Fast 1.000 Menschen haben sich am 6. Juni versammelt, um gegen den Brautraub zu demonstrieren – eine oft gewaltsame, in Kirgistan verbreitete Praxis.
Am 6. Juni fand auf dem zentralen Platz der kirgisischen Hauptstadt Bischkek eine friedliche Demonstration statt. Fast 1000 Menschen versammelten sich, um ihre Ablehnung der gewalttätigen Tradition der Ehe durch Entführung „Ala-Katschuu“ zum Ausdruck zu bringen. Die meisten Demonstranten waren Männer.
Die Veranstaltung wurde von Enactus Kirgistan mit Unterstützung des Bildungsministeriums und der Nationalen Agentur für Jugend, Gesundheit und Sport organisiert.
Mord an Burulaj Turdalijewa schockiert das ganze Land
Anlass der Demonstration war die Ermordung eines Mädchens durch ihren Entführer. Der Vorfall ereignete sich am 27. Mai in Sosnowka, einem Dorf 70 km südwestlich von Bischkek. Mars Bodotschew (30) hatte Burulaj Turdalijewa (19) entführt, um sie zu heiraten. Von der Polizei verhaftet, fanden sie sich auf der Polizeiwache wieder. Der Frischvermählte griff das Mädchen mit einem Messer an, nachdem er sich mit ihr in einen Raum eingeschlossen hatte. Sie überlebte ihre schweren Verletzungen nicht.
Laut Radio Free Europe sollen 16 Polizisten einen offiziellen Tadel vom Ministerium bekommen haben, einige von ihnen wurden degradiert. Ein regionaler Polizeichef, seine beiden Stellvertreter und ein Bezirkspolizist wurden ebenfalls entlassen.
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Der Vorfall erschütterte das ganze Land: Parlamentsabgeordnete sprachen vom unausreichenden Schutz des 2013 in Kraft getretenen Gesetzes, das für Entführer fünf bis sieben Jahre Haft vorsieht, und diskutierten über eine Verschärfung der Strafe. In sozialen Netzwerken gab es eine Welle von Diskussionen, die das Bewusstsein der kirgisischen Gesellschaft für dieses sensible Thema zeigt. Eine zweite Demonstration fand am 9. Juni zu Ehren von Burulaj Turdalijewa in Bischkek statt. Sie war von der Fernsehmoderatorin Assol Moldoklatowa auf deren Facebook-Seite ins Leben gerufen worden. Auch die ehemalige kirgisische Präsidentin Rosa Otunbajewa schloss sich ihr an.
Selten fand der Mord an einer geraubten Braut so offensichtlich Gehör bei den Vereinten Nationen. Diese veröffentlichten, laut Eurasianet, eine Stellungnahme, in der sie Kirgistan für die Tradition kritisierten.
Die Entführung von Bräuten kann zwei verschiedene Formen annehmen: Eine echte erzwungene Entführung oder eine inszenierte. In Kirgistan hat sich dieses Phänomen, das als uralte Tradition gilt, nach der Unabhängigkeit ausgeweitet. Ursprünglich in aller Stille und ohne Gefahr, hat sich die Tradition im Lauf der Zeit sehr verändert und nimmt immer wieder gewalttätige Züge an.
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Schätzungsweise 50 Prozent der Ehen beginnen heutzutage mit einer Entführung; zwei Drittel davon sind keine einvernehmlichen Entführungen. Eine von fünf Frauen kennt ihren künftigen Ehemann vor der Entführung nicht. Es gibt keine genauen Daten über die Zahl der Vergewaltigungen oder die Selbstmordrate bei den gestohlenen Mädchen.
Ala-Katschuu steht im Widerspruch zu den vielen von Kirgistan unterzeichneten UN-Konventionen und stellt eine direkte Bedrohung für die Entwicklung der kirgisischen Frauenrechte dar.
Bermet Turman
Redakteurin bei Novastan in Bischkek
Aus dem Französischen von Elisabeth Rudolph
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