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Schweizer Käse und der Kampf tadschikischer Frauen gegen Russlands Krise

Die Wirtschaftskrise in Russland hat Auswirkungen bis nach Tadschikistan, wo immer weniger Rückzahlungen ankommen. Die Frauen im Land sind nur selten erwerbstätig. Ein Austausch mit Schweizer Käserinnen soll nun zur Emanzipation und wirtschaftlichen Unabhängigkeit der Frauen beitragen.

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Redigiert von: Florian Coppenrath

Mutschli Käse Tadschikistan Schweiz
Mutschli Käse Tadschikistan Schweiz

Die Wirtschaftskrise in Russland hat Auswirkungen bis nach Tadschikistan, wo immer weniger Rückzahlungen ankommen. Die Frauen im Land sind nur selten erwerbstätig. Ein Austausch mit Schweizer Käserinnen soll nun zur Emanzipation und wirtschaftlichen Unabhängigkeit der Frauen beitragen.

Anfang Dezember besuchten vier Schweizer Käserinnen Tadschikistan. Im Rahmen des von UN Women geförderten Projekts „Stärkung von verlassenen Frauen aus Migrantenfamilien in Tadschikistan“ besuchten sie die Gebiete Sughd, das Rascht-Tal und die Hauptstadt Duschanbe.

„Das Projekt ist ein Austausch von vier Tadschikinnen und vier Schweizerinnen, die mit der Milchverarbeitung Geld verdienen und ihr Fachwissen teilen wollen,“ sagt die Projektkoordinatorin Martina Schlapbach von UN Women Tajikistan.

In einem ersten Teil haben die Käserinnen zusammen die Milchverarbeitungskooperativen „Asamat“ und „Guncha“ besucht, jeweils in Jirgatol (im Nordosten) und in Gontschi (im Norden). Im Februar findet der zweite Teil des Austauschs in der Schweiz statt.

Käse Schweiz Tadschikistan

Die Frauen treffen sich, um etwas über die Käseverarbeitung in Tadschikistan und der Schweiz zu lernen. Dabei stehen sie selbst, nicht der Käse, im Zentrum. Wie Michela Esposto, Landwirtin aus Glarus, erzählt: „Wir durften die Familienhäuser besuchen, ihr Privatleben sehen. Ich habe die Zeit sehr genossen. Die Frauen wohnen hier mit ihren Familien in Mehrgenerationenhäusern und können zusammen praktisch alles machen!“

Frauenkooperativen in Tadschikistan

In den ländlichen Gebieten Tadschikistans sind die meisten Männer nach Russland emigriert oder arbeitslos. Manche Frauen haben sich daher in Frauenkooperativen zusammengeschlossen. Für sie ist dies ein Weg, eigenes Geld zu verdienen, da ihre Männer wegen der russischen Krise nicht genug Geld zuschicken können oder als illegale Einwanderer ausgewiesen wurden.

Tadschikistan ist das Land, in dem Rückzahlungen weltweit den größten Teil des BIP ausmachen – 2014 noch ca. 41 Prozent. Nicht nur der Staatshaushalt, sondern auch die Frauen sind damit stark von ihren Männern abhängig. Die Kooperativen sollen bei niedrigem Rubelkurs und stark sinkenden Rückzahlungen ihr wirtschaftliches Überleben sichern.

„Natürlich war es schwierig. Wir haben Gruppen aus Migrantenfamilien gegründet und eine Kasse gestiftet. Am Ende waren wir 30 Frauen. Jede von uns hatte 2-3 Kühe. Dann haben wir uns entschieden, eine gemeinsame Milchhalle zu schaffen. Die Koordinatorin der Frauenkooperative Mamlakat Abdusamatova stellt uns dafür kostenlos ein Gebäude zur Verfügung. Jede Frau hat 1.000 TJS (ca. 130 EUR) in die Kasse getan, um diese ehemalige Scheune zu renovieren. Die Organisation CESVI, Cooperazione e Sviluppo (Kooperation und Entwicklung), hat uns Geräte gespendet. So haben wir begonnen,“ erzählt Rukhsora Usmonova, Leiterin der Milchverarbeitungskooperative „Guncha“ in Gontschi (Sughd).

Käse Gontschi Tadschikistan

Frauen haben meist eine sehr traditionelle Rolle in Tadschikistan: viele Hochzeiten sind arrangiert und sie dürfen nicht arbeiten, müssen sich um Familie, Kinder und Haushalt kümmern. Die Arbeitslosigkeit ist im Land problematisch, es fehlt aber an genauen Zahlen: während die tadschikischen Behörden von wenigen Prozent ausgehen, sind es laut UNDP 33 Prozent, der höchste Wert in Zentralasien.

Ein Ziel von UN Women ist die wirtschaftliche Förderung der Frauen. Zusätzlich zur häuslichen Arbeit müssen Frauen aus Migrantenfamilien Geld verdienen. Meist lassen sie sich auf einen schlecht bezahlten Job in der Landwirtschaft ein. Die höhere Belastung bringt aber keine Verbesserung des sozialen Status mit sich. In Abwesenheit des Ehemanns wird der Haushalt in der Regel von einem anderen Mann in der Familie oder von der ältesten Frau geleitet.

Wie der UN-Rapporteur zu Gewalt gegen Frauen Yakin Ertürk in seinem Bericht vom 29. April 2009 anmerkt, führt das zu immer stärkerer Belastung, starker Subordination, Missbrauch und großen Schwierigkeiten für die betroffenen Frauen. Emanzipierte Frauen werden von der Gesellschaft nicht positiv aufgenommen. Laut Global Gender Gap Index stand Tadschikistan 2014 in Sachen Gleichberechtigung bei 142 Ländern auf dem 102. Platz.

Für die teilnehmenden Migrantenfrauen soll der Schweizer Käse das nun ändern. Die Produktion und Einführung dieses neuen Guts auf dem lokalen Markt soll als eine direkte Investition in die tadschikische Wirtschaft gegen die Folgen der Russlandkrise wirken.

„Mein Mann wurde aus Russland deportiert und arbeitet jetzt mit uns. Er verteilt die Produkte in die Geschäfte. Wir hoffen, dass bald alle unsere Männer aus Russland zurückkehren. Hier werden sie sicherlich ein Job kriegen,“ erzählt Mavchuda.

Die Besonderheiten des tadschikischen Käses

Und der tadschikische Schweizer Käse hat durchaus Potential. Auf dem Programm des Austauschs mit den Schweizer Käse-Expertinnen stand ein fünftägiges Training zur Milchverarbeitung. Bei den Feldbesuchen von Molkereien, Sennereien und landwirtschaftlichen Betrieben haben die Schweizerinnen tadschikische Milchprodukte und Produktionsmethoden kennengelernt.

Die Käseverkäuferin und Theaterpädagogin Jelena Moser aus Zürich inspirierten ihre Besuche: „Der Käse wird ganz anders gemacht als in der Schweiz. Es ist alles anders: Die Milchqualität, die Technologien, die Hygiene. Ich fand es sehr spannend, dass man diese Herausforderungen kreativ lösen kann. Ich würde gerne die Rezepte mitnehmen, wie das von Qurut (saure Kugeln aus getrocknetem Joghurt, Anm. D. Red.), sie in der Schweiz mal ausprobieren und schauen, wie die Reaktionen sind.“

Käse Schweiz Tadschikistan

Die Käserinnen aus Tadschikistan haben zwar keine offizielle Qualifikation, sind aber schon lange bereit für eigenständige, gut bezahlte Arbeit. „Ich war überrascht, was sie schon alles mit der Milch machen können. Die Milchtradition gibt es in unseren beiden Ländern. Man hat schnell bemerkt, dass die Kolleginnen Ahnung haben, wie man mit der Milch umgeht,“ so Simone Burki, Älplerin, Sennerin und Umweltingenieurin für Graubünden.

Zukunftsperspektiven

Die Frauenkooperative in Tadschikistan beliefern heute lokale Geschäfte im Sughd-Gebiet und im Gebiet Jirgatol mit ihren Produkten: Milch, Kefir, Butter, Sauerrahm, Qurut und teilweise Eis. „Jetzt wollen wir lernen, eigenen Hartkäse herzustellen,“ erklärt Rukhsora.

Mavchuda Ablokulova erzählt, dass sie dank des Projekts schon drei Rezepte für Käse kennen: Feta, Robiola und Mutschli. „Bald werden wir noch eine weitere spezielle Schweizer Käsesorte von unseren Schweizer Kolleginnen lernen: Ziger. Sie haben uns Geräte dagelassen, um Käse zu schmieren und auch einen speziellen Schrank für die Aufbewahrung gebaut,“ erklärt sie. Im Februar findet der zweite Teil des Austauschs in der Schweiz statt.

Rukhsora wünscht allen tadschikischen Frauen aus Migrantenfamilien, nicht die Hoffnung zu verlieren: „Man braucht einen Leader und eine kleine Kasse mit 3-5 TJS (40-60 Cent) pro Person. So kann man schon viel bewegen.“

Alin Kor
Journalistin für Novastan.org

Redaktion: Florian Coppenrath

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