Der Nurek-Staudamm in Tadschikistan ist mit 300 Metern eine der zwei höchsten Talsperren der Welt. In den 1980ern trug er noch den Namen Leonid Breschnews, der sich einst für Bau und Ort stark machte. Die tadschikische Onlinezeitung Asia Plus schildert, wie der damalige Staatschef der Sowjetunion einst die Baustelle des Wasserkraftwerks besuchte. Folgender Artikel erschien im russischen Original am 1. September 2020.
Der Besuch von Leonid Iljitsch Breschnew war erst drei Tage vor seiner Ankunft in Norak (russisch „Nurek“), im Südwesten der tadschikischen Sowjetrepublik, gemeldet worden. Am Morgen des 1. September 1970 wurde die Stadt mit roten Bannern dekoriert. Norak brummte wie ein Bienenstock. Man fragte sich, wann Breschnew ankommen und wie lange er bleiben würde, welche Objekte er besichtigen und ob er das Haus der Kultur, Geschäfte, Kindergärten, Schulen besuchen würde.
Novastan ist das einzige deutschsprachige Nachrichtenmagazin über Zentralasien. Wir arbeiten auf Vereinsgrundlage und Dank eurer Teilnahme. Wir sind unabhängig und wollen es bleiben, dafür brauchen wir euch! Durch jede noch so kleine Spende helft ihr uns, weiter ein realitätsnahes Bild von Zentralasien zu vermitteln.
Es war ein sonniger, heißer Tag. Am Stadteingang versammelten sich der Bauleiter und der Leiter der Hauptenergieabteilung der Republik, W. I. Ljultschak, der Vorsitzende des Exekutivkomitees der Stadt, B. Schukurow, der Leiter der Industriegruppe „Tadschikgydroelektostroj“, G. I. Tichonow, und Bauleiter Ju. K. Sewenard.
Lest auch bei Novastan: Das Schaufenster des sowjetischen Ostens – Über die Diplomatie Sharof Rashidovs
An der Straßenbiegung erschien eine Autokolonne aus mehreren Tschajkas. Die Autos fuhren in die Stadt, tausende Einwohner begrüßten Breschnew. Die Kolonne fuhr weiter zum Bauhauptquartier. Das gesamte Team der Baustelle versammelte sich hier und berichtete dem Staatschef über den Fortschritt beim Bau des Energieriesen auf dem Fluss Wachsch, der Nurek-Talsperre.
Nach dem Gespräch brachte man den Generalsekretär der Kommunistischen Partei zum Staudamm, zeigte ihm dessen zentralen Teil. Währenddessen strömten die Arbeiter von überall her auf die Baustelle. Als Breschnew das bemerkte, ging er zu den Arbeitern hinunter. Sogleich wurde er von allen Seiten von Installateuren, Betonarbeitern, Platinenlegern, Maschinisten, Fahrern umringt.
„Meine Genossen, ich habe viele große Baustellen in unserem Land besucht, bereits viele Länder und erstaunliche Gebäude gesehen. Aber was ich in Nurek gesehen habe, ist nichts im Vergleich zu dem, was ich bisher sehen durfte!“, erklärte Breschnew. „Ihr baut ein Wasserkraftwerk unter unglaublich schwierigen bergbaulichen und klimatischen Bedingungen. […] Als Ingenieur kann ich euch sagen, wie kompliziert und gleichzeitig erfolgreich die Anordnung der Komponenten der Struktur ist. Ihr Nureker seid gut, wahre Helden, und eure Arbeit ist wunderbar!“
„Nurek ist die Projektion zukünftiger großer Bauprojekte“
Danach folgte ein offenes Gespräch. Die Arbeiterinnen und Arbeiter thematisierten auch Mängel, sprachen einfach und ernsthaft, beklagten, dass es nicht genügend Wohnungen gäbe. Breschnew wandte sich an das Staatsoberhaupt der Tadschikischen Sowjetrepublik, Dschabbor Rasulow: „Wie viel Geld wird in diesem Jahr für den Wohnungsbau benötigt?“ Rasulow antwortete: „Eine Million Rubel mit Material„.
„Das staatliche Planungskomitee wird Ihnen diese Million zuteilen“, versprach Breschnew den Arbeitern, „wir werden euch mit Metall und Zement helfen!“
Einige Arbeitnehmer beklagten sich darüber, dass es unmöglich sei, internationale Sportwettkämpfe in Nurek zu verfolgen, da es keinen Sender gebe. Daraufhin Breschnew wieder: „In sehr naher Zukunft wird ein Sender installiert werden.“
Und Breschnew erfüllte seine Versprechen: Das Geld für den Bau von Wohnungen für Nurek wurde bereitgestellt und der Sender am Tschomasak-Pass installiert.
Bald spürte jeder in Nurek, wie zentrale Ministerien und Abteilungen, Werke und Fabriken, von denen der Bau des Wasserkraftwerks abhing, ihre Einstellung zum Projekt änderten. Nurek war nun eines der wichtigsten und vorrangigen Bauprojekte in der Sowjetunion geworden.
Lust auf Zentralasien in eurer Mailbox? Abonniert unseren kostenlosen wöchentlichen Newsletter mit einem Klick.
Breschnew hat für den Wohlstand Tadschikistans so viel getan, wie kein sowjetischer Staatsmann vor oder nach ihm. Unter ihm wurden regionale Industriestätten wie die tadschikische Aluminiumfabrik, das Chemiekombinat Jowon, die Stickstoff- und Brennstoffanlage Wachsch errichtet. Alle Baustellen in Tadschikistan wurden mit dem Nötigsten ausgestattet. Breschnew schickte die besten Spezialisten nach Tadschikistan, die ihre Arbeit mit der Ausbildung einheimischer Mitarbeiter kombinierten.
Lest auch bei Novastan: Tadschikistan erlaubt die Privatisierung des Aluminiumkonzerns TALCO und des Rogun-Wasserkraftwerks
Im Jahr 1978 schrieb Breschnew dann einen Brief an die Erbauer des Wasserkraftwerks Nurek, der in der Prawda am 11. Februar 1978 erschien: „Bald werden die letzten Bauarbeiter das Gelände des Wasserkraftwerks Nurek verlassen. Sie gehen weiter ihres Wegs, nach Rogun, zu neuen Baustellen, die vielleicht gerade erst in den Umrissen staatlicher Pläne und den ersten Pflöcken auf unbewohntem Land existieren“, so der Generalsekretär. „Aber es ist ganz klar, dass das Gesamtergebnis von Nurek bei weitem nicht nur darin besteht, dass in zwei Jahrzehnten Bauzeit am Ufer des Wachsch-Flusses eine neue Stadt, ein künstlicher See und ein Wasserkraftwerk entstanden sind […]. Nurek ist die Projektion zukünftiger grandioser Konstruktionen„.
Heutzutage klingt das Pathos dieser Zeilen prophetisch, wie eine Ankündigung dessen, dass auch das Wasserkraftwerk Rogun fertiggestellt werden soll. Unmittelbar nach dem Tod von Breschnew wurde das Wasserkraftwerk Nurek auf Wunsch der Bevölkerung nach ihm benannt. Es trug diesen Namen bis 1988.
Gafur Schermatow
Asia Plus
Aus dem Russischen von Florian Coppenrath
Noch mehr Zentralasien findet ihr auf unseren Social Media Kanälen, schaut mal vorbei bei Twitter, Facebook, Telegram, Linkedin oder Instagram. Für Zentralasien direkt in eurer Mailbox könnt ihr euch auch zu unserem wöchentlichen Newsletter anmelden.