Die ehemalige kirgisische Präsidentin und Diplomatin Rosa Otunbajewa war Mitte März zu Gast an der London School of Economics and Political Science (LSE). Vor einem zahlreichen Publikum beschrieb sie ihren politischen Werdegang und machte sich für die politische Rolle von Frauen in Kirgistan stark. Ein Porträt.
Unter Beifall betritt Rosa Otunbajewa die ehrwürdige Shaw-Bibliothek. An den Wänden reihen sich Bücher und Porträts. Das Licht ist gedämmt und der Saal dicht besetzt. Die zierliche Politikerin begibt sich vor das Rednerpult. Laut und eindringlich würdigt sie zunächst den Anlass des Abends. „Above the Parapet“, so der Name der Veranstaltungsreihe, ist ein Forschungsprojekt des Institute of Public Affairs an der LSE. Es beschäftigt sich mit Frauen, die in Gegenwart und Vergangenheit besonderen Einfluss auf das öffentliche Leben ausüben oder ausgeübt haben. Rosa Otunbajewa gehört zu ihnen – zu den einflussreichen Frauen. An diesem Abend erzählt sie, wie sie ihren Weg als Politikerin in Kirgistan gegangen ist und beleuchtet die Beteiligung von Frauen in der kirgisischen Politik.
Aus dem Hörsaal in die Politik
Für Otunbajewa, Jahrgang 1950, war es keine ausgemachte Sache, dass sie nach Beendigung ihres Philosophiestudiums in die Politik gehen würde. Zunächst arbeitete sie als Dozentin an der Kirgisischen Staatlichen Universität. Ihre politische Karriere begann erst 1981 in der Kommunistischen Partei in Frunse, der damaligen Bezeichnung von Bischkek.
Ihr Englisch ist holprig als Otunbajewa ihre prägendsten Lebensstationen beschreibt. Sie gibt zu bedenken, dass sie erst als Botschafterin in den Vereinigten Staaten und Kanada Englisch gelernt hat. Da war sie schon in ihren vierziger Jahren. Otunbajewa gibt auch Kostproben auf Französisch und Deutsch, um zu berichten wie sie in den späten 1980er Jahren die sowjetische Delegation bei der UNESCO in Paris angeführt hat.
Als Außenministerin der Kirgisischen SSR hatte sie zur Zeit der Sowjetunion nicht viel Einfluss. Die Geschicke ihres Landes wurden von Moskau aus gelenkt. Trotzdem konnte sie nach Ende der Sowjetunion das Bild Kirgistans international prägen. Vielleicht nahm die Welt Otunbajewa damals als einen Spiegel Kirgisistans wahr: klein, energisch, patriotisch, aber auch zurückhaltend, ein bisschen naiv.
Einen Höhepunkt ihrer Karriere erreichte Otunbajewa während der Aprilrevolution 2010. Stolz erzählt sie, wie der Sturz des Präsidenten Askar Akajew 2005 und der seines Nachfolgers Präsident Kurmanbek Bakijew fünf Jahre später, Korruption und autoritäre Herrschaft in Kirgistan beendet haben. Als Interimspräsidentin führte sie Kirgistan zwischen April 2010 und Dezember 2011 und trug zum ersten friedlichen Machtwechsel in Zentralasien bei, als ihr Nachfolger Almasbek Atambajew am 1. Dezember 2011 zum Präsidenten gewählt wurde. Noch heute unterstreicht sie, wie wichtig die parlamentarische Demokratie für Kirgistan ist.
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„Wir hatten nur Panzer, um Eindruck zu machen“
Otunbajewa lässt es sich nicht nehmen, einen Kurzfilm über Kirgistan als Tourismusziel zu zeigen. Davon unbeirrt möchten einige kritische Studenten auf Otunbajewas Rolle während der ethnischen Konflikte im Juni 2010 im Süden von Kirgistan zu sprechen kommen. Der Konflikt begann zunächst als Streit zwischen kirgisischen und usbekischen Jugendlichen und schlug dann in blutige Gewalt zwischen den zwei Ethnien in der südlichen Großstadt Osch und ihrer Umgebung um. Laut Human Rights Watch kamen im Laufe der Auseinandersetzungen über 400 Menschen ums Leben.
Otunbajewas Regierung wurde damals vorgeworfen, dass die kirgisische Polizei sehr gewaltsam gegen Usbeken vorgegangen sei und Gerichtsverfahren gegen Usbeken nicht vorschriftsgemäß bearbeitet habe. Die Rolle der Polizei wurde insbesondere in dem unabhängigen Bericht der von dem Finnen Kimmo Kiljunen geleiteten Kirgistan Untersuchungskommission hervorgehoben. Nach Veröffentlichung des Berichts erklärte das kirgisische Parlament Kiljunen zur persona non grata.
Otunbajewa verteidigt ihr Handeln mit einem Verweis auf die damaligen zusammenbrechenden Machtstrukturen und die unsichere politische Lage in Bischkek. Zudem habe man einfach nicht über Mittel wie Tränengas und Wasserwerfer verfügt, mit denen man die Aufständischen gewaltlos hätte außer Gefecht setzen können. „Wir hatten nur Panzer, um Eindruck auf die Aufständischen zumachen“, erklärt Otunbajewa trotzig.
Eine steigende Zahl von Politikerinnen
Otunbajewa zufolge bot die Sowjetunion Frauen gute Ausbildungschancen und auch Mentoring. „Das gibt es heute viel zu wenig in Kirgistan“, kritisiert sie. Weil sie gerne mehr Frauen in der Politik in Kirgistan sähe, ist Otunbajewa eine energische Verfechterin der 30%-Frauenquote, die 2007 für das Parlament eingeführt wurde.
„Frauen dürften nicht als Gebärmaschinen abgestempelt werden“, bemerkt Otunbajewa nachdrücklich. Es sei jedoch für Frauen schwierig, sich in Kirgistan politisch zu betätigen. Sie hätten oft nicht die finanziellen Mittel zur Verfügung, um aufwendige Wahlkämpfe zu betreiben. Denn Wahlkampf bedeutet viele Ausgaben für Personal, Kommunikation, Konzerte und Festessen.
Trotzdem steigt die Zahl kirgisischer Frauen in führenden Regierungspositionen. Mehrere Ministerien werden von Frauen geleitet. Zu den einflussreichsten Frauen in der Politik zählt die ehemalige Generalstaatsanwältin Aida Saljanowa. In Ihrer Amtszeit zwischen 2011 und ihrem Rücktritt im Januar 2015 galt sie als faire Richterin und wurde für ihr starkes Engagement gegen Korruption bekannt. Nun führt sie die junge Partei „Kutschtuu Kyrgyzstan“ (Starkes Kirgistan) an, mit der sie an den Parlamentswahlen im Herbst teilnehmen wird.
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Otunbajewa gibt zu bedenken, dass Frauen in Zentralasien allgemein gebildeter als ihre Geschlechtsgenossen seien und 90% der 12 000 NGOs in Kirgistan von Frauen geführt würden. Auch die Rosa Otunbajewa Initiative versucht mit ihrer Stiftung Frauen Unterstützung zu geben, damit sie verantwortungsvolle Rollen im öffentlichen Leben wahrnehmen können.
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Frauenorganisationen in Kirgistan setzen sich nicht nur für die Gleichberechtigung der Geschlechter ein. Die NGOs stellen für Frauen oft ein Sprungbrett in die Politik dar. So wie bei Ainuru Altybaewa, die erst für eine Frauenorganisation arbeitete, bevor sie 2005 im Rahmen einer NGO-Kampagne als eine von 50 Frauen für die Parteilisten im Parlament ausgewählt wurde. Seit 2010 ist sie Abgeordnete und leitet das Komitee für ethische Fragen im Parlament.
Frauen in der politischen Zukunft Kirgistans
Was braucht es nun, um als Frau in einem von Männern dominierten Umfeld Politik zu machen? „Frauen verfügen allgemein über positive Charaktereigenschaften wie Geduld und die Fähigkeit zum Zuhören“, ist Otunbajewa überzeugt. Als bisher erste und einzige Präsidentin des post-sowjetischen Zentralasiens hat Otunbajewa auch gezeigt, dass eine einflussreiche Politikerin kontroverse Entscheidungen treffen und für die Konsequenzen einstehen können muss. Ihre positive Einstellung und ihre Erwartung einer guten Zukunft für Kirgistan verleihen ihr Kraft und Durchsetzungsvermögen.
Doch neben der persönlichen Einstellung und Unterstützung von Familie, Freunden und verschiedenen NGOs, gibt es größere gesellschaftliche Hindernisse. Otunbajewa spricht zum Beispiel von der verbreiteten häuslichen Gewalt in Kirgistan. Laut einigen Statistiken betrifft dies bis zu 8 von 10 Frauen.
Auch die Erwartungen von Eltern und Verwandten an junge Frauen unterscheiden sich stark von denen an junge Männer. Man erwartet, dass Frauen sich vor allem um die Familie kümmern. Aber eine politische Karriere braucht Zeit und Unterstützung. Schaffen Frauen den Sprung in die Politik, müssen sie weit mehr als ihre männlichen Konkurrenten durch Ausbildung, professionelle Erfahrung und gute Familienverhältnisse überzeugen.
Von 199 Parteien in Kirgistan werden nur 34 von Frauen angeführt. Jedoch gibt es in den regierenden Parteien prominente Politikerinnen wie Shirin Aitmatova in der Partei „Ata Meken“ und Bildungsministerin Elvira Sarijewa in der Sozialdemokratischen Partei (SDPK). Politikerinnen wie Rosa Otubajewa und Aida Saljanowa sind Vorbilder für Frauen, die zeigen, dass sich Frauen im politischen System ehrlich und effizient für die Bekämpfung von Korruption und die Rechte von Frauen und Kindern einsetzen.
Nach einer beachtlichen Karriere setzt sich Rosa Otunbajewa heute dafür ein, dass Kirgistan in Zukunft auf den positiven Einfluss von Politikerinnen setzen kann. So werden insbesondere die Parlamentswahlen im Herbst einen weiteren Test für den Platz von Frauen in der kirgisischen Politik darstellen. Es wird sich zeigen, ob Frauen wie Otunbajewa in Zukunft hohe politische Ämter in Kirgistan besetzen werden.
Ainaz Sulaimanova
Julika Peschau