Russland ist nach wie vor das beliebteste Ziel kirgisischer Arbeitsmigrant:innen. Vor allem Sprachbarrieren könnten der Grund sein, warum sich andere Länder weit weniger Beliebtheit erfreuen. Die folgende Analyse erschien im russischsprachigen Original bei Kloop. Wir übersetzen sie mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.
Seit Jahrzehnten reisen Hunderttausende kirgisische Staatsbürger:innen nach Russland, um dort zu arbeiten. Angesichts des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine, der internationalen Sanktionen und des wirtschaftlichen Niedergangs, versuchen Arbeitssuchende aus Kirgistan nun, andere Wege zu finden. Kloop sammelte und analysierte 1.120 internationale Stellenanzeigen und fand heraus: Es reisen tausendmal weniger Menschen in andere Länder als nach Russland. Eine mögliche Ursache könnte die Sprachbarriere sein.
In welchen Ländern arbeiten kirgisische Staatsangehörige?
Die Hauptzielländer neben Russland sind nach Angaben des kirgisischen Informations- und Beratungszentrums für Migration, die Türkei, die Länder am Persischen Golf (Vereinigte Arabische Emirate, Katar, Oman, Bahrain, Saudi-Arabien, Kuwait), Osteuropa (Polen, Tschechische Republik, Bulgarien, Litauen, Lettland, Slowakei, Kroatien) und Deutschland. Seit 2016 sind private Arbeitsvermittlungsagenturen in Kirgistan tätig, über die kirgisische Staatsbürger:innen im Ausland arbeiten können.
Die Agenturen schließen legale Beschäftigungsverhältnisse mit den Arbeitnehmer:innen. Für ihre Tätigkeit benötigen sie eine Lizenz, die jährlich erneuert werden muss, sonst ist die Geschäftsaktivität und das vermittelte Arbeitsverhältnis illegal.
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Alle privaten Arbeitsvermittlungsagenturen bewerben ihre offenen Stellen in sozialen Netzwerken – primär auf Facebook und Instagram. Die vollständige Liste der Stellenanzeigen, die von Kloop ausgewertet wurden, ist hier einsehbar.
In welchen Branchen sind die offenen Stellen angesiedelt?
Als wichtigste Beschäftigungsbereiche gelten der Dienstleistungssektor, das verarbeitende Gewerbe, das Baugewerbe und der Güterverkehr. Daneben gibt es auch eine kleine Anzahl von Anzeigen für hochbezahlte Jobs – diese Kategorie umfasst Führungskräfte, Krankenpfleger:innen und IT-Fachkräfte. Ihr Anteil betrug in der durchgeführten Auswertung lediglich drei Prozent.
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Führungskräfte werden hauptsächlich für Restaurants, Hotels und Geschäfte in der Golfregion gesucht. Die Anforderungen für diese Stellen sind entsprechend hoch: Englischkenntnisse, Hochschulbildung und Berufserfahrung werden zwingend vorausgesetzt.
Mit welchen Gehältern können Bewerber:innen aus Kirgistan rechnen?
In den europäischen Ländern werden technische Fachkräfte, insbesondere IT-Spezialist:innen, gesucht. Auch für diese Stellen spielen die Ausbildung und Berufserfahrung eine große Rolle, das Wichtigste sind aber sehr gute Englischkenntnisse. Das Gehalt ist dafür sehr gut, zwischen 1000 und 5000 US-Dollar pro Monat sind der Standard. Viele Firmen bieten außerdem die Möglichkeit der Remote Work an. Arbeitnehmer:innen sind also nicht an das Firmenbüro gebunden.
Nach Angaben von Vertretern der Wohlfahrtsverbände werden Bewerber:innen aus Kirgistan jedoch oft schon in der Anfangsphase des Auswahlverfahrens wegen ihrer unzureichenden Sprachkenntnisse abgelehnt. Medizinisches Personal wird vor allem in den Golfstaaten und in Deutschland gesucht. Die Arbeitsbedingungen in den Golfstaaten sind gut: Neben einer Unterkunft wird auch ein Fahrdienst für den Arbeitsweg bereitgestellt. Die Gehälter für Pflegepersonal beginnen bei 2.000 US-Dollar pro Monat. Deutsche Arbeitgeber:innen bieten ähnliche Bedingungen, gute Deutschkenntnisse sind allerdings eine zwingende Voraussetzung. Pflegekräfte können hier mit Gehältern ab 2.000 Euro rechnen.
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Im Allgemeinen sind die Anforderungen an ausländische Arbeitnehmer:innen in Deutschland höher als in anderen Ländern. Auch für ungelernte Hilfstätigkeiten, die keine besonderen Qualifikationen erfordern, müssen Bewerber:innen beispielsweise mindestens über Grundkenntnisse der deutschen Sprache verfügen. Daneben werden körperliche Belastbarkeit und eine Bescheinigung verlangt, dass sie weder an HIV/AIDS erkrankt noch vorbestraft sind. Wer eine besser bezahlte Stelle anstrebt, muss über Sprachkenntnisse verfügen, die mindestens auf dem Niveau B1 oder B2 liegen. Darüber hinaus verlangen Arbeitgeber:innen einen Hochschulabschluss und Bewerber:innen müssen mehrstufige Bewerbungsverfahren mit Vorstellungsgesprächen durchlaufen.
Wie viele Arbeitnehmer:innen vermitteln die Agenturen pro Jahr?
Nach Angaben des Informations- und Beratungszentrums gingen 2019 7.400 Menschen über private Arbeitsvermittler:innen auf Arbeitssuche. Im Pandemiejahr 2020 waren es dagegen nur insgesamt 239 Personen. Seit 2021 hat sich die Situation entspannt: 2022 sind in den ersten sieben Monaten des Jahres bereits mehr als 4.000 Arbeitnehmer:innen ins Ausland gegangen. Bis Ende des Jahres wird die Abwanderungsrate das Vorkrisenniveau übertreffen, erklärt Scherbolot Askarbek uulu, Leiter des kirgisischen Verbands der privaten Arbeitsvermittler:innen.
Doch das sind nur die offiziellen Statistiken. Die tatsächliche Zahl der im Ausland beschäftigten kirgisischen Staatsbürger:innen ist doppelt so hoch – etwa 12.000 bis 15.000 pro Jahr, schätzt Askarbek uulu. Einige Agenturen geben bewusst niedrigere Zahlen an, um Steuern zu sparen. In manchen Fällen bieten die privaten Arbeitsagenturen ihre Dienste auch kostenfrei an, beispielsweise für Verwandte oder Bekannte, so der Leiter der Vereinigung.
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Aber selbst diese Zahlen sind nicht vergleichbar mit dem Strom von Migranten nach Russland: 2021 reiste etwa eine Million kirgisischer Staatsbürger:innen dorthin aus, fast 90 Prozent von ihnen nannten „Arbeit“ als Grund für ihren Aufenthalt. Auch die Expert:innen aus privaten Arbeitsvermittlungsagenturen betonen, dass Sprachkenntnisse einer der wichtigsten Faktoren bei der Wahl des Ziellandes sind.
Welche Sprache sollte man sprechen, um einen Job im Ausland zu finden?
Die Analyse der Stellenanzeigen und eine Umfrage bei Personalvermittlungsagenturen ergaben, dass Türkisch-, Russisch- und Englischkenntnisse auf dem Markt in etwa gleich stark gefragt sind: Türkisch wird in 24 Prozent aller Anzeigen erwähnt, Russisch in 23 Prozent und Englisch in 22 Prozent. Kenntnisse der Landessprache werden für Jobs in den Bereichen Dienstleistung und Verkauf oder bei der Bewerbung um qualifizierte Stellen benötigt. Ohne Sprachkenntnisse ist es in 18 Prozent der Fälle möglich, einen Arbeitsplatz vor allem in ungelernten Berufen wie Spülhilfe, Hausmeister:in, Reinigungskraft und Gärtner:in zu finden.
In den übrigen 31 Prozent der untersuchten Stellenanzeigen wurde mehr als eine Sprache angegeben: Englisch/Türkisch in acht Prozent der Fälle, Deutsch/Türkisch in zwei Prozent, Russisch/Türkisch in zwei Prozent und Russisch/Englisch in einem Prozent der Anzeigen. Diagramme zu den Statistiken findet ihr im Originalartikel.
Alina Kasmalijewa und Dilde Schatanowa für Kloop
Aus dem Russischen von Ramona Bleimhofer
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