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Ak Welsapar, turkmenischer Exilschriftsteller

Der turkmenische Schriftsteller Ak Welsapar erzählt, wie er in Turkmenistan von einem angesehenen Schriftsteller zu einem Paria wurde. Heute lebt er im Exil in Schweden, er bleibt aber durch seine Bücher auf Turkmenisch, Russisch und Schwedisch mit seinem Heimatland verbunden. Folgendes Interview wurde zuerst im Juli 2019 vom Jentayu Verlag in einer halbjährlich erscheinenden Zeitschrift über Asien veröffentlicht.

jentayu 

Übersetzt von: Florian Coppenrath

Original

Ak Welsapar
Der Schriftsteller Ak Welsapar

Der turkmenische Schriftsteller Ak Welsapar erzählt, wie er in Turkmenistan von einem angesehenen Schriftsteller zu einem Paria wurde. Heute lebt er im Exil in Schweden, er bleibt aber durch seine Bücher auf Turkmenisch, Russisch und Schwedisch mit seinem Heimatland verbunden. Folgendes Interview wurde zuerst im Juli 2019 vom Jentayu Verlag in einer halbjährlich erscheinenden Zeitschrift über Asien veröffentlicht.

Ak Welsapar ist ein Sonderfall in der turkmenischen Literatur. Er hat mehr als zwanzig Bücher in turkmenischer, russischer und schwedischer Sprache verfasst und vertritt eine unabhängige Vision des verschlossensten Landes in Zentralasien. Sein Hauptwerk, Die Kobra, wurde 2002 in turkmenischer Sprache veröffentlicht.

Jentayu-Verlag: Ihr Roman Die Kobra wurde erstmals 2002 auf Turkmenisch und 2005 auf Russisch veröffentlicht. Warum haben Sie diesen Roman geschrieben? Wie ist er entstanden?

Ak Welsapar: Das Kobra-Projekt kam mir in den frühen 90er. Genauer gesagt, es entspricht etwas, was ich beobachtet habe. Als sich die Regierungen plötzlich von der Sklaverei befreit fühlten, in der sie sich befanden, war die lokale Elite fast überall bereit, den Ambitionen der neuen nationalistischen Führer zu dienen. Diese waren aber nichts anderes als lokale Statthalter des Kremls. Die intellektuelle und künstlerische Elite des Landes – Schriftsteller, Journalisten, Maler, Komponisten, die früher Mitglieder der Nomenklatura und große Propheten der zukünftigen Unabhängigkeit waren – war dabei besonders eifrig.

Diese Entwicklung war natürlich kein gutes Zeichen. Damals war ich ein junger Schriftsteller, setzte mich seit den Jahren der Perestroika (1987-1991, Anm. d. Red.) für ein freies und demokratisches Turkmenistan ein und beobachtete mit großer Trauer, was in den ersten Tagen der Unabhängigkeit geschah. Die UdSSR brach zusammen und die ehemaligen Intellektuellen der Nomenklatura waren gleich regierungsnah und scharten sich um die neuen zentralasiatischen Präsidenten.

Diese künstlerischen und intellektuellen Eliten haben alles getan, um in den ehemaligen Sowjetstaaten die Entstehung autokratischer Macht und die Entwicklung zu einem diktatorischen Regime zu ermöglichen. Die ehemaligen ersten Sekretäre der lokalen Kommunistischen Parteien haben sich an den Kopf der Regierungen gestellt und sich zu Präsidenten gemacht. Wir haben schnell verstanden, wie diese Menschen, die sich entschieden gegen jeden demokratischen Wandel und die Achtung der Menschenrechte aussprachen, regieren wollten. Sie waren mäßig gebildet, aber gerissen genug, um ihre Gesprächspartner, einschließlich der Westler, über ihre wahren Absichten zu täuschen und sie jahrelang an der Nase herumzuführen. Ich konnte die Geburt einer neuen Art von Diktatoren beobachten, die raffinierter waren und denen ich den Titel Herr Genosse Präsident verlieh. Sie bestimmen weiterhin den Tanz im postsowjetischen Raum und verkörpern sich jedes Mal in einer neuen Hypostase.

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Alles war buchstäblich absurd, surreal. In Turkmenistan zum Beispiel benannten die ehemaligen Mitglieder der Kommunistischen Partei am 16. Dezember 1991 ihre Partei zur Demokratischen Partei um. So wurden sie alle mit einem Mal zu Demokraten. Ein ganzes weiteres Jahr lang, bis zum Herbst 1992, zahlten sie weiterhin die Beiträge für ihren alten Parteipass. Selbst mit grenzenloser Phantasie hätten wir diese postsowjetische Realität nicht erfinden können. Ich beschrieb einfach, was ich sah.

Ich begann im Sommer 1992 Die Kobra zu schreiben. Damals war ich im Schriftstellerhaus, dreihundert Meter von der Sommerresidenz von Saparmurat Niyazow, eines der abscheulichsten Diktatoren der Welt, entfernt. Ich wusste von Anfang an, dass ich es Die Kobra nennen wollte. Es war übrigens der letzte Sommer, den ich an diesem Ort, im Firiuz-Tal, verbringen konnte. Danach wurde ich zum Volksfeind erklärt und aus dem Schriftstellerverband und dem Journalistenverband ausgeschlossen. Meine Bücher wurden sehr schnell aus allen Bibliotheken und Buchhandlungen im ganzen Land entfernt und verbrannt. Ich hingegen musste ins Exil.

Ihr Erfolg in Turkmenistan begann 1988 mit der Veröffentlichung Ihres Romans Melonenkopf. Worum geht es in diesem Roman? Wie würden Sie ihre ersten Texte vor der Auswanderung nach Schweden im Vergleich zu Ihren späteren Arbeiten beschreiben? Gibt es wiederkehrende Themen?

Mein Leben ist voller dramatischer Ereignisse, aber es gab auch glückliche Tage. Zuerst einmal hatte ich das Glück, das Gymnasium abschließen und zwei Jahre die Hochschule besuchen zu können. Ich habe aus Liebe geheiratet und arbeite in einem Beruf, den ich liebe: dem Journalismus. Als mein Roman Melonenkopf in einem sehr geschlossenen Wettbewerb den sehr renommierten nationalen Preis gewann, wurde ich buchstäblich von einem Tag auf den anderen berühmt.

Leider hielt das Glück nicht lange an. Danach gab es den Sumpf der sterbenden UdSSR: eine Realität aus Lügen, eine perverse Gesellschaft mit zwei Gesichtern. Man konnte alles kaufen, alles verkaufen. Man musste ein Held sein, um in der UdSSR zu leben, ohne zu lügen, ohne zu stehlen, ohne sich diesem System zu unterwerfen und indem man seinen Idealen treu blieb. Mein Roman Melonenkopf erzählt die Geschichte eines hartnäckigen jungen Mannes, der in dieser doppelgesichtigen Gesellschaft alles tut, um in sich die besten menschlichen Eigenschaften zu bewahren. Trotz dieses Nationalpreises brauchte ich zwei Jahre, um den Roman in einer Literaturzeitschrift zu veröffentlichen, und weitere zwei Jahre für eine Buchpublikation. Dafür wurde er durch die Zensur verstümmelt.

Neutrales Turkmenistan Titelseite
Die turkmenische Presse sieht meist so aus

Leider hat die Unabhängigkeit Turkmenistan in Sachen Meinungs- und Pressefreiheit fast nichts gebracht. Im Gegenteil, die Situation ist noch reaktionärer geworden. Ohne die Zustimmung der Behörden können wir nicht einmal die Bücher von Nobelpreisträgern importieren, geschweige denn andere Autoren, gegen die die Macht chronisch allergisch ist. Ein kürzliches Beispiel: Am 3. Juni 2019 wurde ein Container aus der Türkei mit 1.200 Kopien von Die Kobra unweit von Kaakhka, 141 Kilometer vor der Hauptstadt Aschgabat, angehalten. Laut einer Quelle aus dem Umfeld des Zolls wurde die gesamte Auflage dieses beliebten Buches ein paar Tage später verbrannt.

Turkmenistan missachtet grundsätzliche Rechte und Freiheiten. Im jüngsten Bericht zur Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen, steht es hinter Eritrea und Nordkorea an letzter Stelle.

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Meine ersten Texte kündigen im Wesentlichen die an, die ich später geschrieben habe, als meine Bücher bereits verboten waren und ich in der Emigration lebte. Meine Geschichten, wie Der Tod des Margir, In einem Grab liegend oder Das Smaragdufer sind wie Vorwörter zu Die Kobra oder Die Legende von Aipi. Wenn sich in meinen Werken etwas wiederholt, dann ist es die Art und Weise, wie sich meine Helden vor allem schützen, was von außen ihre Menschenwürde verletzen kann. Sie behalten ihre Seele, auch wenn alles verloren scheint. Besteht die Würde des Menschen nicht darin, bis zum Ende menschlich zu bleiben? Sagt man nicht, dass Kultur das ist, was der Mensch hinterlässt, wenn er nichts anderes hat?

Sie schreiben auf Turkmenisch und übersetzen sich dann selbst ins Russische. Welche Unterschiede erleben Sie beim Schreiben in beiden Sprachen? Können Sie das, was Sie in der Muttersprache sagen, in der anderen Sprache wiedergeben, oder gibt es problematische Momente bei der Übersetzung, zum Beispiel bei Wortspielen?

Natürlich gibt es Unterschiede zwischen Turkmenisch und Russisch, aber das liegt nicht nur an meiner Beherrschung der einen oder anderen Sprache. Es liegt auch an ihrem jeweiligen Umfang. Turkmenisch ist für mich unersetzlich, weil es meine Muttersprache ist, aber Russisch ist viel umfangreicher. Deshalb schreibe ich in beiden Sprachen. Dann hat sich eine dritte Arbeitssprache hinzugefügt: Schwedisch. Ich übersetze dann selbst, was ich in der einen oder anderen Sprache geschrieben habe. Aber die Zeit, die ich mit dem Übersetzen „verschwende“, bekomme ich wirklich hundertfach zurück. Jede dieser Sprachen hat ihren eigenen Reichtum. Die Schönheit der einen lehrt mich, die anderen zu verstehen und zu lieben, sie lenkt meine Aufmerksamkeit zum Beispiel auf die Tiefe und das Potenzial meiner Muttersprache.

Sie haben Turkmenistan 1993 in Richtung Russland verlassen und sind dann Ende 1994 nach Schweden umgezogen. Wenn ich mich nicht irre, schreiben Sie jetzt auf Schwedisch. Können Sie uns etwas über diesen Prozess des Erlernens einer Fremdsprache erzählen und wie Sie genügend Selbstvertrauen erworben haben, um auf Schwedisch zu schreiben? Welche Bücher haben Sie direkt auf Schwedisch geschrieben und worum drehen sie sich?

Bisher habe ich drei Texte auf Schwedisch geschrieben: zwei Kindergeschichten und einen Roman für Erwachsene. Es fiel mir schwer, einen Roman auf Schwedisch zu schreiben, obwohl beide Kindergeschichten bereits zwanzig Jahre alt sind. Wie Erwachsenen brauchen länger als Kinder, um eine Fremdsprache zu lernen. Aber das bedeutet nicht, dass wir sie weniger gut lernen: Wir erwerben ein tieferes Wissen darüber. Kinder hingegen fühlen sich in einer Fremdsprache wohler, sie haben keine Angst, Fehler zu machen, sie haben nicht unsere Erwachsenen-Komplexe.

Welche Autoren haben Sie inspiriert? Gibt es Autoren in Turkmenistan, Zentralasien, Russland oder anderswo, die Sie beeinflusst haben?

Ich bin an der Schnittstelle mehrerer Kulturen aufgewachsen: der turkmenischen Folklore zum größten Teil und der russischen und westlichen klassischen Kultur. Meine größten Meister in Sachen Literatur sind Nikolai Gogol und François Rabelais. Für andere mögen sie stilistisch sehr weit voneinander entfernt sein, aber nicht für mich. Ich könnte auch zwei Dutzend weitere Autoren nennen, die ich verehrte und regelmäßig wiederlese.

Aschgabat
Es ist für Turkmenen schwer, an Nachrichten zu kommen (Illustrationsbild)

Das Leben im Westen hat mir viel gebracht und mir erlaubt, mich in meinem Stil zu behaupten, den Literaturkritiker „magischen Realismus“ nennen. Aus diesem Grund bereue ich es nicht, ausgewandert zu sein, auch wenn die Trennung von Turkmenistan für mich sehr schwierig ist. Wenn es, trotz allem, was ich dort erlebt habe, einen Lichtstrahl in meinen Werken gibt, dann ist es der von Turkmenistan, von der Karakum-Wüste.

In früheren Ausgaben von Jentayu haben wir Texte von Hamid Ismailov, Jewgeni Abdullayev, Vika Osadchenko (alle drei aus Usbekistan) und Guzel Iakhina (Russland) veröffentlicht. Vielleicht kennen Sie diese Autoren? Gibt es in Zentralasien talentierte Autoren, deren Übersetzung Sie empfehlen würden?

Von den von Ihnen genannten Autoren bin ich mit den Werken von Hamid Ismailov und Guzel Iakhina gut vertraut. Sie vertreten mit viel Talent die Literatur ihres Landes auf der internationalen Bühne. In Bezug auf Turkmenistan könnte ich Kakamurad Atayew erwähnen, der die postsowjetische Zeit in völliger Einsamkeit durchlebt hat. Wie kein anderer turkmenischer Autor schildert er mit einfachen und traurigen Worten das Leben im ländlichen Turkmenistan, in seinen abgelegensten Regionen, zu verschiedenen Zeiten.

Andere zentralasiatische Länder verfügen über ebenso talentierte Schriftsteller. Einige wurden in europäische Sprachen übersetzt. Aber insgesamt ist Zentralasien, das eine sehr reiche Zivilisation hat und der Welt bereits Denker wie Al-Farabi, Avicenna, Mahmud-al-Kaschghari, Ahmed Yesevi, Alisher Navoi, Nezami, Magtymguli Pyragy gegeben hat, derzeit in Europa sehr schwach vertreten.

Interview und Übersetzung ins Französische von Irène Imart

Aus dem Französischen von Florian Coppenrath

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