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„Es gibt keinen Bischkeker Bürger“ – Der Filmemacher Eric Abdykalykov im Gespräch

Um die städtische Kultur von Bischkek zu fördern, startete der junge Aktivist Eric Abdykalykov eine Filmreihe, die die Stadt den Menschen näherbringen soll. „Bischkek-140“, zum entsprechenden Geburtstag der Stadt im vergangenen Jahr gestartet, beleuchtet interessante geschichtliche oder architektonische Details der kirgisischen Hauptstadt. Nach der Vorführung der dritten Staffel hat Novastan.org den Gründer der Reihe interviewt.   

Eric Abdykalykov

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Eric Abdykalykov ist Unternehmer, gesellschaftlicher Akteur und Filmemacher

Um die städtische Kultur von Bischkek zu fördern, startete der junge Aktivist Eric Abdykalykov eine Filmreihe, die die Stadt den Menschen näherbringen soll. „Bischkek-140“, zum entsprechenden Geburtstag der Stadt im vergangenen Jahr gestartet, beleuchtet interessante geschichtliche oder architektonische Details der kirgisischen Hauptstadt. Nach der Vorführung der dritten Staffel hat Novastan.org den Gründer der Reihe interviewt.   

Mit seinen 25 Jahren ist Eric Abdykalykov Unternehmer, Filmemacher und gesellschaftlicher Akteur. Der gebürtige Karakoler ist in Bischkek aufgewachsen und hat dort einen Abschluss in Englischer Literatur an der Kirgisisch-Türkischen Universität „Manas“ absolviert. Nachdem er mit „April“ eine Agentur ins Leben gerufen hat, die romantische Rendez-vous in Bischkek organisiert, setzt sein jüngstes Start-Up bereits auf einen größeren Markt: „FitJab“ ist eine Fitness-App für muslimische Frauen aus der ganzen Welt.

Der Bischkeker Öffentlichkeit ist er aber vor allem durch seine ehrenamtlichen Tätigkeiten bekannt. Eric ist insbesondere bei „Kyrgyz Union“ aktiv, einer Vereinigung von jungen Kirgistanern, die im Ausland leben. Er hat die lokale Filiale des „Rotaract Club“ gegründet, um kirgisische Kultur zu entwickeln und „die ganze Welt mit Kirgistan vertraut zu machen“.

Mit der Filmereihe Bischkek-140 möchte der junge Geschichtsinteressierte hingegen die Bischkeker selbst mit der Geschichte ihrer Stadt vertraut machen. Zum 140. Jubiläum der Stadt im vergangenen Jahr zeigte Eric erstmals eine Reihe von Kurzfilmen, in denen bekannte Persönlichkeiten verschiedene Details zur Stadt beleuchten. Im Mai diesen Jahres versammelten sich mehrere Hundert Leute zur Premiere der dritten Staffel dieser Reihe.

In dieser Folge (mit deutschen Untertiteln) präsentiert Eric selbst ein paar Sehenswürdigkeiten von Bischkek:

Im Gespräch mit Novastan erläutert Eric, was ihn zu diesem Filmprojekt motiviert hat und was die Besonderheiten der kirgisischen Hauptstadt sind.

Novastan.org: Erinnerst Du dich an deinen ersten Eindruck von Bischkek?

Eric Abdykalykov: Natürlich, das sind Kindheitserinnerungen. Ich erinnere mich, dass es fast keine Autos gab, die Stadt war leer, es gab fast keine großen Straßen. Aber meine ersten bewussten Eindrücke stammen natürlich erst aus Schulzeiten, als ich etwa in die fünfte Klasse ging. Die Stadt war für mich damals wie ein Zuhause. In diesem Alter denkt man nicht wirklich über große Themen nach.

Die Stadt ist meine Heimatstadt, in der ich aufgewachsen bin, in der ich zur Schule ging, in der ich Freunde hatte, schöne Erinnerungen. Damals dachte ich nicht an die Kunst als solche, an Kultur, an Urbanistik. Das kam später. Aber ich habe nostalgische, angenehme Eindrücke, wie bei allen Menschen, die sich an ihre Kindheit erinnern – schließlich ist es ein Zuhause, mein eigenes Zuhause.

Wie würdest Du Bischkek heute beschreiben?   

Ich würde es wie Farben beschreiben, die sich mischen, aber noch kein einheitliches Bild darstellen. Zurzeit haben wir überhaupt keine Stadtplanung. Es werden neue Gebäude gebaut, aber damit sind die Leute nur bestrebt Geld zu verdienen, sie machen sich keine Gedanken über das Aussehen der Hauptstadt. Die Stadt wächst auf chaotische Weise.

Zweitens gibt es das sowjetische Erbe. Das sind die Massenwohnungen und die riesigen Bauprojekte der Sowjetunion, die heute den Großteil der Stadt ausmachen. In der Zeit wurde die Stadt unter dem Einfluss vieler Stilrichtungen gebaut: Monumentalismus, Konstruktivismus, Traditionalismus. Ihr Hauptmerkmal ist, dass ethnische Motive in die sowjetischen Bauten aufgenommen wurden.

Der erste Stadtplan von Bischkek, noch während der Zarenzeit, war gut durchdacht, er wurde von russischen Architekten durchgeführt. Das waren streng vertikale und horizontale Geraden, entsprechend den Winden, die von den zwei bergigen Seiten um die Stadt aus wehen. So wurde die Stadt gut durchlüftet. Heute ist das Bild leider gemischter und es ist unmöglich, eine Besonderheit hervorzuheben. Heute ist Bischkek eine Stadt, die drei Phasen durchlebt hat und von jeder den Abdruck trägt: die Zarenzeit, die Sowjetzeit und das unabhängige Kirgistan. All das inmitten hoher Berge. Ich denke, eben das macht sie auch so besonders.

Wenn der Gründungstag der Stadt gefeiert wird, findet man in sozialen Medien viele Bilder von Frunse, dem alten Bischkek. Sie drücken eine gewisse Nostalgie aus. Kann man sagen, dass das Leben in Frunse angenehmer war, als das Leben in Bischkek? 

Ich denke, es war zumindest darin angenehmer, dass es nicht solch eine Menge an Werbung in der Stadt gab. Der Anblick heute erfreut nicht das Auge. Schau, all diese Banner, wenn man sie wegnehmen würde, wäre es schon sehr schön. Andere Hauptstädte haben sich längst von diesem Werbeformat abgesagt. Dort gibt es seit langem Standards für Fassaden, Farben, Nachtlichter, damit alle im gleichen Stil sind. Bei uns jedoch definitiv nicht.

Werbebanner Bischkek
Werbebanner wie dieses Stechen im Stadtbild von Bischkek heraus

Es ist angenehm, sich diese Frunse-Bilder anzusehen, weil die Stadt dort sauber ist, mit wenig Autos und viel Grün. Allein visuell ist es schon ein schöner Anblick. Im Prinzip hat der heutige Bischkek das Leben der Bürger nicht angenehmer gemacht, nicht in Sachen Dienstleistungen, sondern in Bezug auf die Architektur, eine Art städtischen Komfort und die Fußgänger. Damals war die Stadt meiner Meinung nach gut geplant. Der Komfort der einfachen Leute stand an erster Stelle. Es gab einen Plan, eine Vision, heute gibt es so etwas nicht.

Wer ist heute für die Stadt verantwortlich?

Jeder Einwohner, der hier lebt, ist für diese Stadt verantwortlich. Wir können nicht sagen, dass die Verantwortung ganz bei der Stadtverwaltung oder dem Bürgermeister liegt. Das ist der falsche Ansatz, denn eine Person ist nicht in der Lage, alles auf einmal zu ändern. Wir brauchen die Verantwortung jedes Einzelnen, der keinen Abfall liegen lässt, und sich aktiv in den Fragen einsetzt, die für die Stadt wichtig sind. Zum Beispiel das Fällen von Bäumen oder der Abriss eines historischen Gebäudes. Diese Fragen hängen direkt von der öffentlichen Aufmerksamkeit ab. Die Stadt gehört den Bewohnern und sie sind dafür mehr als jeder andere verantwortlich.

Die kürzliche Präsentation des Projektes „Bischkek 140“ war eben den Menschen, den Bewohnern Bischkeks, gewidmet. Gibt es so etwas wie ein Bild des typischen Bischkekers?   

Eines der Hauptziele des Projekts ist es, Vorbilder für die Bischkeker zu schaffen. Die Bürger haben große Probleme mit ihrer Selbstidentifikation. Es gibt kein Konzept des „Bischkeker Bürgers“. Wenn wir von einem Moskauer oder St. Petersburger sprechen, haben wir ein gewisses Bild im Kopf. Ein Moskauer oder ein Bürger von St. Petersburg ist jemand, der weiß, wann seine Stadt gebaut wurde, wer sie gebaut hat, unter welchen Umständen sie entstanden ist und so weiter. Sie kennen die Geschichte der Sehenswürdigkeiten, sie schätzen dieses Erbe, sie sind stolz darauf. Und da es kein Konzept des „Bischkekers“ gibt, gibt es auch keine Stadt in dem Sinne.

Bischkek Kirgistan sowetische Architektur Nationalbibliothek
Wer sich für sowjetische Architektur interessiert, kommt in Bischkek voll und ganz auf seine Kosten: Im Gegensatz zu anderen Städten im postsowjetischen Raum wurden hier viele sowjetische Bauwerke stehengelassen, wie hier die kirgisische Nationalbibliothek.

Das Projekt will dieses Konzept so gestalten, dass ein Bürger Bischkeks eine Person ist, die die Geschichte seiner Heimatstadt kennt, die die herausragenden Menschen kennt, die sie gebaut und entwickelt haben, die ihr materielles und immaterielles Erbe respektiert und schätzt. Es ist wichtig, dass sich ein Einwohner mit seiner Stadt verbunden fühlt. Ohne diese Verbindung fühlt er sich wie überflüssig in diesem Raum. Wenn eine solche kulturelle, mentale Verbindung entsteht, ändert das auch seine Einstellung zur Stadt.

Was wären nun die größten Herausforderungen für diese Bürger?

Erstens, die Kultur- und Bildungsarbeit. Wenn ein Mensch einfach nicht gesehen hat, wie die Menschen im Ausland leben, wenn er nicht in den Hauptstädten war, in denen alles mit Verstand gemacht wird, kann er sich nicht physisch vorstellen, wie es sein sollte. Deshalb ist es notwendig, aufzuklären, man muss eine umfangreiche Bildungsarbeit leisten.

Heute ist die Stadt in erster Linie ein Migrationsprozess, und Menschen, die vom Land kommen, sind nicht in die Stadtkultur integriert. Die Stadtkultur, das sind einfache, aber wichtige Sachen: Keinen Müll hinterlassen, Ausländern bei der Orientierung helfen, einfühlsam sein und auf die Ordnung achten. Jetzt bräuchte man solche weichen, kulturellen Maßnahmen.

Wenn wir über handfeste Maßnahmen reden, so braucht es in erster Linie politischen Willen, um alles in Ordnung zu bringen und den Stadteinwohner, den einfachen Menschen an die erste Stelle zu setzen, alles für ihn zu machen. Jetzt verfolgen aber alle vor allem private Interessen. Entweder die Stadtverwaltung oder die Menschen handeln nur für sich allein. Und wir müssen sicherstellen, dass es ein gemeinsames Ziel gibt: Dass die Menschen ihre Anliegen teilen, die Bedeutung der Gemeinschaft verstehen und einen gemeinsamen Weg verfolgen.

Also zwei Aufgaben: die eine für die Einwohner, und neue Prioritäten für die Exekutive, die endlich verstehen sollte, dass Macht nicht zur Selbstbereicherung oder zur Erfüllung trockener Statistiken gegeben wird, sondern um das Leben der Menschen komfortabel und sicher zu gestalten.

Du sagtest, dass die Bürger der Stadt auch Ausländern helfen sollten. Nehmen wir an, jemand kommt zum ersten Mal nach Bischkek. Was würdest Du raten, was sollte sich diese Person auf jeden Fall ansehen?   

Die wichtigsten Sehenswürdigkeiten würde diese Person schon selbst besuchen, daher würde ich ihr raten, sich die Museumshäuser anzusehen, diese kleinen Ateliers, Häuser, in denen herausragende Persönlichkeiten Kirgistans gearbeitet haben. Dort kann sie sich mit ihren Werken vertraut machen. Denn diese Museen sind in der breiten Öffentlichkeit, auch unter den Einwohnern von Bischkek, nicht besonders geschätzt. So zum Beispiel das Museumshaus von Aitmatow, das Tschuikow-Haus oder das Atelier von Aitijew. Das sind wunderbare Orte.

Lest auch bei Novastan: Der Begründer der kirgisischen Malerei Semjon Tschuikow

Ich würde auch definitiv raten, Ata-Beyit (das Denkmal für die Opfer der Repressionen der Stalinzeit) zu besuchen, das 30 Kilometer außerhalb der Stadt liegt. Solche historischen Orte zeigen und beleuchten, was wirklich interessante Ereignisse in unserer Geschichte sind. Sie ermöglichen es, etwas zu entdecken, neue Fakten zu erfahren und die Mentalität dieses Landes besser zu verstehen. Kirgistan hat einen sehr interessanten Weg durchlebt und ich bin sicher, dass es für absolut jeden Menschen interessant sein kann, dabei reden wir noch nicht einmal von unserer atemberaubenden Natur. Ich hoffe, dass Bischkek nur noch beliebter wird und dass Menschen aus aller Welt seine Besonderheiten genießen können.

Mit Eric Abdykalykov sprach Florian Coppenrath

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