Der kirgisische Präsident Almasbek Atambajew hat ein neues Gesetz zum Schutz vor häuslicher Gewalt unterschrieben. Der Gesetzesentwurf verpflichtet die Behörden dazu, auf jede Meldung häuslicher Gewalt zu reagieren und deren Opfer zu schützen. Wir übersetzen und ergänzen den Bericht der kirgisischen Nachrichtenplattform Kloop.kg.
Der Gesetzesentwurf „Zur Sicherheit und zum Schutz vor häuslicher Gewalt“ wurde bereits am 30. März vom Parlament verabschiedet. Organisationen, die sich für den Schutz von Frauen und Kindern einsetzen, hatten eine Petition gestartet, um eine zeitige Unterschrift des Präsidenten, mit der das Gesetz in Kraft tritt, zu fordern.
„Von Ihrer Entscheidung hängt ab, ob unser Staat sich für die Sicherheit und den Schutz der psychischer und physischer Gewalt ausgesetzten Kinder, Behinderten, Frauen und älteren Menschen einsetzt, die den Schutz und die Unterstütung der Behörden erwarten, da die Angehörigen dieser Familien nicht mehr in der Lage sind, ihre Probleme selbst zu lösen“, hieß es in der an Atambajew gerichteten Petition.
Präsident Atambajew unterschrieb das Gesetz am 28. April, wie die Gender-Expertin Sulfija Kotschorbajewa erstmals berichtete. Später wurde die Information auch von der Präsidentialverwaltung bestätigt.
Automatischer Schutz für die Opfer
Der neue Gesetzestext schreibt existierende Dokumente zum Schutz vor häuslicher Gewalt beinahe gänzlich um. Die Polizei wird demnach dazu verpflichtet, auf jede Meldung häuslicher Gewalt zu reagieren, wobei jede.r BürgerIn solche Straftaten melden kann. Bisher konnte die Polizei nur auf Meldungen der Opfer reagieren.
Wird eine Gewalttat belegt, wird automatisch eine Schutzanordnung für die Opfer erstellt. Diese gilt zuerst für drei Tage, kann aber auf einen Monat verlängert werden. Dadurch kann dem Gewalttäter und seinen Angehörigen der Kontakt oder die Kommunikation mit dem Opfer verwehrt werden. Der Schutz gilt nicht nur den Opfern, sondern auch ihren Familienangehörigen.
In der bisherigen Gesetzesgebung gab es solche Schutzanordnungen nur auf Anfrage des Opfers oder eines richterlichen Beschlusses. „In den 14 Jahren, in denen das Gesetz existiert, haben die Opfer nur zehn mal tatsächlich eine solche Schutzanordnung erhalten“, erklärt die Expertin Kotschkorbajewa. „Wir möchten das ändern, damit die Ausstellung einer Schutzanordnung nicht vom Wunsch des Opfers abhängt. So können die Angehörigen des Ehemanns keinen Druck auf sie ausüben.“
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Eine Verletzung der durch die Anordnung vorgegebenen Bedingungen durch den Gewalttäter (das Familienmitglied, dem häusliche Gewalt vorgeworfen wird) gilt als Straftat und wird vor Gericht als erschwerender Umstand gewertet.
Nach Empfang der Anordnung erhalten sowohl das Opfer als auch der Täter psychologische Assistenz.
Das Gesetz betrifft zivile Ehen wie auch polygamische Beziehungen und ex-Ehegatten, die gezwungen sind, zusammen zu leben. Es definiert häusliche Gewalt nicht nur als physische Gewalt, sondern auch als psychischen und wirtschaftlichen Druck auf das Opfer.
Häusliche Gewalt in Kirgistan
Jede vierte verheiratete Frau in Kirgistan war bereits Opfer häuslicher Gewalt, davon 80 Prozent von sexueller und emotioneller Gewalt. In 98 Prozent der Fälle ist der Ehemann oder Ex-Ehemann der Gewalttäter.
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Im Jahr 2015 haben mehr als 2000 Frauen das Krisenzentrum „Sezim“ (kirg. für „ich fühle“, Anm. d. Ü.) kontaktiert. Darunter hatten 65 Prozent häusliche Gewalt erlebt.
Bei einer durch UNICEF und dem kirgisischen Bildungsministerium durchgeführten Umfrage von 2000 Kindern, gaben 70 Prozent an, dass sie in ihrer Familie bereits Gewalt und Vernachlässigung erfahren haben. Mehr als die Hälfte von ihnen wurden schon anstößig beschimpft, 38 Prozent haben schon unter psychischer und beinahe genauso viele unter physischer Gewalt gelitten.
Ajdaj Irgebajewa
Kloop.kg
Aus dem Russischen von Florian Coppenrath