Kirgistan verzeichnet zwar im regionalen Vergleich eine relativ kleine Zahl an Covid-19-Erkrankungen, dafür machen ÄrztInnen, KrankenpflegerInnen und andere medizinischen Mitarbeiter einen großen Anteil davon aus. Ein Zeichen für die Schwächen des medizinischen Systems.
Seit den drei ersten registrierten Fällen von Covid-19 in Kirgistan am 18. März, ist die Zahl bis zum heutigen Morgen auf 449 gestiegen. Davon sind 78 Personen wieder geheilt, fünf sind gestorben. Zumindest nach offiziellen Angaben gibt es in Kirgistan keinen rasanten Anstieg der Zahl der Fälle, wie in Usbekistan und Kasachstan, die beide die Marke von 1000 Fällen überschritten haben. Aber eine weitere Zahl fällt auf: Unter den Menschen, bei denen COVID-19 diagnostiziert wurde, sind 98 medizinisches Personal, also fast 22 Prozent.
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Besonders in den letzten Tagen nimmt die Zahl des infizierten Gesundheitspersonals deutlich zu. Am 7. April waren es nur 23 von 228 Fällen. Von den aktuell infizierten Gesundheitskräften sind 27 ÄrztInnen, und etwa zwei Drittel arbeiten im südlichen Teil des Landes, der auch am stärksten vom Coronavirus betroffen ist. In der Hauptstadt Bischkek sind 33 von 82 Covid-19-Fällen medizinisches Personal.
Natürlich sind die gemeldeten Fallzahlen mit Vorsicht zu behandeln, da sowohl die Zahl der durchgeführten Tests als auch deren Qualität begrenzt sind. Nach Angaben des kirgisischen Gesundheitsministeriums sind bisher insgesamt 27 033 Proben untersucht worden. Diese Zahl entspricht aber nicht der Anzahl der getesteten Personen, da bei Verdachtsfällen zwei bis drei Labortests durchgeführt werden. Darüber hinaus benutzt Kirgistan vor allem COVID-19-Schnelltests, um Personen zu testen, die vor kurzem die Grenze überschritten haben, sowie Kontaktpersonen von bestätigten Fällen. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums weisen solche Tests eine Fehlerquote von bis zu 30 Prozent auf.
Mangel an Ausrüstung
Die wachsenden Fallzahlen beim medizinischen Personal sprechen für einen Mangel an Schutzausrüstung und schlechte Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern, trotz gegenteiliger Erklärungen der Regierung. In diesem Zusammenhang weisen einige medizinische Fachkräfte über Social Media Posts auf Probleme mit Logistik und Ausrüstung hin.
Unmittelbar nach dem Auftreten der ersten Fälle riefen die Behörden in Kirgistan erst eine Ausnahmesituation, und schließlich am 25. März den Ausnahmezustand aus, wodurch das öffentliche Leben weitgehend stillgelegt und Mobilität in die und innerhalb der betroffenen Gebiete eingeschränkt wird. Insbesondere wurden alle öffentlichen Verkehrsmittel, einschließlich der Taxidienste, stillgelegt. Dies brachte Schwierigkeiten für diejenigen mit sich, die weiterhin zur Arbeit mussten, einschließlich des medizinischen Personals.
Ärzte reichten Beschwerden ein und stellten sie online, um darauf aufmerksam zu machen, dass sie manchmal mehr als 20 Kilometer zu Fuß zur Arbeit gehen mussten. Erst danach wies der öffentliche Gesundheitsdienst die örtlichen Ämter an, den Transport zur und von der Arbeit zu organisieren. Der Transport wurde zwar angeboten, aber nicht in ausreichender Menge, um den Abstand zwischen den Passagieren zu wahren. Minivans und Busse, die Sicherheits- und Gesundheitspersonal zur Arbeit befördern, sind teils vollgepackt.
Weitere Beschwerden betreffen die Verfügbarkeit von medizinischer Ausrüstung. Der Aktivist Kamil Ruziev veröffentlichte eine Meldung des Personals des Zentrums für staatliche sanitäre und epidemiologische Überwachung in Karakol, im Osten des Landes, wonach sie „Einweganzüge zur Wiederverwendung waschen müssen. Ein Atemschutzgerät wird von mehreren MitarbeiterInnen benutzt“. Nach Angaben der Online-Mediums Kloop.kg beschwerte sich ein medizinischer Angestellter aus Isfana, im Südwesten Kirgistans, ebenfalls öffentlich über den Mangel an Masken und Schutzanzügen. In beiden Fällen leugneten die Behörden das Problem.
Auf eine Frage zur hohen Zahl des von Covid-19 betroffenen medizinischen Personals gab der stellvertretende Gesundheitsminister Nurbolot Usenbajew an: „Wir ergreifen Maßnahmen für ihre Sicherheit. Seit heute sind die Grenzen offen, und humanitäre Hilfe in Form von Mitteln für den individuellen Schutz wird bereits geliefert„. Tatsächlich hat Kirgistan in seinem Kampf gegen das Coronavirus viel Unterstützung aus dem Ausland erhalten: Es war das erste Land weltweit, das vom Internationalen Währungsfonds eine finanzielle Nothilfe in Höhe von 120,9 Millionen US-Dollar erhielt. Weitere humanitäre Hilfe kommt zum Beispiel aus China, in Form von 10.000 Atemschutzmasken und 100.000 Einwegmasken. Die Alibaba-Stiftung spendet zusätzliche Hilfe in Höhe von 1,8 Millionen Yuan (230.000 Euro) in Form von Schutzanzügen und -masken sowie berührungslosen Thermometern. Es bestehen jedoch noch Zweifel, ob all diese ausgewiesene humanitäre Hilfe auch ihr Ziel erreicht.
Kürzlich erregte eine Beschwerde besondere Aufmerksamkeit. Ein Arzt, der sich selbst Bektur nennt, schrieb, dass er während seines Dienstes Gaze-Masken erhielt, „mit Löchern, die groß genug waren, dass ein Käfer hindurchfliegen konnte“. Kurz nach der Veröffentlichung seines Tweets löschte er sein Konto und lud später ein Video hoch, in dem er sich für die Verbreitung „falscher Informationen“ entschuldigte. Der Fall verursachte einen Aufruhr in sozialen Medien, woraufhin das Gesundheitsministerium eine Untersuchung ankündigte und hinzufügte, dass ein solcher Druck auf das medizinische Personal „nicht richtig“ sei. Auch der Staatssicherheitsdienst GKNB erklärte, er habe mit diesem Fall nichts zu tun.
Feldzug gegen Fake News
Der GKNB geht jedoch sonst aktiv gegen die Verbreitung von vermeintlichen Falschmeldungen in Verbindung mit der Epidemie vor. Andererseits riskieren die Behörden damit auch, Hinweise auf reale Probleme im Gesundheitswesen zu untergraben. Zumal sich JournalistInnen im Rahmen der Bestimmungen des Ausnahmezustandes in Bischkek nicht frei durch die Stadt bewegen dürfen.
Laut Angaben des GKNB, habe die Behörde mehrfach Personen festgenommen, die „Falschmeldungen“ verbreitet haben. Daraufhin wurden, „vorbeugende Gespräche geführt, bei denen sie ihre Taten bereut haben und das Volk um Vergebung gebeten haben“. Aus Angst vor Verfolgung bitten manche Ärzte, die Informationen auf ihren Facebook- oder Twitter-Seiten weitergeben, darum, von Reposts abzusehen. Solche Meldungen lösten in sozialen Medien eine Welle sarkastischer Entschuldigungen für Posts über Korruption, Geschlechterungleichheit oder Kritik an den Behörden unter dem Hashtag #Bektur (#Бектур) aus.
Wie das Online-Medium Kloop.kg betont, ist eine „öffentliche Entschuldigung“ nicht in der Strafgesetzgebung in Kirgistan vorgesehen. Während die Bestimmungen des Ausnahmezustands eine Geldstrafe für die „Verbreitung falscher Informationen“ vorsehen, die „die öffentliche Ordnung und die Ruhe der BürgerInnen stört“, gehört die Verfolgung solcher Fälle nicht in die Zuständigkeit der GKNB, sondern der Polizei.
Der Parlamentsabgeordnete Dastan Bekeschew zeigte sich empört über den Druck, der von Seiten der GKNB auf Ärzte ausgeübt wird, und initiierte einen Gesetzesvorschlag zur Unterstützung des Gesundheitspersonals.
Entschädigungen
Wie in vielen Ländern der Welt offenbarte das Coronavirus auch in Kirgistan chronische Probleme im Gesundheitssektor. Die öffentlichen Krankenhäuser sind schlecht ausgestattet, und die Ärzte verdienen oft ein sehr geringes Gehalt von 100-200 Euro pro Monat.
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Im Rahmen der Covid-Krise beschloss die kirgisische Regierung außerordentliche Zahlungen für MitarbeiterInnen des Gesundheitswesens. Wer mit Covid-PatitentInnen arbeitet, soll demnach einen Gehaltszuschlag von monatlich 29.000 bis 46.000 Som (340 bis 530 Euro) erhalten. GesundheitsdienstleisterInnen, die sich bei der Ausübung ihrer Tätigkeit mit dem Coronavirus infizieren, sollen 200 Tausend Som (etwa 2330 Euro) Entschädigung erhalten, im Todesfall wird eine Million Som (etwa 11 600 Euro) an die Familien ausgezahlt.
Später bemerkte der stellvertretende Gesundheitsminister Madamin Karatajew jedoch, dass eine Entschädigung im Falle von COVID-19 durch medizinisches Personal nur dann gezahlt wird, wenn die Person sich im Rahmen ihrer Arbeit mit dem Coronavirus infiziert. Angeblich falsche Anschuldigungen des Gesundheitsministeriums, dass eine Ärztin in Osch tatsächlich auf einer privaten Feier infiziert worden sei, hatten den Ärger innerhalb der medizinischen Dienste erregt, die sich über einen doppelten Druck der Behörden beschwerten. Darüber hinaus wird vermutet, dass das Ministerium Analysen von Ärzten zurückhält, um Entschädigungen zu verzögern.
Ähnliche Maßnahmen in der gesamten Region
Auch in Kasachstan und in Usbekistan sind Außerordentliche Zuschläge für medizinisches Personal vorgesehen, wie auch Entschädigungen bei ihrer Erkrankung mit dem Virus. Laut Angaben des Gesundheitsministeriums gehört auch in Kasachstan jeder fünfte Covid-19 Fall dem Gesundheitswesen an. Genaue Zahlen von infiziertem Krankenpersonal werden jedoch nur auf lokaler Ebene und bei besonders auffälligem Befall veröffentlicht. In Almaty, im Süden Kasachstans, haben sich zum Beispiel 182 MitarbeiterInnen eines Krankenhauses infiziert, in Andijon, im Südosten Usbekistans, arbeiten 74 der insgesamt 102 infizierten Personen im Gesundheitswesen.
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Bis heute sind Turkmenistan und Tadschikistan die einzigen Länder Zentralasiens, in denen keine Fälle von Coronavirus-Infektionen registriert wurden.
In jedem Fall hält der Krisenmodus in der Region an. Am 14. April wurde sowohl in Kasachstan als auch in Kirgistan der Ausnahmezustand bis zum Ende des Monats verlängert. In Usbekistan erklärte Präsident Shavkat Mirziyoyev lediglich, dass die Entscheidung über ein Ende der Quarantäne nach einer Analyse der Lage und in Absprache mit der Bevölkerung getroffen werde.
Anastasia Shevtsova
Redakteurin für Novastan.org
Redaktion: Florian Coppenrath
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