzipien einer „guten“ Wirtschaft, in der die Interessen des (ausländischen) Kapitals über die sozialen Interessen gestellt werden, tief in der Gesellschaft verankert. Dies hat dazu geführt, dass die Bevölkerung von Hungerlöhnen lebt und unter gefährlichen Bedingungen arbeitet. Während das Gehalt des Managers von Arcelor Mittal Temirtau von mehr als 31,3 Mio. Tenge pro Monat (rund 63‘000 Euro) zur Norm geworden ist, leben die Familien der kasachstanischen Bergarbeiter in Temirtau von 300‘000 Tenge pro Monat (rund 600 Euro).

In der gegenwärtigen Periode des „strafenden Neoliberalismus“ herrscht die Auffassung vor, dass die Bevölkerung Kasachstans selbst an allen sozioökonomischen Schwierigkeiten schuld sei. Die Menschen seien „finanzielle Analphabeten“ und „halten sich nicht an Sicherheitsstandards“. Deshalb könne ihre Situation angeblich nur durch einen neuen Besitzer verbessert werden, der sie dazu bringe, nach westlichen Sicherheitsstandards zu arbeiten.

Entwickelt sich Kasachstans Wirtschaft in eine falsche Richtung?

Das Bekenntnis von Politik und Intellektuellen zum neoliberalen Denken legitimiert in erster Linie die Interessen der Wohlhabenden des Landes. Alternative Ideen sozialistischer oder sozialdemokratischer Prägung werden daher systematisch verteufelt und nur solche internationalen Erfahrungen umgesetzt, die der Elite Kasachstans nutzen.

So wurden 2010 unter Berufung auf die internationale Praxis des „Too-big-to-fail“ („zu groß, um zu scheitern“) Billionen in die Rettung der Bankeigentümer und deren weitere Bereicherung gesteckt, anstatt das gesamte Finanzsystem mit dem Ziel der Re-Industrialisierung Kasachstans umzugestalten.

Ohne einen Paradigmenwechsel in der sozioökonomischen Entwicklung wird Kasachstan nicht nur stagnieren, sondern degenerieren. Dabei gibt es in der jüngsten Geschichte der wirtschaftlichen Entwicklung viele positive Beispiele, wie Bolivien unter Präsident Evo Morales, oder Schweden und Südkorea nach den Finanzkrisen von 1992 und 1998.

Systemische Veränderungen notwendig

In Kasachstan wird seit 30 Jahren eine offen repressive Politik gegen Arbeitnehmende und ihre Bestrebungen betrieben, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Dabei wären die Gewerkschaften ein wichtiger Mechanismus für ein demokratisches Machtgleichgewicht zwischen Arbeit und Kapital, das die Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums gewährleistet und die politische Partizipation der Bevölkerung fördert.

Deshalb werden in Ländern, in denen die neoliberale Ideologie alle Bereiche der Gesellschaft durchdrungen hat, unabhängige Gewerkschaften von der Wirtschaft als Erzfeinde betrachtet. Und das ist der Grund, warum nach einem weiteren Unglück in einem kasachstanischen Bergwerk die Diskussion auf einen „neuen Besitzer“ reduziert wird, anstatt mit einer kritischen Bewertung des bestehenden sozioökonomischen Systems zu beginnen.

Früher oder später werden systemische Veränderungen notwendig sein. Ohne diese wird Kasachstan nicht in der Lage sein, Antworten auf neue und alte Fragen zu geben: Wie sollen die Gewinne großer Unternehmen verteilt werden und Bergwerke vielleicht gar geschlossen werden? Wie kann ein Gleichgewicht zwischen den Rechten der Aktionäre und jenen der Arbeitnehmenden sowie ein akzeptabler Kompromiss zwischen Gewerkschaften und Behörden gefunden werden?

In Kasachstan ist es an der Zeit, Diskussionen über einen neuen Entwicklungsweg zu beginnen. Noch immer werden Symptome behandelt, anstatt nach neuen Erkenntnissen zu suchen und anzuerkennen, dass der Planstaat Sowjetunion durch eine kapitalistische Oligarchie ersetzt wurde, deren Interessen sich darauf beschränken, ihre Profite auf Kosten von Bergarbeitern zu steigern.

Kuat Akijanov für Vlast

Aus dem Russischen von Michèle Häfliger

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