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Kirgistan: Niedergang des Issikköl? Ein Ökologe über Tüten, Fische und Waschmittel

Das einmalige Ökosystem des im Osten Kirgistans gelegenen Sees Issikköl könnte bald unwiederbringlich zerstört sein. Dies liege nicht nur an unvernünftigen staatlichen Entscheidungen, sondern auch an am nachlässigen Umgang der Bürger mit der „Blauen Perle Kirgisiens“. Das erklärte der Ökologe Emil Schukurow im Interview mit dem Nachrichtenportal VB.kg. Wir haben den Artikel mit freundlicher Genehmigung der Redaktion übersetzt.

Kirgistan Rücktritt Sariev Yssykköl
Badegäste am Yssykköl - Das Gebiet ist ein bedeutendes touristisches Ziel

Das einmalige Ökosystem des im Osten Kirgistans gelegenen Sees Issikköl könnte bald unwiederbringlich zerstört sein. Dies liege nicht nur an unvernünftigen staatlichen Entscheidungen, sondern auch an am nachlässigen Umgang der Bürger mit der „Blauen Perle Kirgisiens“. Das erklärte der Ökologe Emil Schukurow im Interview mit dem Nachrichtenportal VB.kg. Wir haben den Artikel mit freundlicher Genehmigung der Redaktion übersetzt.

Erstes Problem: der Müll

„Bereits seit einigen Jahren wird aus der einstigen Heilstätte von internationalem Format immer mehr ein toter See, ja ein Gefahrenherd. Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen ist da der von Besuchern hinterlassene Müll. Schon Anfang der 90er Jahre kämpfte ich für ein Verbot von Plastiktüten in der Umgebung des Issikköls. Die Behörden befürchteten jedoch, dass der Handel und der Tourismussektor darunter zu leiden haben würden. Im Lauf der Jahre hat sich eine 20 Meter hohe Schicht polyethylenhaltigen Mülls auf dem Grund des Sees gebildet, ganz zu schweigen von ufernahen Gebieten. Dies hat den Bestand der Tiere, die in diesem Wasser leben, stark verringert, da sie kaum mehr freie Flecken zur Fortpflanzung finden.“

Der Ökologe Emil Schukurow
Der Ökologe Emil Schukurow

Zweites Problem: ineffektive Wasserfilteranlagen

„Obwohl die Behörden behaupten, dass die neuen Wasserfilteranlagen ihre Funktion vollumfänglich erfüllen, ist dem gerade nicht so, denn es gibt nicht einmal Normen, anhand derer man dies festmachen könnte. Stattdessen gelangen große Mengen verarbeiteten Waschpulvers in den See. Und wenn dieses Pulver einen Lappen bleichen kann, dann kann es in diesen Mengen auch die Blaue Perle weiß werden lassen. Aber das ist nicht das größte Problem. Schlimmer ist, dass 1 kg Waschpulver 20-100 l Wasser unbewohnbar machen. Stellen Sie sich mal vor, wieviel Waschmittel in der touristischen Hochsaison pro Tag ins Wasser gelangen! Und obendrein dauert die Zersetzung mindestens 200 Jahre. Außerdem bildet dieses Waschmittel eine nicht sichtbare Emulsion, die die Wasseroberfläche bedeckt. Wenn nun jemand im See badet, dann bleibt diese Emulsion auf der Haut haften und wirkt wie eine Creme, die die UV-Strahlen der Sonne noch verstärkt. Dadurch erhöht sich die Hautkrebsgefahr sogar im Schatten immens. Sie kommen also dorthin, um sich zu erholen, nehmen stattdessen aber eine ganze Menge Probleme mit nach Hause.“

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Drittes Problem: der Fischfang

 „Das Ökosystem des Sees wurde über mehrere Jahre geschädigt. Es funktioniert noch, denn die vollständige Zerstörung tritt nicht sofort ein, und es gibt auch noch die Chance, es zu retten. Wenn wir über die Fische sprechen, so ist der wichtigste Faktor das Gleichgewicht. In jedem Ökosystem gibt es einen dominierenden Jäger, der dessen Funktionieren reguliert. Und bevor der Mensch in dieses System eingegriffen hat, war das der sogenannte Schizothorax, ein Fisch aus der Familie der Karpfen. Er regulierte die Population der anderen Seebewohner. Seine Hauptbeute waren Rotaugen und Blaubandbärblinge. Als die Behörden schließlich den massenhaften Fischfang erlaubten und anschließend auch noch andere Jäger im See ansiedelten, wurde dieses natürliche Gleichgewicht zerstört. Heute sind kaum mehr Rotaugen und Blaubandbärblinge zu finden und trotzdem darf man sie seit Neuestem wieder fangen. Dabei wird es ohnehin schon äußerst schwer werden, die Anzahl der Nutzfische wieder auf ihre ursprüngliche Größe zu bringen, denn der Lebensraum ist bereits durch andere Seebewohner besetzt, und das nicht etwa durch Fische, sondern durch wirbellose Tiere.“

Viertes Problem: Populistische Entscheidungen

„Ein Beispiel für diese populistischen Entscheidungen ist die Aufhebung des Fischfang­verbots im Issikköl und anderen Seen und die Erlaubnis für den Bau von großen Industrie­anlagen in der Nähe des Sees. Früher gab es ein Verbot von industriellen Bauten innerhalb von 300 Metern zum Ufergebiet. Nun hat man es aufgehoben. Dann braucht man sich aber auch nicht über den schlechten Zustand des Sees zu wundern. Am schlimmsten ist aber, dass der See irgendwann auch die letzte Möglichkeit zur Regeneration verlieren könnte – und wir damit den wichtigsten natürlichen Schatz unseres Landes.“

Wiktoria Grigorenko; VB.kg
Aus dem Russischen von Florian Tack

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