Es gibt kaum Daten über die Luftverschmutzung in Kasachstan, aber alles deutet auf gefährliche Luftqualitätswerte hin. Forscher arbeiten an Messinstrumenten, um ein genaueres Bild des Problems zu erhalten und herauszufinden, was getan werden kann.
Die Luftverschmutzung ist in Kasachstan schon lange ein Thema. Sie wurde aber erst vor kurzem zu einem zentralen Thema für Aktivisten vor Ort. Das Haupthindernis für eine Auseinandersetzung mit dem Problem ist das Fehlen zuverlässiger, zugänglicher und transparenter Daten. Die vorhandenen Daten, so lückenhaft sie auch sein mögen, zeigen jedoch ein besorgniserregendes Bild: Im Winter 2021 lag Kasachstan auf dem Weltluftqualitätsindex, einer häufig aktualisierten Rangliste der Länder nach Luftverschmutzung, an dritter Stelle. Im Herbst und Winter befindet sich die Hauptstadt Nur-Sultan häufig unter den zehn Städten mit der schlechtesten Luftqualität weltweit. Eine weitere kasachstanische Großstadt, Almaty, verzeichnete im März 2021 ebenfalls „ungesunde“ Luft.
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Auch ohne Zahlen fällt einem das Problem der Luftqualität in Kasachstan ins Auge. Die Hauptursache des Problems war bis vor kurzem umstritten, wobei Umweltwissenschaftler und -aktivisten das Problem der minderwertigen kohlebefeuerten Heizkraftwerke (KWK) hervorhoben, während Regierungsvertreter vor allem den Fahrzeugen die Schuld gaben und die Verantwortung des Einzelnen in den Vordergrund rückten. Die Umweltforscherin Dr. Nassiba Baımatova entwickelt zusammen mit anderen Forschern in Almaty robustere Instrumente zur Messung der Luftverschmutzung. Als Ort mit hoher Luftverschmutzung, aber auch mit lebhaften Debatten über Lösungen, ist Almaty ein interessantes Beispiel für eine saubere Energiewende in Entwicklungsländern.
Weniger Verkehr während des Lockdowns
Während des ersten COVID-bedingten Lockdowns gab es in Almaty weniger Verkehr, was den Forschern die Möglichkeit bot, zu untersuchen, inwiefern die Rolle der Fahrzeuge bei der Luftverschmutzung in Almaty überschätzt wurde. „Die Ergebnisse zeigen, dass selbst das Fehlen von Verkehrsmitteln nicht zu einer signifikanten Verringerung der Luftverschmutzung führen kann, da die Art der Luftverschmutzung in Almaty komplex ist und mehrere große Emissionsquellen wie Heizkraftwerke und der private Sektor das Verschmutzungsprofil in der gesamten Stadt dominieren“, so Baımatova. Sie unterstreicht die Rolle minderwertiger Kohle sowohl der Kraftwerke als auch im privaten Sektor, zusätzlich zu den Emissionen von unsachgemäß gewarteten Fahrzeugen.
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„Das Hauptproblem der hohen Luftverschmutzung in Almaty liegt in der Verbrennung von minderwertiger Kohle in Wärmekraftwerken und im privaten Sektor sowie in den Emissionen von Kraftfahrzeugen, d. h. in der schlechten Qualität des Kraftstoffs, in veralteten Autos und in fehlenden Abgaskontrollsystemen“, erklärt sie. „Außerdem gibt es keine zuverlässigen Datenquellen – die Überwachungssysteme sind entweder veraltet oder liefern nicht genügend verlässliche Daten, um den Zustand der Luftverschmutzung wirklich beurteilen zu können.“
Das Problem der Kohle
Die Rolle der Kohle bei der Luftverschmutzung wird in Almaty und im übrigen Kasachstan schon seit einiger Zeit diskutiert. Eine Petition für die Modernisierung von Heizkraftwerken und die Umstellung auf einen saubereren Gasbrennstoff hat bereits mehr als 5000 Unterschriften gesammelt. Infolgedessen kam die Frage der schrittweisen Umstellung der Wärmekraftwerke von Kohle auf eine erdgasbasierte Option erstmals auf den Tisch. Die konkrete Richtung sei noch nicht festgelegt, so Baımatova. Einige der der von der lokalen Regierung vorgeschlagenen Optionen ziehen eine kombinierte Energiequelle in Betracht, da die Umstellung auf erdgasbetriebene KWK-Anlagen mit einer Erhöhung der Tarife verbunden wäre.
Baımatova ist jedoch der Ansicht, dass eine reine Erdgasoption notwendig ist, um das Problem der Luftqualität zu lösen: „Um die Umweltprobleme zu lösen, ist es notwendig, ‚Nur-Erdgas‘-Optionen in Erwägung zu ziehen, die es ermöglichen würden, die Asche- und Schwefeldioxidemissionen vollständig zu eliminieren, die ebenso wie Aschedeponien eine bedeutende Emissionsquelle darstellen.“ „Nach den vorgelegten Berechnungen ist der Tarif bei der Option 4 [‚Nur Erdgas‘] nur vier Prozent höher als bei der Option ‚Kohle‘. Bei der Option ‚Erdgas‘ liegen die Umweltvorteile jedoch auf der Hand, sofern keine Schlupflöcher oder Datenmanipulationen vorliegen“, fügt sie hinzu. Kasachstan hat in Nur-Sultan ebenfalls mit der Umstellung auf erdgasbasierte KWK-Anlagen begonnen. Zwei kohlegefeuerte Heizkraftwerke sollen bis Ende 2021 modernisiert werden, aber der genaue Zeitpunkt für die Umstellung der Haushalte auf Erdgas steht noch nicht fest, da die Infrastruktur noch nicht fertig ist und die Preise noch festgelegt werden müssen.
Jenseits von Almaty und Nur-Sultan
Das Problem der schlechten Luftqualität ist im übrigen Kasachstan nicht weniger weit verbreitet und komplex als in Almaty und Nur-Sultan. Óskemen, eine Stadt im Osten des Landes, galt zeitweise als die Stadt mit der schlechtesten Luftqualität im Land. Dort wird die Verschmutzung der minderwertigen Kohle in Heizkraftwerke durch die Aktivität weiterer Industrieanlagen verstärkt. Beides ist schwer in den Griff zu bekommen, da die Stadt keinen einfachen Zugang zu Erdgasreserven hat und die Umweltstandards für Anlagen nicht transparent sind und leicht manipuliert werden können.
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Das Problem der Luftverschmutzung in Kasachstan ist vielschichtig und könnte, wenn es nicht rechtzeitig angegangen wird, vielfältige schädliche Auswirkungen auf die Zukunft des Landes haben, schlussfolgert Baımatova. „In Kasachstan führt verschmutzte Luft laut WHO-Daten (aus dem Jahr 2010) zu 10.064 vorzeitigen Todesfällen pro Jahr. Die wirtschaftlichen Kosten der vorzeitigen Todesfälle aufgrund von Luftverschmutzung belaufen sich in Kasachstan auf 29,2 Milliarden US-Dollar pro Jahr, was 9,3 % des BIP entspricht“, bemerkt sie. „In den durchgeführten Studien wurden nur die Schäden für die öffentliche Gesundheit bewertet, ohne die indirekten Auswirkungen wie Schäden an Bäumen, wild lebenden Tieren, Gebäuden, Autos, landwirtschaftlichen Erträgen, der Entwicklung des Tourismus sowie die Verringerung der Investitionsattraktivität und die negativen Auswirkungen der Migration zu berücksichtigen.“ Laut Baımatova könne die Luftverschmutzung zudem auch durch den sogenannten „Brain Drain“-Effekt zu erheblichen wirtschaftlichen Verlusten führen.
Nazira Kozhanova für Novastan
Aus dem Englischen von Florian Coppenrath
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