Außergewöhnliche Zeiten fördern außergewöhnliche Aktionen. So scheinen die Coronakrise und damit verbundene Isolationsmaßnahmen die Kreativität der Menschen sprießen zu lassen. Auch Zentralasien lässt seiner Kreativität im Internet freien Lauf. Über die Facebook-Kunstaktion #isoisoljazija (#изоизоляция) und was dahintersteckt.
In sozialen Netzwerken kursierten in den letzten Wochen zahlreiche lustige Memes und Videos zum Thema Corona, Menschen musizierten auf ihren Balkonen, und allerhand sympathische Flashmobs verbreiteten sich im Netz, um die Langeweile während des Corona-Lockdowns zu überbrücken. Humor und Kunst, beides Inseln der Hoffnung und Erleichterung, tragen die Menschen durch diese Zeiten der Unsicherheit und sozialen Isolation.
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So entstand im russischsprachigen Raum ein kreativer Einfall, der nun im Netz viral geht, und sich auch in Zentralasien großer Beliebtheit erfreut. Isoisoljazija heißt die Facebookseite, die von der Projektmanagerin Ekaterina Brudnaja-Tscheljadinowa am 28. März in Moskau ins Leben gerufen wurde. Es handelt sich dabei um eine Kunstaktion, bei der Menschen Gemälde berühmter Künstler in ihren eigenen vier Wänden und mit einfachen Haushaltsmitteln nachstellen, fotografieren und ins Netz stellen.
Solche „Art Challenges“ gab es zwar schon früher, doch angesichts des aktuellen Lockdowns kommt diese Aktion vielen Menschen gerade jetzt gut gelegen, um sich ihre Freizeit zu vertreiben. Es ist demnach kein Wunder, dass innerhalb eines Monats bereits 570.000 Menschen der Facebook-Seite beigetreten sind, und nun jeden Tag etwa 17.000 künstlerische Fotos dieser Art gepostet werden. Der Name Isoisoljazija bildet sich aus den russischen Worten für „Isolation“ (isoljazija) und dem Kürzel für „Darstellende Kunst“ (isobrasitelnoje iskusstwo).
Doch neben ihrer Funktion als Beschäftigung in Zeiten der unfreiwilligen Isolation trägt Isoisoljazija auch dazu bei, Kunst neu zu beleben. Dies betrifft insbesondere Gemälde, die weltweit nicht besonders bekannt sind, wie etwa solche von Künstlern aus Zentralasien.
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Internetkunst aus Zentralasien
Da die Kunstaktion in Moskau entstand, wendet sie sich zwar vor allem an die russischsprachige Bevölkerung, geht aber weit über die Grenzen Russlands hinaus. Mehr als ein Drittel der 570.000 Mitglieder der Facebookseite Isoisoljazjia leben außerhalb von Russland, die meisten von ihnen in der Ukraine (80.000). Die russische Community aus den USA folgt an dritter Stelle mit 41.000 Mitgliedern.
Die zentralasiatischen Länder befinden sich zusammengenommen an sechster Stelle mit insgesamt mehr als 12.000 Mitgliedern, und liegen somit einen Platz vor Deutschland. Diese Zahlen können sich jedoch schnell ändern, wie die Organisatoren auf Anfrage Novastans anmerken, denn die Anzahl der Mitglieder wächst von Tag zu Tag.
Museen machen mit
In Kirgistan gewann Isoisoljazija besonders an Popularität, nachdem das Gapar-Aitijew-Nationalmuseum für Künste in Bischkek bekanntgab, an der Kunstaktion teilzunehmen. Unter dem Hashtag #AitievDoma (dt.: Aitiev ist zuhause) ermuntert das Kunstmuseum die Menschen dazu, Gemälde aus der Museumssammlung, die in der Online-Galerie zu finden sind, auszuwählen, und zuhause nachzustellen. Einige fotografierte nachgestellte Werke lädt das Museum dann auf seiner Facebookseite und auf Instagram hoch.
Hier die Nachstellung eines Werks des kirgisischen Künstlers Gapar Aitijew, dem Namensgeber des kirgisischen Nationalmuseums für Künste:
Ein besonderer Blickfang war die Nachahmung des britischen Botschafters in Kirgistan Charles Edmund Garrett. Er posierte als Pilot Isckhakow, der vom russischen Künstler Alexander Ignatijew gemalt wurde.
Auch in Kasachstan nahmen Menschen an der Aktion teil. Ein Beispiel ist Asel Adambaeva aus Almaty, die Picassos berühmtes Gemälde „Der Absinth-Trinker“ zum Besten gab. Die 44-jährige Buchhalterin erzählte der New York Times, Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion seien es gewohnt, sich in schwierigen Zeiten mit Kunst zu beschäftigen und Sinn darin zu suchen.
Die Gruppe rund um Isoisoljazija betont aber, dass es sich nicht um eine politische Aktion handelt, und rät daher von destruktiver Kritik und Bildern von Politikern ab. Aus diesem Grund enthält die Facebook-Seite ein Regelwerk mit Teilnahmebedingungen, die für alle Mitglieder von Isoisoljazija gelten.
Doch wahrscheinlich erfreut sich diese Aktion gerade wegen ihres unpolitischen Charakters solch großer Beliebtheit. Es geht nicht um Klagen, um Kritik, um Anfeindungen. Es gibt im Netz keine politischen Grenzen, und alle sind dazu eingeladen, mitzumachen – auch Menschen, die kein Russisch sprechen. Es scheint so, als bekäme Kunst in Zeiten von Corona einen neuen Stellenwert. Denn gerade in Zeiten der Krise beginnen die Menschen, die schönen Dinge im Leben zu schätzen.
Julia Tappeiner
Redakteurin für Novastan
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