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Kirgistan schiebt einen weiteren russischen Aktivisten nach Moskau ab

Die Länder Zentralasiens helfen Russland bei der Verfolgung Oppositioneller. Immer wieder werden Antikriegsaktivist:innen nach Russland abgeschoben. Nachdem Lew Skorjakin in der Nacht vom 16. auf den 17. Oktober in Kirgistan verschwand, tauchte er am 3. November in einem Gefängnis in Moskau wieder auf. Das berichtet Memorial. Zwei Wagen waren an seinem Wohnsitz in Bischkek vorgefahren. Die Personen, die sich als Beamte der Abteilung für strafrechtliche Ermittlungen der kirgisischen Polizei ausgaben, brachten ihn an einen unbekannten Ort, von wo er am nächsten Tag mit dem Flugzeug nach Moskau ausgeflogen wurde. Dort wurde Skorjakin dann, laut Memorial, gefoltert und zwei Wochen lang in Untersuchungshaft festgehalten, ohne dass ein Verfahren gegen ihn eröffnet wurde.

Die Redaktion 

Redigiert von: jlaufderheide

Übersetzt von: lkuehne

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Die Länder Zentralasiens helfen Russland bei der Verfolgung Oppositioneller. Immer wieder werden Antikriegsaktivist:innen nach Russland abgeschoben.

Nachdem Lew Skorjakin in der Nacht vom 16. auf den 17. Oktober in Kirgistan verschwand, tauchte er am 3. November in einem Gefängnis in Moskau wieder auf. Das berichtet Memorial. Zwei Wagen waren an seinem Wohnsitz in Bischkek vorgefahren. Die Personen, die sich als Beamte der Abteilung für strafrechtliche Ermittlungen der kirgisischen Polizei ausgaben, brachten ihn an einen unbekannten Ort, von wo er am nächsten Tag mit dem Flugzeug nach Moskau ausgeflogen wurde. Dort wurde Skorjakin dann, laut Memorial, gefoltert und zwei Wochen lang in Untersuchungshaft festgehalten, ohne dass ein Verfahren gegen ihn eröffnet wurde.

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Skorjakin war als Aktivist der Bewegung „Linksblock“ ins Visier der russischen Behörden geraten. Die Gruppe engagiert sich unter anderem gegen den Krieg, den Russland in der Ukraine begonnen hat. Laut Radio Svoboda, dem russischen Dienst von Radio Free Europe, wird Skorjakin die Beteiligung an einer Demonstration im Dezember 2021 vor dem Büro des russischen Geheimdiensts FSB vorgeworfen, während der er ein Transparent mit der Aufschrift „Frohen Tscheka Tag“ getragen haben soll (die 1917 gegründete und 1922 aufgelöste Tscheka war die erste mit der brutalen Verfolgung politischer Oppositioneller betraute Organisation der Bolschewiki). Bereits im März 2020 war er bei einer Protestaktion vor der amerikanischen Botschaft festgenommen worden, weil er ein „Justice for George Floyd“-Spruchband aufgehangen hatte. Im Januar 2021 kam es im Zuge einer Solidaritätsveranstaltung für Aleksej Nawalny zu einer erneuten Inhaftierung.

Verhaftungen russischer Oppositioneller nehmen zu

Die Verhaftung von Lew Skorjakin ist kein Einzelfall: Die russische Staatsmacht geht immer härter gegen Oppositionelle vor, auch außerhalb Russlands. Bereits im Juni lieferte Kirgistan den Antikriegsaktivisten Alexej Rojkow nach Russland aus. Ebenfalls im Juni wurde Aljona Krylowa, die ehemalige Pressesprecherin der russischen Gruppe „Für die Menschenrechte“, in Bischkek festgenommen. Aufgrund ihrer Beteiligung an der Bewegung „Linker Widerstand“ wird ihr von Russland Extremismus vorgeworfen. 

Lest auch auf Novastan: Geflohene russische Aktivist:innen in Kirgistan festgenommen

Auch im Zuge der russischen Emigration entstandene Organisationen sind in Kirgistan Repressionen ausgesetzt: Rubezh, ein 2022 gegründetes Künstler:innenkollektiv, dem viele Geflüchtete angehören, hat wegen der intensivierten Zusammenarbeit zwischen Russland und Kirgistan bei der Verfolgung Oppositioneller und Kriegsdienstverweigerer seinen Sitz nach Georgien verlegt.

Gleiches gilt für Red Roof. Das Kollektiv bot Unterkünfte für Bedürftige an, insbesondere für Russen, die vor der Mobilisierung geflohen sind. Die kirgisischen Behörden überwachten die Mitglieder der Gruppe und drohten ihnen mit der Ausweisung.

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Der Krieg in der Ukraine als Katalysator

Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 haben die Verhaftungen und Auslieferungen russischer Aktivist:innen in Kirgistan erhöhte Aufmerksamkeit erhalten. Im Gespräch mit Novastan sagte uns ein Experte, der anonym bleiben möchte, dass „Russland einige Zeit gebraucht hat, um zu reagieren und Druck auf die kirgisischen Behörden auszuüben“.

Zahlreiche Vereinigungen in und außerhalb Russlands haben sich gegen den Krieg positioniert. Russischen Aktivist:innen und denjenigen, die vor der Mobilisierung flohen, wurde Unterstützung entgegengebracht. Doch erst seit Ende 2022 (nach Ankündigung der Teilmobilmachung in Russland) kam es, dem erwähnten Experten zufolge, zu Repressionen, um potentielle Deserteure abzuschrecken und die Bildung regierungskritischer Gruppen in der russischen Einflusssphäre zu verhindern.

Das erklärt sowohl die Verhaftungen linker Oppositioneller wie Aljona Krylowa oder Lew Skorjakin als auch die Schwierigkeiten, mit denen die Organisationen zu kämpfen haben, die sich gegen den Krieg positionieren.

Vertiefte Zusammenarbeit zwischen Kasachstan, Kirgistan und Russland

Die Zahl der Verhaftungen in Kirgistan erklärt sich, laut dem Experten, auch dadurch, dass Kirgistan und Kasachstan mehr fliehende Russ:innen anziehen als die anderen Länder in der Region, die als autoritärer und repressiver wahrgenommen werden.

Lest auch auf Novastan: Kirgistan: Ziel für Russ:innen auf der Flucht

Beide Staaten bedienen sich verschiedener Instrumente, um die Fluchtbewegungen unter ihre Kontrolle zu bringen. Dazu gehört die Anwendung von Überwachungstechnologien: Mit dem euphemistisch „Safe City“ genannten Projekt hat Kirgistan ein umfassendes, von russischen und chinesischen Unternehmen entwickeltes Überwachungssystem im öffentlichen Raum implementiert. Wie die russische Nachrichtenagentur TASS berichtet, werden dabei neuerdings auch Gesichtserkennungsverfahren genutzt. Radio Free Europe weist auf die Ausweitung der Gesichtserkennung im öffentlichen Raum auch in Kasachstan hin.

Im Sommer dieses Jahres hat Kirgistan zudem beschlossen, einem multilateralen Abkommen mit Russland und Kasachstan über den Austausch personenbezogener Daten der sich innerhalb ihrer Staatsgrenzen aufhaltenden Menschen beizutreten, schreibt The Moscow Times. Das Abkommen ermöglicht den Geheimdiensten der drei Länder den Zugang zu persönlichen Adressen, Informationen über Zweitwohnsitze, die berufliche Tätigkeit oder das Strafregister der Bürger:innen.

Das französische, auf geheimdienstliche Aktivitäten spezialisierte Nachrichtenportal Intelligence Online erinnert daran, dass der FSB immer noch einen gewissen Einfluss in Kasachstan und Kirgistan hat. Das neue Abkommen wird diesen Einfluss wohl eher noch vergrößern.

Kiana Meghdadi, Redakteurin für Novastan

Aus dem Französischen von Lucas Kühne

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