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AktivistInnen in Bischkek für die Wiederbelebung des Planetariums

Ein leerstehendes Planetarium im Zentrum Bischkeks wird zu einem Ort eines zivilgesellschaftlichen Kampfes um Bildung, Wissenschaft und Gemeinschaft. BürgerInnen der kirgisischen Hauptstadt verklagen den Staat für die Privatisierung der Einrichtung und widersetzen sich so der zunehmenden Kommerzialisierung des urbanen Raumes.

Jana Rapp 

Ein leerstehendes Planetarium im Zentrum Bischkeks wird zu einem Ort eines zivilgesellschaftlichen Kampfes um Bildung, Wissenschaft und Gemeinschaft. BürgerInnen der kirgisischen Hauptstadt verklagen den Staat für die Privatisierung der Einrichtung und widersetzen sich so der zunehmenden Kommerzialisierung des urbanen Raumes.

Inmitten von Bischkek schreibt ein verlassenes rundes Gebäude mit einer Kuppel ein Stück der Naturwissenschaftsgeschichte Zentralasiens. Dieses Bauwerk war bis in die 1980er-Jahre hinein das einzige Planetarium der Region. Mit dem Zerfall der Sowjetunion und der darauffolgenden Welle von Privatisierungen wurde auch das einstige Planetarium verkauft und steht seither weitgehend leer.

Das Planetarium in seinem heutigen Zustand Quelle: Facebook / Bishkek Planetarium

Doch rund 25 Jahre später fasst eine Gruppe BischkekerInnen den Entschluss, das Planetarium wieder zu beleben. Sie organisierten sich, gründeten eine Initiative, suchten sich Unterstützung und gehen nun juristisch gegen die Privatisierung vor. Im September des vorherigen Jahres schienen sie mit ihrem Anliegen Erfolg zu haben. Die finale Entscheidung über die Zukunft des Bischkeker Planetariums trifft am 25. Januar der Oberste Gerichtshof Kirgistans.

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Die AktivistInnen Ataj Samyjbek, Nargisa Taschiewa und Dschyldysaj Turdubekowa erzählen von den Anfängen: „Unsere Initiative hat sich 2018 gegründet. Bei einem Treffen unter Freunden unterhielten wir uns über den Mangel an öffentlichen Freizeitangeboten und im Zuge dessen kam auch das Bischkeker Planetarium zur Sprache.“ Die drei erzählen davon, dass sie selbst schon Planetarien in anderen Ländern besucht haben. Diese Erfahrungen weckten in ihnen die Idee, das Planetarium in ihrer Heimatstadt wiederaufzubauen. Um ihr ambitioniertes Vorhaben erfolgreich umzusetzen, waren die unterschiedlichen Berufe der AktivistInnen ausschlaggebend: „Dschyldysaj Turdubekowa hat als Juristin offizielle Anfragen an das Staatsarchiv oder das Rathaus gerichtet. Der Städteplaner Ataj Samyjbek studierte die städtebauliche Planung und Dokumentation Bischkeks.“

Eine beliebte Bildungsstätte

Auf diese Weise begaben sie sich auf die geschichtlichen Spuren des Planetariums. „Das Frunsenskij Planetarium (bis 1991 hieß Bischhkek Frunse, Anm. d. Red.) wurde 1974 eröffnet. Aus der Deutschen Demokratischen Republik wurden dazu hochmoderne Geräte hergebracht. Unseren Recherchen zufolge haben zwischen 1974 und 1982 ungefähr 600 000 Menschen das Planetarium besucht.“, berichten die GründerInnen der Initiative. Die Hauptattraktion stellte dabei das Auditorium dar. Hier konnte der Sternenhimmel in die Kuppel des Gebäudes projiziert werden. Zudem verfügte die Einrichtung über einen Kinosaal, in dem Filme und Dokumentationen gezeigt wurden.  

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Der Besuch des Planetariums war ebenso Teil des Physik- und Astronomieunterrichtes: „Die Schulkinder hatten die Möglichkeit, mit den Teleskopen zu arbeiten, um so etwas über die Sternenbilder und Planeten zu erfahren.“ Auch außerhalb der schulischen Curricula verschlug es Kinder und Jugendliche in die Einrichtung, um sich Vorträge anzuhören und an Arbeitsgemeinschaften teilzunehmen. Somit erfüllte das Planetarium in Frunse einen wichtigen Bildungsauftrag.

Quelle: Facebook / Bishkek Planetarium

Gleichzeitig verwirklichte sich im Planetarium die sowjetische Utopie des wissenschaftlichen Aufklärungsideals, wie es die AutorInnen des Buches »Bischkeker Utopien« erklären. So herrschte ein ideologisch aufgeladenes Streben nach wissenschaftlichem und technischem Fortschritt, woraus der „neue Mensch“ als eine umfassende, entwickelte Persönlichkeit hervorgehen sollte. Die Eroberung des Weltraumes spielte dabei eine tragende Rolle und sollte der breiten Bevölkerung zugänglich gemacht werden. Gleichwohl ist es weder das Anliegen der AutorInnen der Bischkeker Utopien noch der AktivstInnen, gesellschaftliche Utopien in der Vergangenheit zu suchen. Es geht um das zukünftige Potenzial dieses historischen Ortes.

Verkauf des Planetariums nach 1995

Nachdem Kirgistan die Unabhängigkeit erlangte, wurde das Gebäude 1995 privatisiert und mehrere Male weiterverkauft. In dieser Zeit erfüllte das Planetarium längst nicht mehr seinen ursprünglichen Zweck, sondern erlebte eine Kommerzialisierung. Es wurden Filme gezeigt und zeitweise befand sich dort ein Nachtclub und eine Bar. Aktuell befindet sich das Gebäude und das angrenzende Grundstück in Besitz der Familie des im Juli 2020 verstorbenen Abgeordneten Tschynybaj Tursunbekow. Dieser ließ das damalige Planetarium auf seinen heutigen Zustand herunterkommen.

Quelle: Facebook / Bishkek Planetarium

Im Juni 2018 hat die Initiative zusammen mit der Stiftung »Nasche-Prawo« (dt. Unser Recht) den Staatlichen Immobilienverwaltungsfond eben wegen jener unrechtmäßigen Privatisierung verklagt. Denn juristisch gesehen hätte ein Schulungs- und Ausbildungszentrum nicht privatisiert werden dürfen. Doch das Gericht wies die AktivistInnen ab: „Gerichtsprozesse wurden aus verschiedenen Gründen immer wieder verschoben. Letztlich erkannte uns das Gericht als Kläger nicht an. Angeblich habe niemand unsere Rechte verletzt.“ Doch die Initiative verlor nicht den Mut und zog weiter vor das Bischkeker Amtsgericht. „Wir sind der Überzeugung, dass alle Bürger ihr Recht auf eine lebenswerte Stadt geltend machen können“, stellen die drei AktivistInnen entschlossen fest.

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Sie behielten Recht mit ihrer Aussage. Denn im September 2020 erklärte das Bischkeker Amtsgericht die Privatisierung des Planetariums für ungültig. Dies war ein großer Erfolg für die AktivistInnen. Auch viele BischkekerInnen freuten sich mit ihnen: „Wir haben viel Unterstützung und positives Feedback von den Bürgern bekommen. Dafür und für ihre wertvollen Hinweise wollen wir uns bei ihnen bedanken.“  Allerdings legte die Staatsanwaltschaft wenig später Revision ein. Aufgrund dessen entscheidet der Oberste Gerichtshof am 25. Januar, ob die Entscheidung des Amtsgerichts zulässig ist. Mit diesem letzten Urteil wird die Zukunft des Planetariums bestimmt.

Die AktivstInnen sehen in dem Planetarium großes Potenzial als kulturell-wissenschaftliche Einrichtung. Und das nicht nur auf Bildungsebene, sondern auch in politisch-gesellschaftlicher Hinsicht: „Die Restaurierung und Erhaltung öffentlicher Räume wie des Planetariums kann das Vertrauen zwischen der Bevölkerung und dem Staat stärken.“ Die GründerInnen der Initiative betonen: „Wir sind überzeugt davon, dass die Entwicklung und der Wohlstand einer Nation vom Niveau der Bildung und Wissenschaft abhängen.“

Kultur und Wissenschaft auf dem Grundstück des Planetariums

Diese Vision haben die AktivistInnen parallel zu den juristischen Verhandlungen angefangen umzusetzen. Auf dem Gelände des Planetariums haben sie Fotoausstellungen und Filmvorführungen veranstaltet. So zeigten sie das historische und kulturelle Erbe des Planetariums auf. Zugleich lautet ihre Botschaft an die BischkekerInnen: „Das Planetarium steht für Fortschritt, das Neue, die Träume.

Das Planetarium ist in Bischkek nicht das einzige aus der Sowjetzeit stammende Gebäude, das mangels Interesses und Pflege zerfällt. So wurde auch das einstige Restaurant »Naryn« im Jahr 2017 abgerissen. Das Restaurant gehörte mit seiner besonderen Architektur zu den meistbesuchten Gebäuden Bischkeks in den 1980er Jahren. An dessen Stelle soll ein moderner Hotelkomplex errichtet werden. Ausländische InvestorInnen hatten ähnliche Pläne für das Grundstück des Planetariums.

Privatisierung des öffentlichen Raums als globaler Trend

Somit ist die urbane Entwicklung Bischkeks auch eine Geschichte der Kommerzialisierung und Umwandlung von öffentlichen Stadtraum in Privateigentum. Diese Prozesse sind auch anderswo zu beobachten, erläutert Dr. David Leupold, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz Zentrum Moderner Orient zum Nachleben der sozialistischen Stadt forscht: „Die Erhaltung öffentlicher Einrichtungen in Zeiten eines global vorherrschenden Wirtschaftsparadigmas der radikalen Privatisierung stellt eine Herausforderung dar, nicht nur in Bischkek sondern auf globaler Ebene.“ Beispielhaft führt er etwa die Bauruine eines Freibades im tschechischen Kurort Karlovy Vary auf.

Quelle: Facebook / Bishkek Planetarium

Leupold schließt aus diesen Beispielen: „Einrichtungen wie Planetarien oder Schwimmbäder sind kaum gewinnbringend – daher muss ihr Wert an dem gesellschaftlichen und nicht dem rein marktwirtschaftlichen Nutzen gemessen werden.“ Das Vertrauen in die marktwirtschaftliche Regulierung sei in diesem Kontext ein Irrglaube.

Urbanität und Aktivismus in Bischkek

Der Kampf um das Planetarium und das Urteil des Amtsgerichtes schätzt der Sozialwissenschaftler als einen möglichen Wendepunkt ein: „Es könnte in der Tat signalisieren, dass das global vorherrschende Paradigma der Privatisierung des städtischen Raums im lokalen Kontext Bischkeks nun auch auf staatlicher Ebene in Zukunft stärker hinterfragt werden wird.“ Gleichwohl sei die Initiative rund um das Planetarium nicht der Anfang des urbanen Aktivismus in Bischkek.

Leupold verweist etwa auf die Arbeit des Schtab Kollektivs, die die Bischkeker Utopien veröffentlichten, oder den Projektentwurf der zivilgesellschaftlichen Initiative »Peschkom« (dt. zu Fuß) zur Neugestaltung eines sowjetischen Wohnbezirks. Dabei hebt er im Hinblick auf die Peschkom-Initiative hervor: „Letzterer ist im Besonderen von Relevanz, da die Zielsetzung nicht nur eine rein negative ist – also auf die Verhinderung von etwaigen Baumaßnahmen abzielt – sondern versucht, selbst einen Gegenversuch zu entwerfen, wie mit dem sowjetischen Bauerbe integrativ umgegangen werden kann.

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Der urbane Raum Bischkeks wird demnach immer mehr zum Gegenstand zivilgesellschaftlicher Auseinandersetzungen. Vielleicht bringt das Planetarium weitere Steine ins Rollen. Wie der Oberste Gerichtshof urteilen wird, bleibt ungewiss. Doch die AktivstInnen sind sich sicher: „Das Planetarium wird leben!

Die neuesten Entwicklungen und die Geschichte des Planetariums können über Facebook und Instagram der Initiative verfolgt werden.

Jana Rapp
Journalistin für Novastan

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Kommentare (2)

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Koenig, 2021-01-25

Wie kann man in Kontakt mit den drei Frauen aus Bishkek treten? Welche genauen Pläne gibt es für die Zukunft? Welcher Projektor vom VEB Carl Zeiss Jena wurde verwendet? Ist dieser noch vorhanden?

Reply

Leupold, 2021-01-26

Hallo,

Das ist der Social Media Kontakt von einer der Aktivistinnen: https://www.facebook.com/ntashiewa

Ich bezweifele dass der Projektor noch vorhanden ist, da das Gebäude über längere Zeit leer stand bzw. zwischenzeitlich auch anderweitig (als Cafe) genutzt wurde. Aber das wissen die entsprechenden Initiatorinnen sicher besser.

Sollt es Probleme bei dir Kontaktaufnahme geben, gerne auch Mail an mich david.leupold@zmo.de

LG

David

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