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Meinungsumfrage: Gläubige Bischkeker wollen ein säkulares Kirgistan

Dieser Artikel erschien zuerst bei unserem Partner "Vertschernij Bisckek", wir haben ihn mit der freundlichen Erlaubnis der Redaktion übersetzt.  

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Emil Nasritdinow
Emil Nasritdinow

Dieser Artikel erschien zuerst bei unserem Partner „Vertschernij Bisckek“, wir haben ihn mit der freundlichen Erlaubnis der Redaktion übersetzt.  

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Gelehrte des Instituts für Anthropologie der Amerikanischen Universität Zentralasiens und der Rechtsakademie führten eine groß angelegte Studie über die religiöse Sicherheit Kirgistans durch.

Es nahmen insgesamt 200 Bischkeker an der Studie teil. Im Verhältnis zur Einwohnerzahl Bischkeks scheint diese Zahl sehr niedrig zu sein, doch die Tatsache, dass die Umfrage nach Geschlecht, Alter, Nationalität und Religionszugehörigkeit unterteilt ist, macht sie dennoch repräsentativ. Interessant ist hier außerdem, dass neben Muslimen und Christen auch Atheisten und Vertreter anderer Glaubensrichtungen befragt wurden.

Wie sich bei der Erhebung herausstellte, besuchen 45 Prozent der Befragten die Kirche oder Moschee, 32 Prozent lesen das mohammedanische Gebet Namas. Das heilige Fasten halten 31 Prozent der Muslime und 15 Prozent Christen ein.

Fast die Hälfte der Befragten (47 Prozent) beurteilt die religiöse Sicherheit Kirgistans als durchschnittlich. 21 Prozent der Befragten schätzen diese Situation als extrem ein, 20 Prozent glauben hingegen, es gebe keine außergewöhnlichen Probleme in dieser Hinsicht, 12 Prozent der Befragten enthielten sich.

Umfrage Religion Kirgistan

„Es ist bemerkenswert, dass 41 Prozent der Befragten mehr Vorteile darin sehen, dass das Land die Freiheit der Religion proklamiert.“, äußert sich Emil Nasritdinov, Dozent am Institut für Anthropologie der Amerikanischen Universität Zentralasiens, „Für sie ist dies ein Indikator für Demokratie, Toleranz und einen gesunden Wettbewerb der Konfessionen und ganze 33 Prozent sehen in dieser Freiheit nur eine Bedrohung. Zu den negativen Faktoren wurden mangelnde Kontrolle, Konfliktpotenzial, Fehlinterpretationen der religiösen Postulate und die Bedrohung der Sicherheit gezählt. 26 Prozent verweigerten es, sich zu diesem Thema zu äußern.“

Umfrage Religion Kirgistan

Die gefährlichste religiöse Organisation ist laut 32,5 Prozent der Befragten die Muslimbrüderschaft Hizb ut-Tahrir. Diese befolgen die Zeugen Jehovas (15,5 Prozent), die Baptisten (13 Prozent), die Wahhabiten (11 Prozent) und eine jede Gruppe, die als Sekte bezeichnet wird (7 Prozent). An sechster Stelle steht die Islamische Bewegung Usbekistans (4,5 Prozent). Jeweils drei Prozent der Befragten sehen Al-Qaida, die Protestanten und die Kirche Jesu Christi als feindlich an.

Umfrage Religion Kirgistan

Zudem werden muslimische Organisationen häufig verdächtigt, radikale bis terroristische Einstellungen zu vertreten und die Machtergreifung zum Ziel zu haben. Evangelische Vereinigungen hingegen werden der Täuschung, des Betrugs und der Verhängung von Ideen beschuldigt. Ihnen wird hierdurch Fehlinterpretation der Religion und die psychologische Manipulation der Bevölkerung unterstellt.

„Eine der interessantesten Beobachtungen der Forscher: Je älter die Befragten, desto vorsichtiger gehen sie mit der Religionsfreiheit um. So bewerten 46 Prozent der Befragten im Alter von 29 Jahren die Religionsfreiheit als positiv. Befragte in der Altersgruppe von 30 bis 50 Jahren haben dem gegenüber große Zweifel. Nur durchschnittlich 20 Prozent der Befragten empfinden die Situation der Religionsfreiheit als sicher“, so Emil Nasritdinov.

Umfrage Religion KirgistanUmfrage Religion Kirgistan

Die Forscher interessierten sich außerdem für die Spekulationen der befragten Bischkeker über den Abzug der alliierten Truppen aus Afghanistan. Es stellte sich heraus, dass der Großteil der Interviewten demgegenüber sehr optimistisch ist: Fast zwei Drittel der Befragten (62 Prozent) glauben, dass der Rücktritt keine Auswirkungen auf die religiöse Sicherheit in Kirgistan haben wird. Es gibt jedoch auch Pessimisten (38 Prozent) unter ihnen, die folgende zu erwartende Argumente anführen: Der Zustrom von Militanten des Talibans, Drogen und Waffen, das Wachstum des Radikalismus, Terrorismus und Extremismus sowie die Aktivitäten der ausländischen Agenten aus Afghanistan und Amerika.

In letzter Zeit rufen die Aktivitäten der Tablighi Jamaat bei vielen Wachsamkeit hervor. Es ist bekannt, dass die Organisation des Vertrages über Kollektive Sicherheit (OVKS) ein Verbot dieser Organisation in Kirgistan empfiehlt, wie die Regierung der Russischen Föderation es bereits durchgesetzt hat. Aber ist das Ziel der Dawatisten, wie die Anhänger dieser Lehre bezeichnet werden, tatsächlich eine Bedrohung?

Zusammen mit meiner Kollegin, Ajgul Esenamanova, Lehrstuhlinhaberin der Rechtsakademie, habe ich dieser religiösen Bewegung, die genau genommen nicht von dem indischen Subkontinent nach Kirgistan kam, sondern aus Indien, Pakistan und Bangladesch, ein eigenes Kapitel gewidmet.

Die sunnitisch-islamische Frömmigkeits- und Missionsbewegung Tablighi Jamaat existiert in Kirgistan seit Mitte der 1990er Jahre und gewann in nur kurzer Zeit große Popularität und viele Anhänger. Einer der wichtigsten Grundsätze der Bewegung ist es, nicht mit politischen Angelegenheiten in Kontakt zu treten. Alle in dieser Studie befragte Experten bestätigten uns, dass der Tablighi Jamaat in Kirgistan keine Bedrohung der religiösen Sicherheit darstellt.

Der Bewegung werden von Fachleuten dennoch unterschiedliche Eigenschaften zugesprochen. Einige sind von ihren äußerst positiven Auswirkungen überzeugt, andere sehen dies eher kritisch. Häufig berichtete Vorteile sind beispielsweise die positiven Auswirkungen auf die Rehabilitation von Menschen mit Suchterkrankungen und eine Entpolitisierung eines großen Teils der muslimischen Gemeinschaft. Den Dawatisten wird vorgeworfen, keine ausreichenden Kenntnisse auf dem Gebiet der Religion zu besitzen. Außerdem wird vermutet, dass auch Vertreter anderer, vorwiegend radikaler Bewegungen, Mitglieder ihrer Gemeinschaft sein können und dass sie mittels ihrer äußeren Erscheinung und ihrer Kleidung den säkularen Teil der Bevölkerung provozieren und reizen.

Wäre Kirgistan nicht das einzige Land in Zentralasien, in dem diese Bewegung noch nicht als extremistisch gilt und verboten werden soll, hätte der Tablighi Jamaat hier wahrscheinlich einen anderen Stellengrad. Das Innenministerium und die Staatliche Kommission in religiösen Angelegenheiten sahen bis zum heutigen Zeitpunkt keinen Grund darin, diese Bewegung als extremistisch einzustufen. Ein Meinungswandel ist unter dem Druck der Regierungen der benachbarten Staaten jedoch nicht auszuschließen.

Welche Bedrohungen kann dies auslösen?

Mehr als die Hälfte der befragten Experten sehen die Annahme dieser Empfehlung und den Verbot des Tablighi Jamaat als äußerst uneffektive Maßnahmen an. Beispielsweise schätzt der Experte Kadyr Malikov das Verbot als einen „Selbstmord für die Regierung der Republik Kirgistans“ ein, da diese Bewegung heutzutage nahezu das einzige effiziente Gegengewicht gegen den Einfluss der radikalen Salafisten-Ströme sei.

Den Dawat verbietend begebe sich die Regierung seiner Ansicht nach auf eine Ebene mit Wölfen. Der Experte Aman Saliev rechnet bereits wenige Jahre nach einem Verbot dieser Bewegung mit Terrorakten.

Auch der berühmte russische Islamwissenschaftler Alexej Malaschenko sprach sich nachdrücklich gegen ein Verbot des Tablighi Jamaat aus, indem er feststellte, die Russische Föderation und die zentralasiatischen Staaten würden einen Fehler begehen, diesen Weg einzuschlagen.

Die Studie verschaffte uns schlussendlich den Eindruck, dass die Dawatisten gewissermaßen ein Garant für Stabilität und Sicherheit des heutigen Kirgistans sind.

 

Autorin: Amalia Benlijan
Journalistin für Vetschernij Bischkek

Aus dem Russischen übersetzt von Olga Zoll
Redakteurin für Novastan.org

Genutze Quelle für die Graphiken: Institut für Anthropologie der Amerikanischen Universität Zentralasiens und Juridistische Akademie

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