Das Verhältnis zwischen Islam und Politik im aus sowjetischer Tradition säkularen Zentralasien war das Thema einer Studie des Central Asia Policy Group, die durch die Friedrich-Ebert Stiftung unterstützt wurde. Experten aus vier Ländern Zentralasiens – Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan und Usbekistan haben den Wandel des Verhältnisses zur Religion in ihren Ländern analysiert. Forbes.kz war am 7. September auf der Vorstellung der Studie in Almaty.
Zentralasien hat nach 1991 eine überaus rasche Islamisierung durchlebt. So hat sich die Anzahl der Moscheen in Kirgistan nach Angaben der Studie von 2009 bis 2015 von 1973 auf 2669 erhöht. In Kasachstan stieg die Zahl von 68 im Jahr 1991 auf 2516 2016. In Tadschikistan kommt aktuell ein Imam auf 2210 Menschen, in Kirgistan gibt es 102 Medressen (Koranschulen, Anm. d. Red.), sieben islamische Institute und eine islamische Universität .
Nach einhelliger Meinung der Politologen sind die Staaten und Regierungen Zentralasiens allerdings nicht auf die mit der Reislamisierung der Region verbundenen Herausforderung vorbereitet.
Kirgistan: Von der Protestbewegung zur Religion
„Vordergründig wird der Islam dämonisiert. Der Umgang mit Extremismus und Terrorismus scheint für die Regierung im Bezug auf Religion im Vordergrund zu stehen. Ganz klar zu erkennen ist dabei, dass der Staat vermehrt zu repressiven Maßnahmen greift, es handelt sich dabei um eine regelrechte Politik der Verbote.“, so die kirgisische Politologin Elmira Nogoijbajewa.
Fährt man jedoch nur einen Kilometer aus der Hauptstadt Bischkek heraus, zeige sich eine vollkommen andere Realität, so Nogoijbajewa: „Der Hauptsozialisierungsort für junge Menschen ist in der Provinz die Moschee“.
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Alle vier Staaten haben nicht nur Gesetze zu religiösen Tätigkeiten und Organisationen erlassen, sondern auch spezielle Konzepte und Strategien ausgearbeitet. Gleichzeitig aber gebe es eine verstärkte Institutionalisierung von Religion, merkt Elmira Nogoijbajewa an. Es entstehen in den Ministerien immer neue Kommissionen und Komitees für Religionsangelegenheiten.
Zwar gebe es auch scheinbar unabhängige Institutionen, wie beispielsweise die Zentralräte der Muslime in Kasachstan, Kirgistan und Usbekistan, und dem höchsten geistlichen Rat in Tadschikistan, dem Rat der Ulemen. Doch auch diese Institutionen stehen paradoxerweise unter starker staatlicher Kontrolle.
Diese Zwiespältigkeit kann man darüber hinaus sowohl im Bereich der religiösen Bildung, als auch in der Haltung der Präsidenten beobachten. Einerseits wird versucht den Islam im Interesse der nationalen Sicherheit einzudämmen und zu kontrollieren, andererseits vollziehen die Präsidenten den Haddsch (Pilgerfahrt nach Mekka Anm.d.Ü) und nehmen demonstrativ an religiösen Zeremonien und Feiern teil.
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Nogoikbajewa erklärt den Anstieg der Bedeutung von Religion in Kirgistan mit einer Enttäuschung und Desillusionierung nach den Revolutionen von 2005 und 2010 . „Die Protestbewegung schwenkte in Religiosität um. Das sieht man auch an den Entwicklungen in Medizin und Bildung. Immer häufiger werden Kinder auf religiöse Schulen geschickt oder man wendet sich alternativen Heilungsmethoden zu. Das sind alarmierende Signale“.
Usbekistan: Säkularisierung oder Post-Säkularisierung?
„Je weniger Religion — desto besser für die Gesellschaft, so der Leitsatz der usbekischen Regierung. Es muss eine Versicherheitlichung von Religion stattfinden. Doch trotz dieser dezidierten offiziellen Positionierung, findet in Usbekistan eine starke Islamisierung statt.“, erklärt der usbekische Politikwissenschaftler Sardor Salimow.
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In seiner Forschung arbeitet der Experte die drei Stadien der Reislamisierung in Usbekistan heraus. Im ersten Stadium wird islamische Kultur wiederbelebt und das sowjetische atheistische System aufgegeben. Politiker fangen an religiöses Vokabular zu benutzen und den Haddsch zu begehen.
Das zweite Stadium findet auf intellektueller Ebene statt. Immer mehr Gläubige beten nicht nur auf Arabisch, sondern möchten auch den Inhalt der Gebete verstehen. Dadurch verbreitet sich Wissen über den Islam.
Mit dem Entstehen einer „kritischen Masse“ gebildeter Muslime beginnt das dritte, handlungsorientiertere Stadium: „Immer mehr muslimische Aktivisten sind nun bereit eine Politik nach muslimischen Werten zu fordern“, heißt es in der Studie.
Usbekistan sei schon längst im dritten Stadium angekommen, ist Salimow überzeugt. Die Regierung jedoch sei auf eine solche Entwicklung nicht vorbereitet.
Tadschikistan: Verbeamtete Imame
Tadschikistan ist das einzige Land in Zentralasien in dem es für lange Zeit eine mächtige religiöse Partei gab. Die Islamische Partei der Wiedergeburt Tadschikistans (IPWT) wurde schon vor dem Zerfall der Sowjetunion gegründet und war bis 2008 aktiv. Vor zwei Jahren wurde sie verboten.
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Die Existenz einer muslimischen politischen Partei im Rahmen eines säkularen Staates hätte für Tadschikistan Grund zum Stolz sein können. Dennoch ist der Vorsitzende der Nationalen Vereinigung der Politikwissenschaftler Tadschikistans, Abgugan Mamadzimow, der Meinung, dass die IPWT zu einer Bedrohung für die Säkularität des Staates geworden sei: „Häufig wird Tadschikistan für das Verbot der Partei kritisiert. Sie gilt als Modellbeispiel für die friedliche Existenz einer religiösen Partei innerhalb eines säkularen Staates. Friedlich, ja — doch nur auf Zeit. Sie hatten ihre Säbel schon gewetzt“.
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Nach Ansicht des Experten sei Tadschikistan von nun an gegen Radikalisierung „geimpft“. Der Staat hat den religiösen Bereich vollständig unter seiner Kontrolle. So wird der Rat der Ulemen (Geistliche Rat in Tadschikistan, Anm.d.Ü.) zur Zeit vollständig vom Staat kontrolliert und die Imame erhalten, wie Beamte, ihr Gehalt vom Staat.
Kasachstan: Säkularität in Frage gestellt
Im Gegensatz zu Tadschikistan und Usbekistan hat Kasachstan keinen so ausgeprägten muslimischen Hintergrund. Trotzdem ist gerade hier der Staat aktiv in die Religionspolitik involviert. Das beobachtet der Autor des kasachischen Teils der Studie, Sanat Kuschkumbajew. Als Beispiele nennt er insbesondere die Einführung von staatlichen Feiertagen zum islamischen Opferfest aber auch zu Weihnachten, die Einteilung islamischer Strömungen in „traditionell“ und „nicht-traditionell“ aber auch die offizielle Anerkennung des Einflusses der Hanafiten (eine der vier Rechtsschulen des sunnitischen Islam, Anm.d.Ü.).
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„Allein in den letzten zehn Jahren wurde das für Religion zuständige Staatsorgan fünf Mal umstrukturiert. Dabei handelte es sich ausnahmslos um konjunkturbedingte Veränderungen, als Reaktion auf akute Probleme. Das zuständige Organ hielt jahrelang den Status eines Komitees inne, dann wurde es zu einer Agentur. Im September 2016, als direkte Reaktion auf die Terroranschläge wurde ein Ministerium für Religion und Zivilgesellschaft gegründet.“, erklärt der Experte in der Studie.
Kuschkumbajew stimmt seiner kirgisischen Kollegin zu, dass „religiöse Proteste unausweichlich sind, wenn es keine anderen Möglichkeiten zur Meinungsäußerung gibt“.
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„Dabei handelt es sich nicht um eine Islamisierung der Politik sondern vielmehr um eine Verschiebung des Protests“, ist auch der Politologe Aidos Sarym überzeugt. „Islamismus wird momentan zu einer politischen Alternative — und das auf globaler Ebene, wie früher der Faschismus oder der Liberalismus. Und wenn es irgendwann zu spät ist, werden wir uns fragen, warum wir nicht eher reagiert haben.“
Gleichzeitig sind Repressionen als Antwort auf Terror nicht die Lösung: „Die aktuellen Herausforderungen und Bedrohungen sind Nebeneffekte der Reislamisierung in Zentralasien. Es liegt nahe, den Islam in die Staatspolitik einzubinden, um ihn zu versicherheitlichen.“, so das Fazit der Studie. „Insbesondere geht es dabei um die Frage nach der Notwendigkeit von staatlicher Regulierung in Religionsfragen und der Suche nach Prinzipien und einer Basis für gegenseitiges Vertrauen zwischen Islam und Staat.“
Im russischen Original erschienen auf Forbes.kz
Aus dem Russischen übersetzt von Charlotte Dietrich
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