FLUSSGESCHICHTEN. Dass der Ural immer seichter wird, ist bereits nicht mehr zu verbergen. Der drittlängste Fluss Europas wird seit zehn Jahren immer flacher, was sich vor allem in den letzten drei Jahren besonders bemerkbar gemacht hat. Um zu verstehen, wie die Verflachung des Urals das Leben entlang des Flusses verändert, haben die Journalisten Lukpan Akhmedıarov und Raul Uporov Menschen getroffen, die an seinen Ufern leben und von diesem Fluss abhängig sind. Die folgende Reportage erschien am 27. Januar 2021 auf Vlast. Wir übersetzen sie mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.
Auf dem gesamten Abschnitt des Urals, die er durch das Gebiet Westkasachstan fließt, sind die Ufer des Flusses durch drei Brücken und vier Fähren verbunden. Zwar wirken Fähren wie aus der Zeit geschlagen, tatsächlich transportieren die vier Fährverbindungen in der Region jedoch jährlich bis zu einer halben Million Menschen während der gesamten Saison. Dank ihnen können die AnwohnerInnen Bekannte besuchen, Hochzeiten feiern, Lebensmittel und notwendige Informationen erhalten oder auch einfachen Handel betreiben. Manchmal müssen Fährleute sogar Trauerzüge von einem Ufer ans andere befördern.
Um uns die Arbeit der Fähren anzusehen, machen wir eine kleine Reise mit einer Länge von fast 500 Kilometern. Unser Weg beginnt am europäischen Ufer des Flusses und führt uns zum Dorf Baturino im Bezirk Aqjaýıq. Vom Rand des Dorfes verläuft eine unbefestigte Straße in Richtung Flussauen. Die von vielen Rädern ausgefahrene Landstraße ist kaum schlechter als der Asphalt, auf dem wir von Oral nach Baturino kamen. Wir fahren entlang der Auen in Richtung Wald, hinter dem der Fluss fließt. Unterwegs halten wir ein paar entgegenkommende Autos an, um nach dem Weg zur Fähre zu fragen.
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„Fahr auf der am stärksten ausgefahrenen Straße. Du wirst dich nicht verfahren“, erklärt mir der Fahrer eines alten „Zehners“ [ein Wagen des Modells Lada 2110, Anm. d. Ü.]. In seinem Auto sitzen zwei Passagiere. Das Innere ist voll mit Decken. Eine Truhe auf dem Dach des Wagens ist am Kofferraum befestigt.
„Meine Tochter hat einen Mann aus Taıpaq [ein Dorf im Gebiet Westkasachstan, Anm. d. A.] geheiratet. Die Großmütter haben Decken für ihr neues Haus genäht“, erklärt mir der Fahrer. Ihm zufolge war es vor zehn Jahren noch möglich, sich hier zu verfahren. Vom Waldrand bis nach Baturino wuchs hohes Gras und es gab mehrere Seen.
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„Früher kamen nur Angler hierher oder Einheimische gingen in den Wald, um Beeren zu suchen. Und jetzt trocknet alles aus. Die Seen sind ausgetrocknet, das Gras ist nicht mehr das gleiche wie früher. Man kann schnell fahren, denn man kann weit sehen“, sagt der Fahrer.
Die Worte des Fahrers werden durch die Landschaft bestätigt – die seltenen Haine bestehen aus zerbrechlichen jungen Bäumen mit einer trockenen Spitze. Hier und da sind dicke Stämme von ausgetrockneten und umgestürzten Bäumen sichtbar. Da die Dörfer auf dieser Flussseite mit Gas versorgt werden, ist lange Zeit niemand mehr in den Wald gegangen, um Brennholz zu holen. Auf dem Weg zum Wald, kommen wir an drei oder vier ausgetrockneten Seen vorbei. Weiden und trockenes Schilf weisen darauf hin, dass es hier einmal Wasser gab.
Die Fähre
Schließlich durchqueren wir den Wald und erreichen nach ein paar hundert Metern das Flussufer. Direkt am Ufer befinden sich zwei Holzbretter, ein altes Metallbett und ein tief in den Boden eingegrabenes Rohr, von dem aus ein Metallkabel zum gegenüberliegenden Ufer führt. Das Ufer, an dem wir stehen, ist sanft, das gegenüberliegende ist steil. Auf der anderen Seite liegt die Fähre am Ufer fest – zwei in Längsrichtung geschnittene Metallfässer, darauf das aus Brettern gefertigte Deck mit Geländern.
Ein Mann kommt aus dem Häuschen und fragt uns: „Fähre?“ Wir bejahen. „Sofort.“– antwortet der Mann, während er sich in Richtung Häuschen dreht und scheinbar mit jemandem redet. Ein zweiter Mann kommt heraus, beide steigen zum Wasser hinab und beginnen, die Fähre entlang des Kabels zu unserem Ufer zu ziehen.
Die Fähre landet nach wenigen Minuten an. Da wir den gesamten Vorgang mit der Kamera filmen, fragen sie, wer wir sind und warum wir filmen. Wir erklären, dass wir Journalisten sind und Material über den Ural und die Menschen an seinen Ufern zusammenstellen.
„Ihr kamt zu spät auf die Idee, darüber zu berichten. Der Fluss ist nicht mehr da. Wenn er weiter so verflacht, wird in ein oder zwei Jahren keine Fähre mehr benötigt“, antwortet einer der Fährleute.
Der zweite bildet aus den Holzbrettern eine Rampe zur Fähre und zeigt mir, wie ich das Auto auf die Fähre fahren soll. Jetzt stelle ich vorsichtige Fragen. Werden die Rampen dem Gewicht des Autos standhalten? Werden wir mitten im Fluss sinken? Und wie fährt man auf diese Konstruktion?
„Keine Angst! In der Regel transportieren wir zwei Autos gleichzeitig. Noch hat sich niemand beschwert“, lacht Qýandyq, einer der beiden Fährleute. Vorsichtig fahre ich die Rampe hinauf zum Deck der Fähre. Die Fährleute zeigen mir mit ihrer Hand, dass ich bis zum Ende der Fähre fahren muss. „Langsam fahren, Motor abstellen“, weist man mich an, während Holzkeile unter die Räder des Autos geschoben werden, damit es nicht wegrollt.
Die Männer nehmen Eisenstangen, klammern sich mit deren verbogenen Ende an das Kabel und beginnen, es zu sich zu ziehen. Obwohl die Konstruktion schwer wirkt, verlässt die Fähre das Ufer recht leicht und beginnt, entlang des Kabels zum gegenüberliegenden Ufer zu treiben. Qýandyq und Baýyrjan arbeiten als Angestellte auf der Fähre. Die Fähre selbst gehört einem Anwohner, der offiziell als Einzelunternehmer registriert ist und Steuern zahlt.
„Solche Fähren gibt es noch flussaufwärts in Mergen und Esensaı und flussabwärts in Almaly. Sie alle sind selbstgebaut und wurden vor ungefähr 10-15 Jahren in Betrieb genommen, als der Ural flach wurde. Früher konnten solche Fähren nicht genutzt werden, da der Ural jedes Frühjahr zu Hochwasser führte und den Wald und die Auen überflutete. In den letzten 15 Jahren hat der Fluss seine Ufer nicht mehr verlassen. Personen unter 20 Jahren erinnern sich überhaupt nicht daran, dass das Wasser den Wald und die Wiesen überflutet hat. Wenn du ihnen davon erzählst, glauben sie es nicht“, erklärt Baýyrjan.
Alle Fähren sind kostenpflichtig. Laut unseren Gesprächspartnern sind auch die Preise unterschiedlich. Unsere Fährverbindung ist die günstigste. Die Überfahrt kostet 700 Tenge [circa 1,30 Euro, Anm. d. Ü.] pro Auto und Richtung.
„Früher war die Arbeit schwieriger. Es gab mehr Wasser im Fluss und die Strömung war stärker. Bei Hochwasser im Frühjahr haben wir 10-15 Minuten für eine Überfahrt gebraucht. Und jetzt sind es 5-6 Minuten.“ Laut unseren Gesprächspartnern arbeitet die Fähre von 8 bis 20 Uhr. Mittagspause ist von eins bis zwei.
„Wir transportieren ungefähr 10-15 Autos pro Tag. An Wochenenden, wenn jemand eine Hochzeit, einen Qudalyq [ein kasachischer Brauch zur Vermittlung einer Ehe, Anm. d. Ü.] oder eine Beerdigung im Dorf hat, werden bis zu 30 Autos befördert. An Wochentagen ist morgens und abends Stoßzeit – wenn alle vom Dorf ins Bezirkszentrum oder in die Stadt reisen und abends nach Hause zurückkehren.“
Wir fragen, ob die Verflachung des Urals einen starken Einfluss auf ihr Leben hat. „Wie kann ich es sagen? Unmerklich. Ich befürchte bloß, dass der Fluss in den kommenden Jahren so flach wird, dass Furten darauf erscheinen und die Fähre dann von niemandem mehr benötigt wird.“
„Und in welchem Ausmaß ist der Fluss flacher geworden?“, fragen wir. „Siehst du die Baumstämme, die am anderen Ufer aus der Klippe herausragen?“ – Qýandyq zeigt mit seiner Hand auf die modernden Baumstämme, die auf einer Höhe von 2 bis 2,5 Metern über dem Wasser aus dem Ufer ragen. „2010 war dort der Anleger. Jedes Jahr müssen wir ihn etwas tiefer legen.“
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Wir fragen, ob man hier Fische fangen könne. „Fische – das ist sein Thema“, lacht Baýyrjan und nickt in Richtung Qýandyq. „Manchmal gehe ich angeln. Aber um ehrlich zu sein, es gibt natürlich nicht mehr solche Fische wie früher. In den 90er Jahren konnte man 3-4 Kilogramm schwere Zander im Fluss fangen. Und in den letzten drei Jahren habe ich keinen einzigen Zander gefangen. Es gibt sie nicht mehr. Rapfen kommen noch manchmal, sehr selten vor, und wenn, dann sind sie klein – ein halbes bis ganzes Kilogramm maximal. Früher habe ich solch kleine Fische wieder ins Wasser gelassen“, sagt Qýandyq.
Wir legen an und die Fährleute helfen, das Auto an Land zu rollen. Zu diesem Zeitpunkt wartet bereits ein anderes Auto am gegenüberliegenden Ufer und meine Gesprächspartner machen sich auf den Weg, es überzusetzen.
Der Fluss als Grenze
Die Geschichte der Orte kann anhand der Ortsnamen beiderseits des Urals zurückverfolgt werden. Wenn man auf die Karte schaut, sieht man am linken Ufer Namen wie Lbischensk, Kolovertnoe, Skvorkino, Yanaikino. Am gegenüberliegenden Ufer heißen die Dörfer Esensaı, Qyzyljar, Karasu, Aqjaýiq. Diese Teilung entlang der Ufer fand vor mehr als 300 Jahren statt, als die Behörden des Russischen Reiches Kosaken am linken Ufer ansiedelten. Die SteppenbewohnerInnen erhielten das rechte Ufer. Bis in die 1980er Jahre machte sich dies auch in der ethnischen Zusammensetzung der Dörfer bemerkbar. Am linken Ufer lebten hauptsächlich RussInnen und Kosaken, am linken Ufer KasachInnen. Von den späten 1980er bis 2000er Jahren führte die aktive Auswanderung russischsprachiger Menschen aus Kasachstan nach Russland dazu, dass die ehemaligen Kosakendörfer überwiegend kasachisch wurden.
Wer heute nach Lbischensk oder ins Dorf Kalenoe kommt, wird kaum RussInnen oder Nachkommen der Kosaken finden. Daran, dass sie einst in diesen Dörfern lebten, erinnern nur die überwucherten orthodoxen Friedhöfe mit ihren Kreuzen oder aber – im Dorf Mergenevo – die Ruinen einer alten Kirche. Auch aus diesem Grund wurden die Fähren erst vor relativ kurzer Zeit eingerichtet. KasachInnen, die jetzt an beiden Ufern des Flusses leben, unterstützen aktiv die traditionellen sozialen Beziehungen. Sie fühlen sich einem Clan zugehörig oder besuchen regelmäßig die „qudalar“, die angeheirateten Verwandten.
Nachdem wir die erste Fähre verlassen haben, fahren wir auf einer unasphaltierten Piste flussaufwärts in das Dorf Esensaı – 30 Kilometer von der Stelle entfernt, an der wir den Fluss überquert haben. Esensai ist einer der ältesten Aule und wurde vor 200 Jahren gegründet. Unweit des Auls befindet sich ein Familienfriedhof, auf dem Menschen desselben Clans begraben sind: Qynyq. Die Trasse (wie hier die unaspaltierte Piste genannt wird) führt in Richtung Dorf. In einer Kurve steht ein Wegweiser mit dem Namen des Dorfes und ein selbstgemachter Wegweiser mit der lakonischen Inschrift „Fähre“. Die Straße von Esensaı zur Fähre führt auch durch einen Wald. Aber der Wald bei Esensaı besticht durch seine Schönheit – riesige jahrhundertealte Bäume, durchsetzt mit kleinen Seen und ohne verstreuten Müll in Form von Flaschen und allgegenwärtigen Plastiktüten. Die Fähre ist nicht schwer zu finden – es gibt nur eine Straße, die durch den Auenwald dorthin führt.
Auch diese Fähre wird von zwei Fährmännern betrieben – Azamat und Nurbol. Wir fragen sie, warum Fähren in diesem Abschnitt des Flusses so gefragt sind. „Man kann die Stadt entweder über eine Piste ohne Asphalt erreichen oder aber man fährt mit der Fähre und ist sofort auf der Trasse Oral – Atyraý. Um zum Bezirkszentrum Chapaevo zu gelangen, muss man 200 Kilometer über eine Piste nach Oral fahren und von dort aus 120 Kilometer nach Chapaevo. Wenn man den Fluss mit der Fähre überquert, ist man bereits nach einer halben Stunde in Chapaevo“, erklärt Azamat.
Die Fähre unterscheidet sich praktisch nicht von der vorherigen – die gleichen geschweißten Metalltanks und ein „Deck“ aus Brettern. Die Fähre wird durch die Kraft der Hände in Bewegung gesetzt, die am Kabel ziehen, welches von Ufer zu Ufer gespannt ist.
Auch Azamat beschwert sich darüber, dass der Fluss flach ist: „Ich fürchte, wir werden bald den Fluss zu Fuß überqueren. Niemand wird mehr eine Fähre brauchen.“ Er zeigt auf eine Sandbank, die mit jungem Schilf bewachsen ist. „Diese Insel ist letztes Jahr erschienen. In diesem Jahr hat bereits das Schilf begonnen, darauf zu wachsen. Seit letztem Jahr ist sie größer geworden. Einerseits wird der Fluss flach und andererseits spült die Strömung ständig Sand an. Wenn diese Insel so schnell wächst, müssen wir leider die Fähre versetzen“, sagt Azamat.
Kosaken
Die Fähre landet in der Nähe des Dorfes Mergenevo an, 80 Kilometer von Chapaevo entfernt. Das ehemalige Kosakendorf war in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts eine Hochburg des Widerstands lokaler Kosaken gegen die Sowjetmacht. Die offizielle Geschichte besagt, dass der berühmte rote Kommandant Vasili Chapaev irgendwo stromaufwärts im Ural ertrunken ist. Lokale Kosaken bestanden darauf, dass ihre Großväter Chapaev in der Nähe dieses Dorfes mit Säbeln töteten. Heute ist kein einziger Nachkomme dieser Kosaken mehr im Dorf. Einer der wenigen, die dieses Dorf Ende der 1980er Jahre verlassen haben, ist der 85-jährige Gennadi Elov. Er zog nicht weit weg von diesem Ort und lebt derzeit mit seiner Frau Valentina im Dorf Tóńkeris, 200 Kilometer flussaufwärts am Ural.
Trotz des Wohnortwechsels hat Gennadi Elov hat das wichtigste nicht geändert: Er lebt immer noch am Ufer des Urals. Wie viele Generationen seiner Vorfahren lebt der ältere Herr in traditioneller Beziehung zum Fluss. Er angelt, sammelt Pilze und macht im Wald Brennholz. Als wir ihn in Tóńkeris besuchen, werden wir von seiner Enkelin Dascha empfangen. Sie sagt, ihr Großvater sei in den Wald gegangen, um Pilze zu suchen.
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Das Haus der Elovs belegt, dass Fluss und Wald nah sind – auf dem Tisch stehen Gläser mit eingelegten Pilzen, ein Dutzend getrocknete Fische hängen an einer Schnur unter der Decke. Für diesen getrockneten Fisch ist Gennadi Elov unter den KneipenbesitzerInnen am Ural bekannt. Sie kommen regelmäßig zu ihm und kaufen seinen getrockneten Fisch, der eine besondere Konsistenz hat, die andere nicht hinbekommen.
So stellt auch Tante Valya [Koseform von Valentina, Anm. d. Ü.] klar, dass Menschen aus Oral und Aqsaı zu ihnen kommen, um getrockneten Fisch zu kaufen. „Es ist immer so – wir Frauen kochen und trocknen und die Männer bekommen den ganzen Ruhm. Er ist nicht derjenige, der den Fisch zubereitet. Glaubst du, er salzt und trocknet alles? Er bringt den Fisch, wirft ihn hin, und ich quäle mich. Ich kann mich nicht davor retten. Möge das Eis schneller kommen, damit ich mich etwas ausruhen kann“, erzählt die ältere Frau und sortiert die frischen Fische – ein paar Hechte und drei Brassen.
Als sie den Grund für unseren Besuch erfährt, warnt sie: „Es ist unwahrscheinlich, dass er dir hilft. Sein Charakter ist so. Ein kleiner Kosake. Stur. Er hat eine eigene Ecke im Wald am Ufer, wo er fischt. Die Einheimischen nennen diesen Ort „Elovs Winkel“. Er nimmt niemanden dorthin mit. Verschiedene Leute aus der Stadt sind gekommen und haben gefragt, ihm sogar Geld angeboten. Aber er lehnt allen ab.“
Nach einer Weile kommt Gennady Elov auf seinem knatternden Motorrad an. Nachdem er uns kaum zugehört hat, lehnt er sofort kategorisch ab: „Ihr habt dort nichts verloren! Ich werde euch nicht dorthin bringen.“ Wir machen noch ein paar Versuche, ihn zu überzeugen, aber der alte Mann bleibt hartnäckig: „Ich werde es euch nicht zeigen.“ Enkelin Dascha rettet die Situation: „Opa, ich möchte in den Wald gehen. Kann ich mit dir mit?“
Anscheinend ist die Macht des Mädchens über ihren Großvater grenzenlos. Er grunzt leise „Du rennst einem immer zwischen den Beinen rum“, stimmt aber zu, mit uns zum Fluss zu fahren. Es stellt sich heraus, dass „Elovs Winkel“ wirklich ein Winkel ist. An einer sanften Flussbiegung des Urals steigt das Ufer steil an. „Warum ich keine Fremden hierherbringen will? Sobald Leute auftauchen, wird alles schlimmer. Feuer werden angezündet, Müll und Flaschen liegen herum. Ich selbst trinke nicht und mag keine betrunkenen Menschen.“
Gennadi Elov zeigt auf einen Wald auf der anderen Seite des Flusses. „Ein Seeadler-Paar hat dort genistet. Sie lieben Fisch. Wenn diese Vögel am Fluss nisten, gibt es Fische im Fluss. Und meine Adler sind seit drei Jahren nicht mehr gekommen. Denn es gibt im Fluss keine Fische mehr. Ich habe hier schon alle Arten von Fischen gefangen! Und jetzt gibt es nur noch miesen Fisch – Rotfedern und andere kleine Dinger. Vor zehn Jahren habe ich solche Fische zurück in den Fluss gesetzt. Und heute ist das schon Fisch“, sagt Gennadi Elov.
Aber noch mehr Sorgen macht er sich um den Zustand des Waldes. Er führt uns von einer Mulde zur nächsten und zeigt uns trockene, grasbewachsene Vertiefungen. „Früher war alles mit Wasser gefüllt. Es gab Wasser. Im Frühjahr kamen Karpfen im flachen Wasser hierher, um zu laichen. Und am Ende des Sommers oder im Herbst haben wir sie hier gefangen. Im Sommer fressen sie und werden prall wie Schweine. Im Moment ist das alles wie ein Märchen. Wenn du jemandem davon erzählst, glaubt er es nicht“, sagt Gennadi Elov.
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Dann führt er uns zu einer Waldlichtung, in deren Mitte er uns bittet, zum Waldrand zurückzublicken. „Siehst du die vielen trockenen Wipfel? Kein einziger gesunder Baum. Alles trocknet aus. Es gibt kein Wasser. Früher bin ich zum Angeln oder in den Wald gegangen und habe kein Wasser mitgenommen. Man konnte graben und etwas Quellwasser trinken. Und jetzt gibt es kein Wasser. Wir im Dorf haben uns irgendwie entschlossen, die Brunnen zu graben. Man brachte Ausrüstung und Spezialisten. Wir sind 80 Meter tief gegangen, aber es gibt kein Wasser. Daher trocknet der Wald aus. Ich fürchte, ihre Kinder werden das hier nicht mehr sehen“, sagt Gennadi und nickt in die Richtung von Enkelin Dascha.
Gennadi Elov meint, dass der fallende Wasserspiegel im Fluss ein „Verdienst“ des Menschen sei. Dämme, Kanäle und das unkontrollierte Fällen von Bäumen in den späten 90er Jahren hätten dazu geführt, dass es möglicherweise in Zukunft am Ural einen solchen Auenwald nicht mehr geben wird. Als er jung war, trat im Frühjahr der Ural derart über die Ufer, dass es passieren konnte, dass man die andere Seite nicht mehr sah.
Weitere Fotos im Originalartikel auf Vlast
Lukpan Ahmedıarov und Raul Uporov
Aus dem Russischen von Robin Roth
Das Projekt „“Developing Journalism – Exposing Climate Change”“ zielt auf die Identifizierung und Lösung von Problemen des fortschreitenden Klimawandel durch die Entwicklung und Stärkung unabhängiger Medien in Zentralasien. ExpertInnen des Zentrums für Medien-Entwicklung (Kirgistan) sowie der Redaktionen von Anhor.uz (Usbekistan), Asia-Plus (Tadschikistan) und Vlast (Kasachstan) leisten Unterstützung als MentorInnen. Das Projekt wurde von n-ost (Deutschland) und dem Internationalen Zentrum für Journalismus MediaNet (Kasachstan) mit Unterstützung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) umgesetzt.
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Frank, 2023-06-19
Bitte lasst das Gendern!
Von dem Moment an, als ich RussInnen , welch Vergewaltigung der Sprache, gelesen hatte, habe ich nicht mehr weiter gelesen.
Versucht doch mal, diesen sprachlichen Blödsinn einem Kasachen oder Kosaken zu erklären.
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