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Dokumentarfilm „Waiting for the Sea“ – von Techno und Tradition in Usbekistan

George Itzhaks preisgekrönter Kurzdokumentarfilm "Waiting for the Sea" verbindet Einblicke in die elektronische Musikszene Usbekistans, traditionelle zentralasiatische Musik und das Schicksal der Austrocknung des Aralsees. Novastan zeigt den Film mit freundlicher Genehmigung des Regisseurs George Itzhak vom 21. September bis 12. Oktober 2020 mit deutschen Untertiteln und hat vorab ein Interview mit dem Regisseur geführt.

"Waiting for the Sea", der neue Kurzdokumentarfilm von George Itzhak, zeigt einen Einblick in die usbekische Techno-Szene und ein Festival auf dem Grund des früheren Aralsees.

George Itzhaks preisgekrönter Kurzdokumentarfilm „Waiting for the Sea“ verbindet Einblicke in die elektronische Musikszene Usbekistans, traditionelle zentralasiatische Musik und das Schicksal der Austrocknung des Aralsees. Novastan zeigt den Film mit freundlicher Genehmigung des Regisseurs George Itzhak vom 21. September bis 12. Oktober 2020 mit deutschen Untertiteln und hat vorab ein Interview mit dem Regisseur geführt.

Ein Techno-Festival mitten in der Wüste Aralkum, mehr als tausend Kilometer von der usbekischen Hauptstadt Taschkent entfernt? Das ist die Idee von Stihia, einem Festival, das im September 2018 zum ersten Mal in Mo’ynoq, einer Kleinstadt in der autonomen Region Karakalpakistan im Westen Usbekistans, stattfand. Die Stadt ist vor allem für ihr tragisches Schicksal bekannt: Einst am Südufer des Aralsees gelegen und berühmt für ihre Fischereiindustrie, liegt die Stadt heute Dutzende von Kilometern vom austrocknenden Aralsee entfernt.

George Itzhak, 28 Jahre alt, war fasziniert von der Idee des Festivals, von der wachsenden elektronischen Musikszene in Taschkent und der Verbindung von Techno und traditioneller Musik. Der Regisseur wurde in Taschkent geboren, aber wuchs in New York City auf, wo er auch heute lebt. Er arbeitet als Dokumentarfilmer und Nachrichtenproduzent für eine der wichtigsten US-amerikanischen Nachrichtensendungen, die NBC Nightly News. Daneben dreht er eigene Filme. Im August 2019 reiste George Itzhak nach Usbekistan, um die zweite Ausgabe von Stihia zu begleiten, aber auch, um in die usbekische Kultur und die junge elektronische Musikszene der Hauptstadt Taschkent einzutauchen. Sein Dokumentarfilm “Waiting for the Sea” trägt seine persönliche Handschrift – die eines Usbeken, der nie in Usbekistan gelebt hat und die Verbindungen zwischen alten, bekannten Traditionen und futuristischer Bewegung zu verstehen versucht. Gleichzeitig bricht George Itzhak auf einfühlsame und ästhetische Weise mit Stereotypen und Klischees, die in der Darstellung Usbekistans, Karakalpakistans und der Region des Aralsees häufig verwendet werden. Novastan sprach mit dem Dokumentarfilmer über seine Beweggründe, einen Dokumentarfilm in seinem Herkunftsland zu drehen, die Ähnlichkeiten zwischen Techno- und traditioneller Musik und über den Einfluss, den elektronische Musik auf gesellschaftliche Veränderungen haben kann.

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Novastan: Du wurdest in Usbekistan geboren, aber bist in New York aufgewachsen. Wie kam es, dass du nach Usbekistan zurückkehren wolltest, um dort einen Dokumentarfilm zu drehen?  

George Itzhak: Ich wurde in Taschkent geboren, aber als ich etwa anderthalb Jahre alt war, wanderte meine gesamte Familie aus. Meine Familie gehörte der jüdischen Minderheit in Usbekistan an, den bucharischen Juden. Die meisten bucharischen Juden begannen in den 1980er Jahren, Usbekistan zu verlassen – erst langsam, und nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion schneller. Sie fürchteten sich vor einem religiösen Backlash nach der Unabhängigkeit Usbekistans. Die USA und Israel öffneten uns die Türen, sodass Mitte der neunziger Jahre fast alle bucharischen Juden das Land verlassen hatten. Viele von ihnen ließen sich in New York nieder – in New York City leben etwa 50.000 bis 60.000 bucharische Juden. Wir haben dort also eine sehr große Diaspora. 

Regisseur George Itzhak beim Dreh in Buchara, Usbekistan. © Neha Hirve

Ich wuchs in New York mit Russisch als Muttersprache auf, beobachtete all die Traditionen in meiner Familie und hörte von meinen Großeltern von Usbekistan, aber wir sind nie dorthin gefahren. Das stand einfach nie zur Debatte. Ich bin dann ein paar Mal nach Russland gereist, aber ich habe es nie nach Zentralasien geschafft. Als ich älter wurde, heiratete ich, ich bekam ein Kind, und plötzlich legte sich in mir ein Schalter um und ich wollte unbedingt zurückgehen, bevor ich diesen neuen Teil meines Lebens begann. Dann stieß ich auf die Geschichte von Stihia und der jungen elektronischen Musikszene in Usbekistan, war sofort fasziniert. Das schien mir eine gute Gelegenheit.

Wie hast du von Stihia gehört? 

Es begann alles mit einem Bild, das jemand auf Facebook geteilt hatte: Es war ein Poster von Stihia, darauf war das Bild einer karakalpakischen Frau in traditioneller Kleidung. Aber es war sehr stilisiert, im Stil eines Posters, wie man sie für Techno-Veranstaltungen kennt. Es war quasi wie ein magisches Bild: Es vereinte die traditionelle Kultur und die Art und Weise, wie ich Usbekistan kannte, mit dieser sehr jungen, futuristischen Ästhetik. Diese Kombination hat mich beeindruckt, ich klickte darauf und tauchte immer weiter in das Thema ein und fand all diese Geschichten über elektronische Musik in Usbekistan und das Festival Stihia, das 2018 zum ersten Mal stattgefunden hatte.

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Ich habe Stihia also erst während der Vorbereitungen für die zweite Ausgabe des Festivals entdeckt. Das erste Jahr ist total an mir vorbei gegangen. Aber von da an war ich fasziniert, ich begann zu telefonieren, setzte mich mit den Organisatoren des Festivals in Verbindung und überlegte, wie ich dieses Filmprojekt angehen könnte. Ich rief meine Koproduzentin Neha Hirve an, mit der ich in New York studiert hatte, und sagte zu ihr: „Hör mal, ich habe diese verrückte Idee, nicht viel Geld, aber ich kann dir versprechen, dass es ein Abenteuer  wird.” Und sie war sofort dabei. Wir fingen an, zu recherchieren, Bilder auszutauschen und Referenzen im Bereich Film zu Zentralasien zu finden. Es ist zwar ein Dokumentarfilm, aber ich wollte nicht, dass es sich wie eine Reportage anfühlt. Ich hatte schon einige Geschichten über Stihia gesehen, aber ich wollte, dass diese etwas Anderes wird. Ich wollte selbst eintauchen und meine eigenen Erfahrungen zeigen.

Standbild aus “Waiting for the Sea”: Ein Musiker vor der Kulisse eines rostigen Schiffswracks in Mo’ynoq, Usbekistan. 

Es folgten etwa drei bis vier Monate Vorproduktion, Telefonate, Interviews. Ich versuchte, in die visuelle Welt Usbekistans einzutauchen und schaute mir Fotograf*innen aus Usbekistan an – so entdeckte ich auch Novastan. Mein Hauptziel war es, die Bildsprache Usbekistans zu verstehen. Ich finde, der westliche Blick auf Usbekistan ist sehr orientalistisch. Man sieht immer nur Frauen, die tanzen, Lepjoschka im Ofen machen und so etwas. Es fühlt sich manchmal fast so an, als würde man sich Tiere im Zoo ansehen. Ich habe das Gefühl, dass ich hier eine persönliche Verantwortung habe. Ich komme von dort, aber bin nicht wirklich von dort. Ich stehe mit einen Fuß in beiden Welten, und mir war klar, dass ich hier nicht einfach eine oberflächliche Arbeit machen konnte.

Wie hast du die Techno-Szene in Usbekistan – und insbesondere in Taschkent – erlebt? 

Die Geschichte besteht im Grunde zwei Teilen: Stihia und Mo’ynoq auf der einen Seite, und auf der anderen Seite Taschkent, wo wahnsinnig viel passiert. Mein Ziel war es, diese beiden Stränge zu verbinden. Ich hatte nie über Usbekistan im Zusammenhang mit elektronischer Musik nachgedacht. Ich glaube, deshalb haben mich die Bilder, auf die ich online gestoßen bin, so inspiriert. Sie haben mir teilweise meine eigene Ignoranz vorgeführt: Obwohl ich aus Usbekistan komme, erfuhr ich alles, was ich über Taschkent und Usbekistan wusste, lange nur durch die Linse meiner Großeltern. Ich hatte selbst einen archaischen Blick auf diesen Ort – eine Perspektive, die in der Vergangenheit stehen geblieben ist. Und als ich in diesem Kellerclub in Taschkent war, war es, als wäre ich in die Zukunft katapultiert worden. Es war tatsächlich sehr ähnlich zu New York! Ich glaube, das ist einfach die globale Kultur. Die Leute dort trugen T-Shirts, auf denen „Brooklyn“ stand.

Ich hatte das Gefühl, dass die Mauern, die es in der Generation meiner Großeltern gegeben hatte, nicht mehr existierten. Ich war überrascht zu sehen, wie vielfältig die Stadt ist. Taschkent ist ein sehr multikultureller Ort. Ich glaube, die Menschen in Taschkent waren schon immer kosmopolitisch, aber es gab immer auch Grenzen zwischen verschiedenen Ethnien, zwischen usbekischen Juden und Russen beispielsweise. Es gab Mauern. Aber dort zu sein und diese Gruppe junger Menschen zu erleben, die junge Generation, hat mir  gezeigt, dass viele der alten Grenzen, die hier zur Zeit meiner Eltern und Großeltern existierten, überwunden waren.

Gibt es filmische Referenzen, die dich bei der Produktion von “Waiting for the Sea” inspiriert haben?

Es gibt einen Regisseur, der für mich sehr inspirierend war: Tony Gatlif, ein französischer Filmemacher, dessen Mutter Roma war. Sein Werk ist stark von traditioneller Musik beeinflusst, und ich habe versucht zu verstehen, wie man Musik filmisch darstellen kann, wie man durch Musik erzählen und Emotionen zeigen kann. Er hat einen Film gedreht, „Latcho Drom„. Er erzählt die Geschichte der Migration der Roma – ausschließlich durch ihre Musik. Technisch ist er ein Dokumentarfilm, aber er wirkt wie ein Spielfilm. Er mischt diese beiden Formen durch die Musik. Da habe ich das Potenzial gesehen, das auf Usbekistan zu übertragen.

In deinem Dokumentarfilm beschäftigst du dich auch mit der Verbindung zwischen traditioneller und elektronischer Musik. Wie würdest du diese Verbindung beschreiben? 

Das war eigentlich der wichtigste Punkt, den ich untersuchen wollte. Die Art und Weise, wie ich mich fühlte, als ich traditionelle usbekische, karakalpakische, bucharische Musik hörte, war die gleiche, wie ich mich fühlte, als ich elektronische Musik hörte. Ich glaube, beide sind sich sehr ähnlich. Wenn man sie in einen Dialog miteinander bringt, bilden sie die perfekte Linse, durch die man Usbekistan, seine Vergangenheit und seine Zukunft betrachten kann. Es gibt ein großartiges Zitat von Jeff Mills, einem berühmten US-amerikanischen DJ, das während meines Interviews mit einem der Organisatoren des Festivals zur Sprache kam: „Techno wurde nicht als Tanzmusik entwickelt, sondern als futuristisches Statement.“ Es gibt also diese beiden Kräfte: Eine Kraft der Vergangenheit, um das Erbe zu bewahren und das zu respektieren, was vor uns war. Und es gibt diese andere Kraft, die in die Zukunft blickt und etwas Neues schafft. Ich wollte ein Gespräch zwischen diesen beiden schaffen. Und irgendwie ist es ganz natürlich passiert. Es passierte einfach, in Karakalpakistan, ich musste nichts dafür tun. 

Standbild aus “Waiting for the Sea”: Menschen aus ganz Usbekistan, Zentralasien und der ganzen Welt kommen für das Festival “Stihia” in die Wüste Aralkum im Westen Usbekistans. 

Ich finde auch, die Ästhetik von Stihia und Techno-Festivals allgemein hat etwas Schamanisches: Es gibt einen DJ im Zentrum, auf einer Bühne, er kreiert diese Mischung aus Klängen, bringt Tänzerinnen und Tänzern um sich herum zum Tanzen und kreiert dabei ein außergewöhnliches Maß an Ekstase. Das ist im Prinzip eine nahezu altertümliche Inszenierung. Techno und jahrhundertealte traditionelle Musik – beide sprechen auf gewisse Weise zu Gott. Ich weiß, es klingt verrückt, aber die DJs, mit denen ich gesprochen habe, haben gesagt, Stihia sei ihre Art, den Gott des Aralsees zu erreichen, um den Regen zu rufen. Und wenn man sich die Geschichte der traditionellen Musik in Zentralasien anschaut, haben sie dieselbe Wurzel: Es geht um eine Verbindung zu etwas in einer anderen Welt.

In deinem Film wird deutlich, dass nicht nur junge Menschen aus der ganzen Welt zu Stihia kamen, sondern auch Anwohner*innen aus Mo’ynoq, ältere Menschen und Kinder. Was war das für eine Atmosphäre? 

Ich glaube, das ist ganz unerwartet passiert. Die Organisatoren des Festivals  haben mir erklärt, sie seien sich nicht sicher, wie die Bewohner*innen von Mo’ynoq auf das Festival reagieren würden. Ich glaube, man darf nicht unterschätzen, wie abgelegen Mo’ynoq ist. Um dorthin zu kommen, muss man erst nach Nukus fliegen, und selbst von Nukus, das man von Taschkent aus erreichen kann, muss man noch drei oder vier Stunden auf holprigen Wüstenstraßen fahren, nur um nach Mo’ynoq zu gelangen. Mo’ynoq ist wirklich abgelegen. Viele der Menschen dort, haben, bevor Stihia zum ersten Mal stattfand, diese Art von Musik noch nie gehört. Das muss für sie revolutionär gewesen sein. Dafür muss man Stihia loben – und dafür, dass sie sehr inklusiv sind. Sie haben nicht versucht, irgendwelche Mauern zu errichten. Die einzigen Vorschriften, die es gab, kamen von den Beamten, von der Polizei. Ich habe dort großartige Momente zwischenmenschlicher Interaktion erlebt. Zum Beispiel gab es ein australisches Paar, das jungen karakalpakischen Kindern gezeigt hat, wie man zu Techno tanzt. Das war ein toller Moment. Der Film macht deutlich, dass elektronische Musik universell ist. Es geht nicht um Sprache. Es geht nur um das Gefühl und diese Energie, die Tanzen erzeugen kann.

Hast du das Gefühl, das Festival hat Mo’ynoq verändert? 

Physisch auf jeden Fall: Es wird viel gebaut. Viele Menschen, mit denen ich gesprochen habe, haben die Investitionen im Baugewerbe und den Bau von Wohnungen, neuen Geschäften und neuen Straßen erwähnt. Man sieht, dass die Regierung versucht, Mo’ynoq zu einem touristischen Ziel zu machen. Noch wichtiger ist aber, dass sich ein spiritueller Wandel vollzieht: Ich habe mit einem jungen Mädchen gesprochen, das dort lebt, und sie war so begeistert von all diesen Menschen der besonderen Atmosphäre. Ich glaube, das Festival hat den Menschen, die dort leben, gezeigt, dass sie in diesem Land etwas bedeuten. Sie verdienen Aufmerksamkeit, und die bekommen sie jetzt.

Alle Generationen waren beim Techno-Festival Stihia vertreten, das im August 2019 zum zweiten Mal in Mo’ynoq stattfand. © Neha Hirve

Plötzlich kommen Menschen aus der ganzen Welt zu ihnen, und es geht nicht mehr nur um die Katastrophe des Aralsees. Immer, wenn Menschen hierher kamen, ging es nur darum, wie schlimm dieser Ort ist. Jetzt gibt es auch einen positiven Grund, herzukommen. Das verändert so viel, wenn die Menschen positiv über diesen Ort sprechen und mit der Absicht kommen, eine gute Zeit zu haben, und nicht nur über gesundheitliche Probleme, wirtschaftliche Schwierigkeiten und die ökologische Katastrophe sprechen. Da verändert sich etwas. 

Hast du den Eindruck, ein Festival wie Stihia kann einen positiven Einfluss auf den Umgang mit der Austrocknung des Aralsees haben? 

Es ist schwer, von direkten Auswirkungen zu sprechen. In meinem Film geht es nicht um die ökologische Katastrophe des Aralsees – davon handeln schon so viele Dokumentarfilme. Das Festival ist mehr ein Statement an die Welt, es geht darum, eine Energie an diesem Ort zu schaffen, die Dinge anstoßen kann. Ich musste immer wieder über diese Vorstellung von einem Gott des Aralsees nachdenken. Ob sie wirklich daran glauben oder nicht, weiß ich nicht, aber die Leute sagten immer wieder: „Lasst uns um Regen beten! Lasst uns zum Gott des Aralsees beten!“ Das wollte ich in meinem Film herausstellen. Dieses Festival war im Grunde ein halb religiöser Akt. Diese Mischung aus schamanischer, religiöser und jugendlicher Punk-Energie ist etwas Besonderes.

Man könnte kritisieren, dass “Waiting for the Sea” ein idealistisches Bild von Usbekistan zeigt. Würdest du dem zustimmen? 

Ja, es ist ein idealistischer Blick auf Usbekistan! Das liegt wahrscheinlich an meiner eigenen, nostalgischen Perspektive. Deshalb habe ich zum Beispiel Szenen aus einem sowjetischen Film aus den 1980er Jahren über Taschkent eingefügt – das ist extrem idealisiert. Es geht darum, dass alle zusammen sind, und um diesen schönen, sonnigen Ort zum Leben. Auch mit den Farben habe ich versucht, der Szene in Taschkent einen goldenen, nostalgischen Ton gegeben – denn so habe ich es erlebt. Und auch was Mo’ynoq angeht: Wir wollten das übliche Bild von Mo’ynoq als einen staubigen, toten Ort nicht noch weiter verstärken. Deshalb haben wir uns bei den Farbkorrekturen dafür entschieden, die Farben gesättigter wirken zu lassen. Wir haben zum Beispiel dieses übertriebene Grün verwendet. Wir wollten nicht, dass es tot wirkt.

Also ja, es ist natürlich subjektiv. Ich habe meine eigene Perspektive hineingelegt. Mir ist aufgefallen, dass viele einheimische Filmemacher eine andere Perspektive haben, sie stehen vor vielen Herausforderungen. Aber ich nicht, und ich kann nicht so tun, als hätte ich mit denselben Herausforderungen zu kämpfen wie sie. Dieser Film ist also in hohem Maße die Perspektive eines gebürtigen Usbeken, der nie dort gelebt hat. Ich kann nicht so tun, als wäre ich jemand anders. Als ich den Film geschnitten habe, bekam ich oft Ratschläge wie: Du solltest diesen und jenen Aspekt untersuchen. Ich hätte mich auch mit all den anderen Aspekten von Mo’ynoq beschäftigen können, mit der Trockenheit, Krankheiten und so weiter. Aber das wäre dann ein anderer Film.   

Die diesjährige Ausgabe des Festivals wurde auf nächstes Jahr verschoben – hast du noch Interesse, Stihia und die usbekische Techno-Szene auch weiterhin zu verfolgen? 

Was mich interessiert, ist zurückzugehen. Ob ich mich weiter mit elektronischer Musik befassen werde, kann ich nicht sagen. Aber es gibt noch so viele Geschichten, in die ich dort eintauchen könnte. Ich freue mich, dass mein Film in Usbekistan bisher so gut ankommt – dadurch habe ich das Gefühl, dass mir die Menschen in Usbekistan viel Vertrauen entgegenbringen, sodass ich zurückgehen und an weiteren Filmen arbeiten kann. 

Standbild aus “Waiting for the Sea”: Ein Bewohner von Mo’ynoq am Aralsee, der heute Duzende von Kilomentern von der ehemaligen Hafenstadt entfernt liegt. 

Es gibt noch so viel, womit ich mich beschäftigen möchte – Musik wird auf jeden Fall ein Teil meiner Arbeit sein, weil sie mich so inspiriert. Ich will mich auch gerne noch weiter mit traditioneller Musik auseinandersetzen. Traditionelle Musik ist in Usbekistan so relevant, da gibt es noch viel zu erforschen. Ich will aber nicht nur an dokumentarischen Projekten arbeiten, sondern auch an Spielfilmen. Ich würde gerne auch die lokale Spielfilmindustrie kennen lernen – es gibt einige großartige Künstler aus Usbekistan, beispielsweise Saodat Ismailova.

Hattest du bereits eine Möglichkeit, deinen Film in Usbekistan zu zeigen? 

Es gab noch kein Screening, vor allem wegen des Coronavirus. Aber ich habe den Link verschickt und kann verfolgen, wo der Link geöffnet wird. So konnte ich sehen, dass die Menschen in Usbekistan den Film untereinander teilen. Ich habe den Link an etwa zwanzig Personen in Usbekistan geschickt, aber es gibt mittlerweile schon fast tausend Views dort, das ist großartig! Ich denke, das liegt daran, dass endlich jemand einen Dokumentarfilm dreht, der sich nicht nur auf die negativen Aspekte oder auf die Geschichte des Landes konzentriert. Der Film macht die Erfahrungen der Menschen dort auch in anderen Teilen der Welt erfahrbar: Wenn Ihre Erfahrung in einen Film umgesetzt wird, der auf der ganzen Welt zu sehen ist, dann macht das Ihre Erfahrung real. Ich denke, das ist sehr kraftvoll.

“Waiting for the Sea” hat beim Moscow Shorts International Film Festival den Preis für den besten Dokumentarfilm erhalten und wurde beim Long Story Shorts International Film Festival als bester Dokumentarfilm und für die beste Cinematographie ausgezeichnet. Wie fühlen sich diese Auszeichnungen an?

Ich habe nichts davon erwartet – ich glaube, als Filmemacher versucht man, keine Erwartungen an zukünftige Erfolge zu knüpfen. Meine einzige Erwartung war, etwas zu machen, das ich zeigen und auf das ich stolz sein kann. Ich hoffe, den Film noch einem breiteren Publikum zeigen zu können. Ich hoffe, ihn in New York zeigen zu können, sobald es möglich ist. Ich möchte den Film in Räumen für zeitgenössische Kunst, in Galerien und auf weitere Festivals bringen, sobald wieder Zusammenkünfte ohne Sorge vor dem Coronavirus stattfinden können. Viele der Festivals, die in diesem Frühjahr stattfinden sollten, werden erst im nächsten Frühjahr stattfinden. Ich möchte den Film auch gerne in Europa zeigen – ich will ihn dort zeigen, wo es eine große Gemeinschaft von kreativen Menschen und Filmemachern gibt, und ihnen das Fenster zu Zentralasien öffnen.

Hast du schon Pläne für Filmvorführungen von “Waiting for the Sea” in Usbekistan oder Zentralasien? 

Ich hatte geplant, den Film auf einem Festival in Kasachstan zu zeigen, wo die Filmindustrie weiter entwickelt ist als in Usbekistan. Aber ich möchte mich eigentlich darauf konzentrieren, eine Filmvorführung in Usbekistan zu organisieren. Das ist sehr wichtig. Aber ich möchte sichergehen, dass nicht nur die jungen Leute kommen, die auf Techno-Partys gehen, ich möchte ein breiteres Publikum haben. Ich denke, ich werde mit den Organisatoren des Festivals zusammenarbeiten und etwas organisieren. Und beim nächsten Stihia-Festival werden sie den Film hoffentlich auch zeigen.

Interview und Übersetzung ins Deutsche: Annkatrin Müller
Journalistin für Novastan

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