Am 4. Oktober werden die Kirgisen für die Parlamentswahlen zu den Urnen gerufen. Novastan.org bietet einen kurzen Überblick über den Kontext und die Herausforderungen rund um dieses Ereignis.
Als parlamentarische Republik steht Kirgistan in starkem Kontrast zu den autoritär geprägten Nachbarländern Usbekistan, Tadjikistan, Kasachstan und insbesondere Turkmenistan. Der Ausgang der Wahl ist daher relativ ungewiss. Novastan bietet eine Einleitung in die Spielregeln, die verschiedenen Parteien und die Fragen rund um diese wichtigen Wahlen für die demokratische Zukunft des Landes.
Die Regeln
Seit 2010 werden die 120 Abgeordneten des Schogorku Kenesch (das kirgisische Parlament) nach dem Verhältniswahlrecht gewählt. Die Anzahl der Sitze jeder Partei werden im Verhältnis zu der Anzahl der Stimmen, die die Partei erhält, errechnet. Diese Verfassung wurde erst nach der Revolution 2010, somit sind die Wahlen dieses Jahr erst die zweiten Parlamentswahlen nach diesem Regelwerk.
Das Ein-Kammer Parlament gibt es seit 2007. Davor bestand das Parlament aus etwa hundert über zwei Kammern (Völkerversammlung und Legislative Kammer) verteilten Abgeordneten.
Das im April diesen Jahres verabschiedete Wahlgesetz verschärft die Wahlbedingungen: Um ins Parlament zu gelangen, muss eine Partei mindestens 7% der Stimmen auf nationaler Ebene und mindestens 0,7% der Stimmen in jeder der sieben Regionen und den beiden Städten (Bischkek und Osch) erhalten. Diese Maßnahme, die die Chancen kleiner und stark regionalisierter Parteien begrenzt, wurde von der OSZE kritisiert. Auch das Datum der Wahlen war in den parlamentarischen Debatten nicht unumstritten. Das Wahlgesetz sieht vor, dass neue Wahlen am ersten Sonntag nach dem Ende des Mandats der Abgeordneten gehalten werden sollen. Wann dieses Mandat genau endet steht jedoch offen.
Trotz dieser erschwerenden Ungenauigkeiten ist das Wahlgesetz sehr modern. Keine Partei kann mehr als 65 Sitze im Parlament bekommen und jede Liste muss mindestens 30% Frauen, 15% junge Kandidaten unter 35 und genauso viele Vertreter ethnischer Minderheiten vorweisen. Besonders bemerkenswert ist eine Behindertenquote von 2 Personen pro Liste. Die Rechte und Anerkennung von behinderten Bürgern ist übrigens eines der Wahlkampfthemen.
Weniger egalitär ist die Handhabung der Parteifinanzierung, die weder reguliert, noch vom Budget garantiert wird. Die Parteien arbeiten daher ausschließlich mit privaten Mitteln, die größtenteils aus den Taschen der größten Unternehmer des Landes stammen.
Die Parteien im Rennen
Von den 34 Parteien, die zuerst angekündigt waren, konnten 14 tatsächlich antreten. Davon waren nur fünf in den letzten fünf Jahren im Parlament vertreten: die sozialdemokratische Partei SDPK (26 Sitze), Ar-Namys (25), Ata-Meken (18), Respublika (23) und Ata-Dschurt (28). Die letzte regierende Koalition besteht aus den drei ersten Partei, letztere sind in der Opposition. Es wird erwartet, das Ata-Meken, die 1992 gegründete sozialistische Partei, Mandate gewinnen wird. Laut einer Umfrage, die die Presseagentur AKIPress am 21. September veröffentlicht wurde, sollte diese Partei 16,5 % der Stimmen bekommen, kurz hinter der SDPK (17%), eine weitere historisch verankerte Partei.
Neben den schon im Parlament vertretenen Parteien sind auch die Parteien Bir Bol (« seid vereint ! »), Kirghizstan, Butun Kyrgyzstan-Emgek und Onuguu-Progress weitere ernsthafte Mitstreiter. Laut AKIPress sind 12 % bereit, für Onuguu-Progress zu stimmen, vor dem Zusammenschluss von Respublika-Ata-Djourt (11,4%) und Bir Bol (10,5%).
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Die kleinen Parteien (Zamandash, Azzatik, Aalam, Meken Yntymagy, Uluu Kyrgyzstan, Völkerkongress) stehen bei weniger als 4% der Stimmen und werden es wahrscheinlich nicht ins Parlament schaffen. Die meisten dieser Parteien sind Splittergruppen aus anderen politischen Bewegungen. Obwohl Uluu Kirghizstan und Aalam (die selbsternannte Partei der Parteilosen) sich als Bürgerversammlungen präsentieren ist die Nummer 2 auf der Liste von Aalam ZhylDykan Zholdoshova, die ehemalige Fraktionschefin von Ata-Dschurt. Uluu Kirgistan, die vom Unternehmer Ulan Essenkoschojew geleitet wird, zeichnet sich dadurch aus, dass keiner seiner Kandidaten, die alle unter 38 sind, raucht oder Alkohol trinkt.
Es gibt viele Parteien und auch viel Bewegung in der politischen Landschaft. Laut der kirgisischen Politologin Bermet Imanalijewa sind besonders nach 2010 viele neue Parteien entstanden(insgesamt gibt es fast 200), ein Zeichen für „einen ständigen Transformations-, Vereinigungs-, Reorganisierungs und Desintergrierungsprozess.“
Stabilität und Korruption : die wichtigsten Wahlthemen
Die Korruption ist eine der größten Sorgen der Bürger des Landes. Im Ranking von Transparency International steht Kirgistan an 136. Stelle (von 175). Da Kirgistan wie der Rest des postsowjetischen Raumes momentan eine Wirtschafts- und Währungskrise durchlebt, sind Arbeitslosigkeit und das verlangsamte Wachstum weitere wichtige Probleme.
Entgegen dieser Herausforderungen heben die regierenden Parteien, (besonders die SDPK) die Notwendigkeit einer stabilen Lage hervor. Die sozialdemokratische Partei des amtierenden Präsidenten Almasbek Atambajev stellt sich als Garant des politischen, religiösen und ethnischen Gleichgewichts im Land dar.
Die politische Lage ist jedoch keineswegs stabil. Im vergangenen Jahr sind viele Regierungsmitglieder zurückgetreten. Im Durchschnitt hat Kirgistan seit seiner Unabhängigkeit mehr als einen Premierminister pro Jahr gehabt. Die Wirtschaftskrise erschüttert das wirtschaftliche, und globale Radikalisierungstendenzen, Auseinandersetzungen mit Nachbarländern, sowie der amerikanische Kampf gegen den Terror machen jeglichen Anschein einer ethnisch und religiös ausgeglichenen Gesellschaft unmöglich.
Die wahrscheinlichen Wahlsieger
Das Ergebnis der SDPK wird bestimmend für das Parlament und für das Land. Laut Umfragen hat die Partei große Chancen auf den Wahlsieg, der auch einen für den Präsidenten Atambajew bedeuten würde. Die Ergebnisse vom Ar-Namys werden auch mit Spannung erwartet. Diese vom dem Russophilen Felix Kulow geleitete Partei steckt mitten in einer internen Krise und könnte der große Verlierer der Wahl am Sonntag werden. Laut AKIPress möchten kaum mehr als 1 % der Wähler ihnen ihre Stimme geben.
Es könnten alte Parteien verschwinden, und neue den Einzug in das Parlament schaffen. Die vom Unternehmer Bakyt Totobajew geleitete Partei Onuguu-Progress, könnte an dritter Stelle abschneiden. Sie betreibt einen besonders sichtbaren Wahlkampf dank eines besonders prallen Wahlkontos (101 Millionen Som, etwa 1,3 Millionen Euros). Auch Bir Bol könnte an fünfter Stelle den ersten Einstieg ins Parlament schaffen.
Es bleibt auch offen, ob Koalitionen von teilweise stark unterschiedlichen Parteien jenseits der Wahlen zusammenhalten können. Ein Beispiel für solch eine eher labile Koalition wäre ein Bündnis aus Butun Kirgistan (geleitet von Adachan Madumarow, der an zweiter Stelle bei der letzten Präsidentschaftswahl abgeschnitten hatte) und Emgek (geleitet vom Besitzer des Dordoj Basars Askar Salymbekow) für die etwa 7,7% der Befragten gestimmt haben). Eine weitere eher fragliche Union ist die von Respublika, die von Milliardär und ehemaligen Premierminister Omurbek Babanow geleitet wird, und Ata Dschurt, mit dem in mehrere Skandale verwickelte Kamchybek Taschijew (nach einer Schlägerei wurde er vor Kurzem durch das Wahlkomitee von der Parteiliste gestrichen) an seinem Kopf. Respublika steht eher für die Interessen des kirgisischen Nordens, während Ata Dschurt vor allem im konservativen Süden politischen Halt findet.
Die Unsicherheiten der Wahl
Offiziell sind 2 619 000 Menschen auf den Wählerlisten registriert, und etwa 77% der Kirgisen haben vor, am 4. Oktober wählen zu gehen. Seit diesem Jahr ist die Registrierung von biometrischen Daten eine Bedingung, um an der Wahl teilzunehmen. Durch die dadurch auferlegten Schwierigkeiten könnte die tatsächliche Wahlbeteiligung daher deutlich geringer ausfallen, als sonst.
Auch die Teilnahme der Auslandskirgisen ist ungewiss. Laut einer Umfrage von AKIPress würden sie vor allem für Bir Bol und Onuguu-Progress stimmen. Aber durch die begrenzte Anzahl an Wahlbüros außerhalb Kirgistans könnte die Teilnahme der Bürger im Ausland eher schwach ausfallen. In Russland werden nur 6 Wahlbüros für die vielen Gastarbeiter geöffnet. So schätzt der Vizepremierminister Tayyrbek Sarpaschew, dass nur etwa 11.000 von den 500 000 in Russland lebenden Kirgisen an der Wahl teilnehmen können.
Zuletzt bleibt offen, ob sich auch bei dieser Wahl die Trennung zwischen Norden und Süden des Landes bemerkbar machen wird. Die Einführung einer doppelten Wahlhürde und die Vereinigung von vermeintlich entgegengesetzten Parteien und die Teilnahme von Kandidaten aus allen Regionen in den Parteien (insbesondere bei Respublika – Ata Dschurt) könnten die politische Geographie des Landes auffrischen und regionale Spannungen im Land mildern.
Die Redaktion