Startseite      Kommt der Maidan nach Zentralasien? Die Auswirkungen des Umsturzes in der Ukraine

Kommt der Maidan nach Zentralasien? Die Auswirkungen des Umsturzes in der Ukraine

Die Ereignisse in der Ukraine machen auch den anderen ehemaligen Sowjetrepubliken zu schaffen. Insbesondere die autoritären und korrupten Regime Zentralasiens scheinen anfällig für eine Wiederholung des „Maidan-Phänomens“. Die dortigen Regierungschefs fragen sich nun, wer auf Janukowitsch folgen wird. Die Bevölkerungen allerdings sind besorgt um ihre Heimatländer, die ebenso Opfer der russischen Expansionspolitik werden könnten.

Atambajew, Nasarbajew, Putin, Rahmon
Atambajew, Nasarbajew, Putin, Rahmon

Die Ereignisse in der Ukraine machen auch den anderen ehemaligen Sowjetrepubliken zu schaffen. Insbesondere die autoritären und korrupten Regime Zentralasiens scheinen anfällig für eine Wiederholung des „Maidan-Phänomens“. Die dortigen Regierungschefs fragen sich nun, wer auf Janukowitsch folgen wird. Die Bevölkerungen allerdings sind besorgt um ihre Heimatländer, die ebenso Opfer der russischen Expansionspolitik werden könnten.

Bislang haben die Turbulenzen auf dem ukrainischen Maidan und die Krim-Krise kein großes Echo von Seiten der zentralasiatischen Regierungsführer nach sich gezogen. Als die ukrainische Opposition mit der Bildung der Übergangsregierung begann, stellte der kirgisische Präsident Almasbek Atambajew bezüglich der Geschehnisse in der Ukraine viele Parallelen zu Kirgistan nach dem Regierungssturz von Bakijew im Jahre 2010 fest. Er zeigte sich zuversichtlich und solidarisch mit dem ukrainischen Volk, und wünschte viel Erfolg und Durchhaltevermögen in diesen schwierigen Zeiten. Doch schneller als es ihm lieb ist, könnte Atambajev mit einer ähnlichen Situation in Kirgistan konfrontiert sein. Seine Regierung hat nach wie vor mit vielen destabilisierenden Faktoren zu kämpfen, und insbesondere im Zuge der Bürgermeisterwahlen in Osch und Bischkek kam es zu massenhaften Unmutsäußerungen der Bevölkerung. Alleine in den letzten elf Monaten wurden 782 Proteste verschiedener Größenordnung in Kirgistan registriert. Und auch die übrigen Staatschefs Zentralasiens sind nicht vor Janukowitschs Schicksal gefeit.

Fragiles Kirgistan

Der Führungsstil von Atambajew unterscheidet sich nur wenig von dem seiner Vorgänger. Insbesondere seine pro-russische Politik, die das ökonomische und politische Schicksal des Landes immer stärker an das Russlands bindet, trifft kaum auf Gegenliebe in der kirgisischen Bevölkerung. Im letzten Jahr wurde auf Initiative des Präsidenten hin die hochverschuldete Aktiengesellschaft „Kyrgyzgaz“ für den symbolischen Preis von 1 USD an Gazprom verkauft. Russland übernahm auch den Bau des Wasserkraftwerkes Kambarata 1 und unterstützte den Bau eines weiteren Wasserkraftwerkes an der Ober-Naryn. Im Rahmen eines Partnerschaftsabkommens hilft Russland bei der Umrüstung der kirgisischen Armee, hierzu wurden Vereinbarungen über Waffenlieferungen und den Austausch von Kriegstechnologie getroffen. Im Gegenzug gewährt Kirgistan dem russischen Militär Zugang zu seinem Staatsgebiet. Es existieren insgesamt vier russische Militärbasen auf kirgisischem Territorium: der Luftwaffenstützpunkt Kant, ein Nachrichtenpunkt der Marine im Dorf Kara-Balta, ein Testgelände für U-Boot-Jagdwaffen am Issyk-Kul-See sowie eine Erdbebenwarte des russischen Verteidigungsministeriums. Im Zuge der Schließung der US-Militärbasis auf dem Flughafen Manas in der Nähe der Hauptstadt Bischkek wurde mit Russland ein Memorandum über die Modernisierung der kirgisischen Flughäfen unterzeichnet. Nun verlangt das russische Unternehmen Rosneft 51 Prozent der Aktienanteile am Internationalen Flughafen Manas.

Zwangsehe mit Russland

Russland halt

Die zentralasiatischen Gastarbeiter in der Russischen Föderation kommen hauptsächlich aus Usbekistan, Tadschikistan und Kirgistan. Während die Rücksendungen der tadschikischen Migranten fast die Hälfte des nationalen Bruttoinlandsprodukts ausmachen, summieren sich die Geldsendungen aus Russland in Kirgistan jährlich auf 35-40 Prozent. Tadschikistan und Kirgistan sind Anwärter für den Beitritt zur Eurasischen Zollunion, zu der neben Russland und Weißrussland bereits Kasachstan gehört. Dass Zentralasien, ob es will oder nicht, dem russischen Einfluss unterliegt, betonte kürzlich der Duma-Abgeordnete Wladimir Schirinowski in einer etwas saloppen Anmerkung: „Diese Staaten sollte man eigentlich zu der zentralasiatischen Föderation Russlands erklären.“ Der Moskauer Zentralasienexperte Arkadi Dubnow sah in dieser Aussage den Ausdrucks eines allgemeinen Trends im Kreml hin zu einer Stärkung des russischen Einflusses in Zentralasien. Natürlich bleibt dies den dortigen Regierungschefs nicht verschlossen. Die Situation, in der sich Janukowitsch befindet, dürfte Erinnerungen an die Notlage der kirgisischen Ex-Präsidenten Akajew und Bakijew wachgerufen haben, die in Russland und Weißrussland Zuflucht fanden. Die Furcht vor einem möglichen Maidan-Szenario stellt sich allen fünf Republiken, und die unausgesprochene Frage lautet: „Wer ist der Nächste?“

Kein Kommentar zur Krim-Krise

Die Spannungen auf der Halbinsel Krim wurden in Zentralasien von offizieller Seite kaum kommentiert. Kasachstan plädierte lediglich in ein paar Sätzen für eine friedliche Lösung der Krise, und riet beiden Seiten von Gewalt ab. Etwas später meldete sich Usbekistan mit „Besorgnis um die Souveränität und die territoriale Einheit der Ukraine“ zu Wort, ohne dabei Russland und die Krim explizit zu erwähnen. Turkmenistan, Tadschikistan und Kirgistan zeigten bisher keinerlei Reaktion. Der Politologe Arkadi Dubnow ist sich sicher, dass diese Zurückhaltung weiter anhalten wird. Es ist anzunehmen, dass man sich eher mit potentiellen Konsequenzen für die eigenen Staaten befasst. Denn der Anlass zu einem Militäreinmarsch zum „Schutze der russischen Minderheit und der russischen Militärobjekte“ wäre auch in Zentralasien gegeben. In allen zentralasiatischen Ländern leben russische und russischsprachige Minderheiten, die je nach Regime einen unterschiedlich starken Schutz ihrer Rechte zur Erhaltung von Sprache und Kultur genießen. Viele dieser Minderheiten fühlen sich politisch und kulturell marginalisiert. Außer in Kirgistan unterhält Russland eine Militärbasis in Tadschikistan und gleich mehrere militärische Übungs- und Testgelände im Norden Kasachstans.

Zum gleichen Thema: Regime Kritiker: Kasachstan leidet an „Janukowitsch-Symptom“

Berichterstattung aus dem Kreml

Die russische Berichterstattung dominiert die Medienlandschaft der Region. Durch Beiträge in Nachrichtensendungen wird versucht den Euromaidan zu diskreditieren, und häufig wird die Abwertung der lokalen Währungen mit der ukrainischen Krise in Verbindung gebracht. Die Rede ist von einer möglichen Zweiteilung der Ukraine als Ergebnis der Interessenskollision der Großmächte USA, EU und Russland. Der russische Einmarsch wird hierbei als stabilisierender Faktor und Garant für Recht und Ordnung auf der Krim dargestellt. Die bekannte Journalistin Meri Bekeshowa aus Bischkek ließ der Autorin dieses Artikels folgenden Kommentar zukommen: „Russland muss für die Stabilisierung in der Ukraine sorgen, sonst bricht das Chaos morgen in Weißrussland aus, und übermorgen geht es mit den Tschetschenen und Tataren weiter. Die USA und die EU sind für diese Unruhen verantwortlich.“

Die Bevölkerung in Kasachstan und Kirgistan, soweit sie Zugang zu alternativer Berichterstattung über das Internet hat, bildet sich ihre eigene Meinung zur Ukraine. Die kasachische Solidarität mit dem Maidan sticht besonders hervor. Seit Monaten ist die kasachische Flagge zusammen mit der ukrainischen auf verschiedenen sozialen Netzwerken zu sehen, die Zollunion mit Russland wird immer wieder in Frage gestellt und die aggressive Politik von Putin heftig diskutiert. Infolge der Massendemonstrationen in Astana gegen die Abwertung des kasachischen Tenge könnte es zu einem Spillover-Effekt vom Maidan nach Kasachstan kommen. Die Anzeichen mehren sich, dass die Nazarbajew-Ära langsam aber sicher auf ihr Ende zugeht. In der kasachischen Gesellschaft zeichnet sich dies durch mehrfache Spaltungen nach außen sowie innen ab. Pro- und anti-russische, nationalistische, pro und contra die eigene Regierung gerichtete Bewegungen lassen sich in allen Staaten Zentralasiens vorfinden, und werden durch die Krim-Krise weiteren Aufwind erhalten.

Gestern Abchasien, heute Krim, morgen Nordkasachstan“

Demonstration Bischkek

In Astana und Bischkek kam es in den letzten Tagen vermehrt zu Protesten gegen das russische Vorgehen auf der Krim. Mit ukrainischen und kasachischen Fahnen zogen die Demonstranten durch die Straßen Astanas bis vor das russische Generalkonsulat. Dort sangen sie die ukrainische und kasachische Nationalhymne und skandierten: „Gestern Abchasien, heute Krim, morgen Nordkasachstan“, und „Russland, lass deine Finger von der Ukraine!“. Auf den Plakaten war unter anderem „Wir sind gegen Separatismus!“, „Für Eure und unsere Freiheit!“, „Putin, Halt!“ und „Keine Union mit dem Okkupanten!“ zu lesen. Die Protestierenden verlangten den Truppenabzug aus der Krim und die Schließung der russischen Raketentestgelände auf kasachischem Territorium. Außerdem forderten sie den russischen Konsul zu einem Treffen auf. Die Polizei löste die Demonstration auf und nahm einen der Aktivisten fest.

Etwas bescheidener und ruhiger verlief die Protestaktion vor dem Weißen Haus in Bischkek unter dem Motto „Souveränität der Ukraine = Souveränität von Kirgistan.“ Die Regierung wurde aufgerufen, sich für die territoriale Einheit der Ukraine auszusprechen und für eine ausgewogene Berichterstattung in Radio und Fernsehen zu sorgen.

Beobachter und Journalisten aus Tadschikistan, Kirgistan und Kasachstan diskutieren bereits die möglichen Konsequenzen der Krim-Krise (z.B. den Beginn eines neuen Kalten Krieges) und gehen von der Ausweitung der Krise auf weitere Staaten der früheren Sowjetunion aus. Die Frage sei nicht mehr ob, sondern vielmehr welches Land als Nächstes an der Reihe ist.

 

 

Mahabat Sadyrbek
Politikwissenschaftlerin und Doktorandin der BGSMCS
Journalistin für Novastan.org, Kirgistan

Redaktion: Alexander Maier

 

 

 

 

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