Im internationalen Vergleich ist das Leben in der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe sehr günstig. Angesichts ihrer Lebenshaltungskosten gilt das jedoch nicht für Einheimische. Von Jahr zu Jahr sinken lokale Einkommen, während die Ausgaben stetig steigen.
Der folgende Artikel erschien am 25. November im tadschikischen Original auf Radioi Ozodi. Wir übersetzen ihn mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.
Auf der Liste der ‚teuersten‘ Städte der Welt des britischen Magazins The Economist rangieren zwei zentralasiatische Städte weit unten: Almaty und Taschkent. Die am 18. November veröffentlichte Studie vergleicht weltweit 130 Städte unter dem Gesichtspunkt eines Warenkorbs von 138 Produkten und Dienstleistungen.
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Im Gegensatz zu den Vergleichen der Vorjahre wurde Duschanbe dieses Jahr nicht in die Rangliste aufgenommen. Bei der Betrachtung alternativer Statistiken, die sich auf die Lebenshaltungskosten ausländischer ArbeitnehmerInnen (kontroverserweise auch ‚Expats‘ genannt, Anm. d. Ü.) in verschiedenen Ländern konzentrieren, sind die Preise in Duschanbe wesentlich niedriger als in Almaty und Taschkent.
Etwa der Webseite Expatistan zufolge sind die Lebenshaltungskosten in Duschanbe 28 Prozent niedriger als in Taschkent und 34 Prozent niedriger als in Almaty. Ähnliche Werte geben auch weitere Quellen an. Wie die Liste des Economist setzen sich diese Angaben aus dem Vergleich der Kosten eines Warenkorbs von Produkten und Dienstleistungen zusammen.
Das Problem solcher Vergleiche ist jedoch, dass sie auf ausländische ArbeitnehmerInnen zugeschnitten sind, deren Jahreseinkommen von über 10.000 US-Dollar jedoch nicht repräsentativ für die Lokalbevölkerungen sind. Für Einheimische selbst sind die Berichte über das angeblich so günstige Leben in der tadschikischen Hauptstadt darum überaus erstaunlich.
Es braucht Glück und eine gute Arbeit
Numon Saidow ist Journalist und unterrichtet seit mehreren Jahren an einer Duschanbiner Universität. Mit nur einem einzigen Gehalt könnte er lediglich einen Teil seiner laufenden Ausgaben decken.
„Wenn Sie Glück haben und eine gute Arbeit bekommen, können Sie alle Ihre Lebenshaltungskosten decken. Wenn Sie aber in einer staatlichen Behörde arbeiten, wird der Kauf eines Hauses oder eines Autos immer ein Wunschdenken bleiben. Sie müssten zwei oder drei Anstellungen haben, um eine Immobilie kaufen zu können“, berichtet Saidow.
Seiner Ansicht nach hat sich die Hauptstadt Duschanbe stark gewandelt, aber Probleme wie mit dem Verkehrswesen, dem Zugang zu heißem Wasser oder Stromausfälle seien nach wie vor nicht gelöst – von einer Verbesserung der Situation lasse sich nicht sprechen. „Außerdem wird es immer schwieriger Arbeit zu finden, da sich der Privatsektor in einer tiefen Krise befindet“, erklärt er.
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Derzeit beträgt der monatliche Mindestlohn in Tadschikistan 400 Somoni (umgerechnet weniger als 40 US-Dollar), das Durchschnittsgehalt 1406 Somoni (etwa 125 US-Dollar). Eine durchschnittliche Rente im Land beträgt 303 Somoni (etwa 27 US-Dollar).
Der Kaufpreis eines Hauses ist offiziellen Angaben zufolge seit Ausbruch des Coronavirus auf 360 US-Dollar pro Quadratmeter gestiegen. Dieser Wert ist zwar niedriger als in anderen Hauptstädten der Region, aber angesichts des geringen Einkommens der lokalen Bevölkerung bleibt der Kauf eines Eigenheims für viele ein unerreichbarer Traum. Ausnahmen bilden diejenigen, die entweder ein Unternehmen besitzen oder für eine ausländische Organisation arbeiten.
Die Vor- und Nachteile des Lebens in der Stadt
Firdaws beispielsweise arbeitet im Finanzsektor für eine in Duschanbe ansässige internationale Organisation. In zehn Jahren Arbeit hat er es geschafft, sowohl ein Haus als auch ein Auto zu kaufen – doch auch er gibt zu, dass seine Kaufkraft von Jahr zu Jahr abnimmt.
„Für lokale Verhältnisse ist mein Gehalt sehr hoch und liegt bei etwas über 1000 US-Dollar. Gab ich früher noch 12 bis 15 Prozent für Lebensmittel aus, sind es inzwischen 40 Prozent meines Gehalts. Selbstverständlich werde ich jetzt andere Ausgaben begrenzen müssen“, erzählt er.
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Firdaws betrachtet die Stabilität, die das Leben in Duschanbe bietet, als größten Vorteil – das niedrige Niveau der Zivilgesellschaft als größten Nachteil der Stadt. „Einerseits verändert sich die Stadt zum Besseren, es entstehen Hochhäuser, Alphabetisierungszentren, neue und schöne Gebäude – andererseits gibt es in der Bevölkerung nur sehr wenig städtische Kultur. Vielleicht ist dies aber auch nur ein vorübergehender Prozess“, sagt Firdaws.
Offiziellen Angaben zufolge liegt die Urbanisierungsrate in Tadschikistan seit Mitte der neunziger Jahre bei 27 Prozent. Zum Vergleich: Im benachbarten Kirgisistan sind es 36 Prozent, in Usbekistan 36,6 Prozent, in Turkmenistan 50,8 Prozent und in Kasachstan 53,2 Prozent.
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ExpertInnen führen dies darauf zurück, dass das Leben in Tadschikistans Städten, einschließlich der Hauptstadt, schwieriger geworden sei. Unter anderem aufgrund der Arbeitslosigkeit und der Wohnungsnot sei das Leben in Duschanbe nicht sehr attraktiv. Die Menschen ziehen ihre Dörfer vor, wo sie Land besitzen und eine Zukunft für ihr Leben sehen.
Der Wirtschaftsexperte Pairaw Tschorschanbijew erklärt, dass die Lebenshaltungskosten in Duschanbe zwar tatsächlich niedriger als in anderen Hauptstädten sind, dies allerdings auch ein Hinweis auf das Ausmaß der städtischen Armut sei. „Der Markt entspricht immer der Kaufkraft der Menschen. Je höher die Kaufkraft der Menschen ist, desto höher ist das Preisniveau – und umgekehrt. Wenn wohlhabendere Länder hochwertige chinesische Produkte importieren, werden wir in Tadschikistan die billigeren Produkte importieren. Dies bedeutet, dass unsere Bevölkerung keine teuren Produkte kaufen kann“, analysiert Tschorschanbijew.
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Laut unserem Gesprächspartner kann auch die Zu- und Abwanderungsrate ein Indikator für den Lebensstandard eines Ortes sein. „Alle, die dazu in der Lage waren, verließen die Stadt bereits“, sagt Tschorschanbijew gegenüber Radioi Ozodi. „Die verbliebenen Personen haben entweder keinen Landsitz, oder sind regierungsnah.“
Nach offiziellen Angaben wächst die Bevölkerung Tadschikistans jährlich um 2,1 Prozent. Jedes Jahr treten 180.000 bis 200.000 ArbeitnehmerInnen in den Arbeitsmarkt ein. Schätzungen zufolge wandern jedes Jahr mehr als eine Million Menschen aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit aus Tadschikistan nach Russland ab.
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Russische Behörden schätzen, dass es in Russland mehr als eine Million tadschikische MigrantInnen gibt. Tadschikische Statistiken widersprechen diesen Zahlen jedoch und sprechen von weniger als 500.000 Menschen. Laut den Behörden in Duschanbe sei die Migrationsrate nach Russland rückläufig.
Der dem tadschikischen Präsidenten unterstehende Statistikausschuss gibt an, dass die städtische Bevölkerung Tadschikistans im Jahr 2000 26,7 Prozent und die ländliche Bevölkerung 73,3 Prozent betrug. Diese Werte hätten sich innerhalb von fast 20 Jahren kaum verändert. Im Jahr 2019 wurde der Anteil der in Städten lebenden Bevölkerung auf 26,3 Prozent und der der auf dem Land lebenden auf 73,7 Prozent beziffert.
Chursand Churramow für Radioi Ozodi
Aus dem Tadschikischen von Robin Shakibaie
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