Vor einem Jahrhundert wanderten viele Kirgisen nach Afghanistan aus – und in den späten 1970er Jahren von dort aus in die Türkei. Heute gibt es eine kirgisische Gemeinde von 4000 ethnischen Krigisen im Osten des Landes. Einer von ihnen ist nach Kirgisistan zurückgekehrt und erzählt von den Lebensbedingungen seiner Gemeinschaft.
Dieser Artikel erschien zuerst auf dem Onlineportal kloop.kg und erscheint mit freundlicher Genehmigung hier auf Novastan.org
Seit der afghanischen April-Revolution von 1978, nach der die Marxisten die Macht übernahmen, leben viele ethnische Kirgisen in der Van-Provinz in der Osttürkei. Die sogenannten Van-Kirgisen emigrierten dorthin auf das Geheiß des Khan Rachmakul und seines Nachfolgers Dschaparkul. So wurden sie von den Kirgisen getrennt, die noch immer im Pamir, den hohen Bergen Afghanistans, leben.
Zuerst emigrierte die van-kirgisische Gemeinde nach Pakistan, aber sie waren nicht in der Lage, sich den schwierigen klimatischen Bedingungen des Wachankorridors anzupassen. Nach einem erfolglosen Versuch, US-Visa zu erhalten, um nach Alaska zu gehen, wurden sie von der Türkei aufgenommen. Im Jahr 1983 gab die türkische Regierung ihnen Land in der Van-Provinz am östlichen Ende des Landes. So wurde das Dorf Olupamir gegründet.
Heute leben rund 4.000 Van-Kirgisen in der Türkei; 1000 von ihnen leben mittlerweile in den großen Städten des Landes. Ein Van-Kirgise, Attila Guven, ist mittlerweile nach Kirgistan zurückgekehrt und gab der Redaktion von kloop.kg einen Einblick in das Leben seiner Gemeinschaft.
Das Verschwinden der kirgisischen Sprache
„Der Name des Dorfes Olupamir erinnert an die Wurzeln unserer Gemeinschaft, an die Höhen des Pamir. Das größte Problem für uns ist das Erlernen der kirgisischen Sprache. Unter Präsident Akajew (Anm. der Redaktion: der ehemalige Präsident Askar Akajew regierte Kirgistan von 1991 bis zur Revolution von 2005) gab es eine Vereinbarung zwischen Kirgisistan und den Van-Kirgisen. Lehrer kamen aus Kirgistan und brachten uns das kirgisisch wieder bei.
Meine Brüder und Schwestern lernten kirgisisch auf diese Weise. Außerdem lernten sie über die Geschichte und Kultur der Kirgisen und haben dieses Wissen wieder an ihre Kinder weitergegeben. Leider endete diese Vereinbarung mit der Amtszeit Akajews. Fast niemand spricht heute noch kirgisisch – trotzdem wollen die Van-Kirgisen aber, dass ihre Kinder die kirgisische Kultur kennen.
Auch diejenigen, die kirgisisch sprechen, vergessen oft, diese Sprache zu benutzen und sprechen stattdessen türkisch, ohne den Unterschied zwischen den beiden Sprachen zu bemerken. Wir hoffen, dass es bald wieder so eine Vereinbarung wie damals geben wird!“
Sehr günstige Lebensbedingungen für die Van-Kirgisen in der Türkei
„In der Regel gibt es keine großen Schwierigkeiten. Die Van-Kirgisen leben unter besseren Bedingungen, als die im Pamir. Jedoch denken viele, dass wir unter schlechten und unzureichenden Bedingungen leben. Am Rande des Dorfes ist ein Krankenhaus mit einer Apotheke. Jeder Bewohner hat sein eigenes Fahrzeug, und wenn jemand plötzlich krank wird, kann er schnell ins Krankenhaus eingeliefert werden.
Im Dorf Jusgat werden auf Initiative des Bürgermeisters Häuser für die Van-Kirgisen gebaut. Die Häuser werden zu sehr günstigen Konditionen und mit Darlehen über 10 Jahren vermietet. Für uns ist es eine gute Gelegenheit, weil wir uns in Istanbul oder Ankara keine Wohnung leisten können. Momentan stehen fast 100 kirgisische Familien auf der Warteliste für eins dieser Häuser.
Auf der Warteliste stehen nicht nur Kirgisen aus Olupamir, sondern auch ethnische Kirgisen, die nach Istanbul oder Ankara gezogen sind. Es ist geplant, ein kirgisisches Kulturzentrum sowie Denkmäler für Manas und Dschingis Aitmatow zu bauen. Die Van-Kirgisen sind nahe Verwandte der Türken, und das ist, warum sie dort so gute leben können, meint Attila.
Da die Regierung uns unterstützt, drücken wir unsere Wertschätzung durch Grenzpatrouille aus, welche die Sicherheit des Dorfes und gewährleisten. Viele wollen aber nicht zum Militär und ziehen deshalb in die türkischen Großstädte. Die Soldaten des Grenzschutz sind normalerweise für einen Zeitraum von 10 bis 15 Jahren an einen Ort gebunden und erhalten für diese Arbeit zwischen 350 und 400 Dollar.
Eine wachsende Anziehungskraft der großen Städte
„Die Menschen in Olupamir leben von Viehzucht und Landwirtschaft. Die jungen Menschen versuchen aber eine Ausbildung zu bekommen und ihren Horizont zu erweitern. Diejenigen, die keine Schule besuchen, verdienen ihr Brot in Istanbul und Ankara für 7 oder 8 Monate und kehren zur Zeit der Aussaat zurück ins Dorf. Danach wollen viele gleich wieder weg. Sie arbeiten in allen möglichen Fabriken, verarbeiten Tierhäute oder arbeiten in der Teeproduktion.
Diejenigen die in Istanbul oder Ankara studieren, verlieben sich dort und heiraten. Das ist etwas neues, bis vor zehn Jahren wurden die alten kirgisischen Traditionen bewahrt und niemand heiratete einen Ausländer. Ich selbst will eine Kirgisin aus Kirgistan heiraten. Und ich will, dass mein Sohn ein Kirgise ist.
Kirgisistan, ein sehr naher Verwandter
„Wenn wir unsere Traditionen mit denen der Kirgisen vergleichen, können wir viele Unterschiede feststellen. In Kirgisistan wird bei Festivitäten dem Jüngsten Gast ein Schafskopf angeboten – bei uns ist es der Älteste. Aber wir versuchen, die Traditionen zu pflegen und wir spielen immer noch besonders kök-boru und ordo atych.
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Ordo Aytch ist ein Spiel, bei dem Jungen und Mädchen in zwei Teams aufgeteilt werden. Sie werfen Mehl aufeinander. Dieses Spiel verkörpert die Reinheit und die spirituelle Verbindung. Wenn während des Spiels ein Junge und ein Mädchen sich gegenseitig mit Mehl bestäuben dürfen sie sich später kennen lerne. Auf diese komische Art und Weise werden neue Familien geformt.
Die Frage nach der Rückkehr in Kirgisistan stellt sich für viele, aber die Lebensbedingungen dort sind schlechter als bei uns. Wir hatten den Fall von Van-Kirgisen, die nach Chong-Alai gingen [Anm. der Red.: am südlichen Ende Kirgistans im Pamir-Gebirge]. Sie erhielten ihre Staatsbürgerschaft und habe dort 10 Jahre lang gelebt, aber als ihre Kinder aufgewachsen waren ging dir ganze Familie zurück in die Van-Provinz.
Die Leute haben viele Fragen über Kirgistan an die Rückkehrer. Sie fragen sich, ob wir als Kirgisen akzeptiert werden oder als Türken wahrgenommen werden? Wie würden wir behandelt werden? Unsere Ältesten wollen auch einmal Kirgistan sehen und verdrücken viele Tränen, wenn sie nur von Kirgistan sprechen“.
Im Original verfasst von Almir Almambetov und auf kloop.kg erschienen
Aus dem Französischen übersetzt von Corinna Vetter
Chefredkateurin von Novastan