„Alle sagten: Das geht nicht. Dann kam einer, der wusste das nicht und hat’s gemacht”. Mit diesem Leitspruch startet Novastan eine Reihe von Interviews mit Menschen aus Zentralasien, die durch kleine Taten große Wirkung schaffen. Wir möchten Euch junge Aktivisten und Aktivistinnen aus Kasachstan, Kirgisistan, Usbekistan, Tadschikistan und Turkmenistan vorstellen und von ihren Projekten erzählen. Wer sind diese Menschen? Was machen sie? Und welche Veränderungen bringen sie in Gang?
Das erste Interview führte Zarina Zinnatova mit dem kasachstanischen Aktivisten Damir Karimov
Damir Karimov ist ein leidenschaftlicher Abenteurer, ein Musiker und Hobby- Astronom. Er gehört zur Generation, die zur Zeit der Perestroika in der Sowjetunion geboren ist, noch sowjetische Bücher in der Schule las, aber gleichzeitig Jeans trug und Coca-Cola trank. Diese Mischung aus sowjetischen und liberalen Werten hat auch Damir geprägt. Als überzeugter Idealist mit aktiver Lebensposition, unterstützt er freies Denken, und sucht nach Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung. Diese Ideen verbreitet er auf Vorlesungen und realisiert sie in verschiedenen Projekten.
Damir wurde in Nordrussland geboren, lebt seit seiner Kindheit aber in Karaganda (Kasachstan). Hier hat er Psychologie an der Staatlichen Buketow-Universität studiert. Schon als Kind hatte Damir einen besonderen Lebensweg. Mit einer angeborenen Sehbehinderung sieht Damir die Welt anders. Das hinderte ihn aber nicht daran, eine Musikschule zu absolvieren. „Ich habe keine Angst vor Schwierigkeiten und suche keine leichten Wege“, sagt er oft.
Damir spielt dutzende Musikinstrumente und bringt Interessenten Musikimprovisation bei. Auf seinen öffentlichen Seminaren und Vorlesungen motiviert er Menschen dazu, trotz Behinderung ein aktives Leben zu führen. Er erzählt gerne über seine Fahrradtour von Karaganda nach Almaty (ca. 1000 Kilometer), die er alleine vor zwei Jahren geschafft hat.
Einsatz für Umweltschutz
In Karaganda setzt sich Damir für Umweltschutz ein und beteiligt sich an zahlreichen Projekten. So war er in der Nicht-Regierung-Organisation (NGO) PosadiDerevo.kz tätig, wo er zusammen mit engagierten Menschen Bäume in der Stadt und in der Umgebung gepflanzt und gewässert hat. Außerdem propagiert der junge Aktivist Umweltbewusstsein. In Kasachstan wird das Konzept von Hausmülltrennung vom Staat nicht unterstützt. Ein Großteil der Abfälle landet immer noch unsortiert auf Deponien.
Um das Umweltbewusstsein der Bevölkerung zu erhöhen, haben Damir und sein Team in Schulen und Nachbarschaften angefangen, Aufklärungskampagnen über die Bedeutung von Mülltrennung durchzuführen. Dabei wurden mehr als 50.000 Einwohner und Schüler in der Stadt informiert. “Viele fanden die Idee von Mülltrennung toll”, sagt Damir. “Die Menschen verstehen schon die Notwendigkeit und Sinn des Konzeptes”.
Mit Hilfe eines privaten Recycling-Unternehmens wurden insgesamt 300 Mülltonnen für unterschiedlichen Abfall in der ganzen Stadt bereitgestellt. Viele Schulen und Universitäten haben das Konzept unterstützt. So hat die Staatliche Wirtschaftsuniversität Karaganda das eigene Abfallmanagement umgestellt, und ein Mülltrennungssystem eingeführt. Das war ein Erfolg.
Kooperation mit der Stadt
Als die Projektgelder zu Ende waren, musste Damir bei der Stadt um weitere Finanzierung bitten. Leider hatte niemand Interesse daran und das Projekt musste gestoppt werden. Zum ersten Mal in seinem Leben stieß Damir auf das Hindernis von Geld und Einfluss. „Jemand hat jemanden nicht genug bezahlt”, vermutet der Aktivist. Das Konzept für Mülltrennung unterstützen leider nicht alle Müllentsorgungsunternehmen in Karaganda, deswegen dürfen die Mülltonnen aus anderen Unternehmen gar nicht auf dem gleichen Territorium stehen. „Es bringt wahrscheinlich mehr Geld, wenn der ganze Müll auf eine Deponie geliefert wird. So kann man illegal die Sekundärrohstoffe rausnehmen und verkaufen”, erklärt Damir.
“Es ist generell schwer mit der Stadt zu kooperieren”, sagt Karimov. Es ist ihm schon häufig passiert, dass die Stadt die Kritik nicht akzeptierte. “Alle Änderungswünsche werden sofort negativ wahrgenommen, weil es für sie zusätzliche Arbeit bedeutet” erzählt der Aktivist. Für Damir ist es aber keine Überraschung. “Ich kann schon verstehen, warum Mitarbeiter der Stadtverwaltung voll unmotiviert sind. Sie verdienen da fast gar nichts. Kein Wunder, dass sie keine Lust haben, etwas zu verändern”
Wo bleibt die Finanzierung?
Die Schwierigkeiten bei der staatlichen Finanzierung sind ein bekanntes Thema. Die gemeinnützigen Organisationen sind häufig auf der Suche nach passenden Geldgebern. Der Aktivist hatte schon mehrere Erfahrungen mit unterschiedlichen Förderern gehabt. Am besten fand es Damit Karimov, mit internationalen Geldgebern zu arbeiten, denn es sind zahlreiche internationale Stiftungen und Organisationen in der Region tätig. Im Vergleich zu nationalen Geldgebern, hätten sie eine klare Struktur im Projektmanagement, der Prozess der Projektbeantragung und des Controlling sei deutlich einfacher, und die Fördergelder seien meistens höher. Laut Damir unterscheiden sich auch die Ansätze bei der Budgetplanung. Die nationalen Geldgeber seien eher nach Außen gerichtet und förderten mehr Werbung als Qualität. “Wenn das ganze Geld nur in die Werbung fließt, dann bleibt für das Projekt selbst nicht viel übrig,” beschwert sich der Aktivist.
Die Projekte werden auch häufig von dem Privatsektor finanziert. Aber auch hier sieht Damir gewisse Schwierigkeiten. Er erzählt, dass die privaten Geldgeber meistens eigene Interessen verfolgen. Sie brechen die Finanzierung sofort ab, sobald sie ihr Ziel erreicht haben. “Die Privatunternehmen wollen nur Werbung und PR für sich machen. Sie bringen mehr Schaden als Unterstützung”, teilt Damir mir. So mischen sie sich auch in die Projektdurchführungsprozesse ein und fordern eigene Bedingungen.
Haben wir eine Zukunft?
Neben den Finanzierungsschwierigkeiten sieht Damir Karimov ein grundsätzliches Problem im Mangel an Kenntnissen im Projekt- und Zeitmanagement. Die NGOs planen häufig das Budget mit falschen Angaben ein, um primär eine Förderung zu gewinnen. Solche Planung ist dann realitätsfern. Erst nach der Projektbewilligung wird überlegt, was sie mit dem Geld im Projekt erreichen können.
Damir bleibt aber positiv. Obwohl einige Projekte nicht reibungslos laufen, merkt er, dass Menschen in Kasachstan für gesellschaftliche Veränderungen bereit sind. Aus eigener Erfahrung berichtet Damir das zunehmende Interesse für soziales Engagement. Es melden sich häufig junge Leute bei ihm und nehmen an seinen Aktivitäten teil. Damir organisiert jeden Monat ein “Subbotnik” (Aufräumeaktion) am Stausee Fedorow in Karaganda, wo viele junge Leute teilnehmen.
Das Interesse und Engagement von anderen Menschen motivieren Damir, weitere Projekte zu organisieren. Er hat viele Ideen und sieht den Bedarf in vielen Bereichen. So plant er eine Reihe von Workshops zum Thema Projekt- und Zeitmanagement für NGOs und kommunale Behörden zu organisieren. Die Entwicklung von Ökotourismus in Kasachstan steht auch auf seinem Plan.
Momentan reist Damir durch das Land und hält Vorträge zum Thema Umweltbewusstsein. Dabei hat er ein Teleskop mit dabei, um am Abend bei wolkenfreiem Himmel Sterne zu beobachten und anderen zu zeigen. Wer Lust hat, den Hobby-Astronomen und Aktivisten Damir zu unterstützen, kann gerne unsere Redaktion kontaktieren.
Zarina Zinnatova
Redekteurin bei Novastan
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