Am 28. Dezember vergangenen Jahres begrüßte der Präsident Kirgistans Schulkinder zum Neujahrsfest und wünschte ihnen Gutes für ihre Zukunft. Bei der Veranstaltung gab es wohl kein Kind, das seinem Charme nicht erlegen wäre. Doch innerhalb von zwei Jahren hat der Mann im teuren Anzug die Grundlagen für eine echte Autokratie geschaffen, in der sich begabte Kinder aus einfachen Familien nur schwer zurechtfinden werden. Doch wie hat er dies bewerkstelligt?
Um den Gründen auf die Spur zu kommen, müssen wir zurück ins Jahr 2020, als Sadyr Dschaparow und Kamtschybek Taschijew die Unruhen in der Bevölkerung zu ihrer Machtergreifung nutzten. Dschaparow wurde damals de facto Präsident und Regierungschef und ließ sich wenig später vom kirgisischen Parlament, dem Dschogorku Kengesch, zum amtierenden Präsidenten ernennen.
Das Parlament wird in seiner Macht beschnitten
Noch im selben Jahr begann Dschaparow, die Verfassung Kirgistans nach seinen Vorstellungen umzugestalten. Im Mai 2021 wurde die parlamentarische Republik in eine Präsidialrepublik umgewandelt. Dschaparow wurde zudem Regierungschef und erhielt die Befugnis, die Leitenden der lokalen Verwaltungen sowie die Hälfte der zentralen Wahlkommission zu ernennen. Dies macht es schwieriger, ihn aus seinem Amt zu entfernen.
Gleichzeitig verlor das Parlament immer mehr an Einfluss. Die Zahl der Abgeordneten wurde reduziert, sie können der Regierung nicht mehr das Misstrauen aussprechen und es wurden mehr Gründe geschaffen, Abgeordneten die Mandate zu entziehen; zudem müssen sie vor allem die Initiativen des Präsidenten und der Regierung berücksichtigen. Ohne die Unterschrift des Präsidenten kann das Parlament den Haushaltsvollzugsbericht nicht mehr als unbefriedigend ablehnen.
Schließlich wurde ein neues ständiges Regierungsgremium, der Kurultaj, ins Leben gerufen (Novastan berichtete), was das bereits geschwächte Parlament weitgehend dupliziert und damit überflüssig zu machen scheint. Der Druck auf die Abgeordneten wird wohl auch 2023 zunehmen. Die wenigen, die Initiativen des Präsidenten noch zu kritisieren wagen, werden ihrer Ämter und Titel enthoben, aus ihren Büros vertrieben oder ihre Geschäfte geprüft.
Ausweitung präsidialer Machtmöglichkeiten
Gleichzeitig gelang es Dschaparow, dem Präsidentenamt zusätzliche Privilegien zu verschaffen. So kann er nun den Vorsitzenden des Obersten Gerichtshofs sowie des Verfassungsgerichts ernennen, wenn auch noch mit Zustimmung des Parlaments und des Richterrats.
Dies macht es schwieriger, Richter:innen strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Der Präsident erhält weiterhin das Recht, alle Aktivitäten im Land zu verbieten, die „der Moral und den ethischen Werten, dem öffentlichen Bewusstsein des Volkes widersprechen“. Was das bedeutet, steht in der neuen Verfassung jedoch nicht.
Korruption und Stärkung von Staatsmacht und Klansystem
Dschaparow sichert seine Macht zusätzlich ab, indem er allgemein die Rolle der Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden stärkt, sein Klientelsystem ausweitet und seinen Unterstützenden hohe Positionen und wirtschaftliche Vorzüge verschafft. Im November 2021 wurde der Generalstaatsanwaltschaft und des Staatskomitees für nationale Sicherheit (GKNB) durch eine Reform im Straf- und Prozessrecht mehr Macht zuteil.
Ermittlungen nach einer Anzeige können ohne Begründung abgebrochen werden und Gerichte können Verfahren ohne Weiteres verzögern. Sowohl die Generalstaatsanwaltschaft als auch das GKNB werden von Vertrauten Dschaparows geleitet. Mittlerweile kann der Leiter des GKNB, Taschijew, de facto als zweiter Mann im Staat betrachtet werden. Die Mitarbeitenden des Sicherheitsdienstes erhalten darüber hinaus Vergünstigungen und Privilegien und im ganzen Land werden soziale Einrichtungen, Büros und Erholungszentren für sie gebaut. Zudem wird die Praxis eingeführt, Geschäftsleute wegen Straftaten freizukaufen – die Erlöse werden über das Staatskomitee für nationale Sicherheit verbucht.
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Dschaparow zeigte seit seinem Amtsantritt zudem keine Scheu vor offener Vetternwirtschaft und der Vergabe hoher Posten an Verwandte. So wurde im Jahr 2020 sein Verwandter Turusbek Tumonbaev zum Leiter des Staatsunternehmens Unaa ernannt, sein Schwager Tashtanbek Kaimazarov wurde Leiter des staatlichen Migrationsdienstes. Im Jahr 2021 entdeckten Journalisten Verwandte des Präsidenten in der Firma Vostokelektro. Im Jahr 2022 wird Almazbek Akmatov, der Onkel der Frau von Dschaparows jüngerem Bruder, den Posten des Vorsitzenden der Rechnungskammer vorgesehen.
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Der Präsident verwaltet das Land praktisch wie Privateigentum. So erfuhren Bevölkerung und Abgeordnete erst im Nachhinein von den 19 Tonnen Gold, die ins Ausland verkauft wurden, der Kempir-Abad-Stausee sollte ohne Referendum oder eine breite öffentliche Diskussion an Usbekistan abgetreten werden, Kritiker:innen werden unterdrückt und inhaftiert. Inmitten der allgemeinen Armut der Bevölkerung leistet sich der Präsident dabei einen unverhohlenen Luxus wie etwa Kleidung im Wert von Tausenden von Dollars oder Privatjets. Dabei macht sich Dschaparow nicht einmal die Mühe, dies zu verbergen, sondern nennt die Stücke „Geschenke“, obwohl dies in vielen anderen Ländern als Korruption gelten würden.
Gefährdung bürgerliche Freiheiten
Das Jahr 2022 war ein Jahr der offenen und direkten Unterdrückung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit in Kirgistan. Die repressiven und offenkundig ungerechten Gesetze bezüglich der Medien, zu „Fake News“ sowie der Gesetzesentwurf zu NGOs sind fast wortwörtliche Kopien ähnlicher Gesetze in Russland. Öffentliche Veranstaltungen sind in Kirgistan praktisch verboten, Journalist:innen werden Drogen untergeschoben, die kirgisische Staatsbürgerschaft entzogen oder gar des Landes verwiesen.
Die Veranstaltung in der Philharmonie in Bischkek sollte ein froher Neujahrsgruß sein. Nüchtern betrachtet deutet aber vieles darauf hin, dass Machtergreifung, Repressionen, Willkür in Politik und Wirtschaft sowie die Unterdrückung bürgerlicher Freiheiten in Kirgistan auch im Jahr 2023 anhalten werden. Es wird zu noch mehr Vetternwirtschaft in profitablen Stellen kommen, ertragreiche Unternehmen selbst werden noch stärker monopolisiert. Und jener Teil der Bevölkerung Kirgistans, der keine Verbindungen zur Macht hat, wird weiterhin im Ausland nach Einkommen und Glück suchen müssen.
Viktor Mukhin für Kloop
Aus dem Russischen (gekürzt) von Michèle Häfliger
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