Wer in Kirgistan öffentlich eine positive Meinung über sogenannte „nicht-traditionelle sexuelle Beziehungen“ ausspricht, könnte schon bald mit Geld- und Haftstrafen rechnen. Wie Kloop.kg am Mittwoch berichtete, wurde im kirgisischen Parlament am 15. April ein Gesetzesentwurf eingebracht, der die „Bildung eines positiven Verhältnisses zu nicht-traditionellen sexuellen Beziehungen“ unter Strafe stellt. Es ist nicht genau definiert, welche konkreten Handlungen darunter fallen, als Beispiele wurden jedoch „Sodomie“ und „Lesbianismus“ genannt. Ein Verstoß gegen das Verbot würde laut Entwurf mit bis zu einem Jahr Gefängnis oder mit bis zu 6000 Soms (etwa 80 Euros) bestraft. Auch Medien und Nichtregierungsorganisationen könnten sich bei einem Verstoß gegen das Gesetz strafbar machen.
Der Gesetzesentwurf steht bereits seit März zur Diskussion. Einer der Urheber, der Abgeordnete Torobaj Sullukarow, hatte unmittelbar nach einer Demonstration gegen „Schwulen-Propaganda“ erklärt, dass es darum ginge, die Verbreitung von Homosexualität im Land aufzuhalten: „Homosexualität ist ein ganz fremdes Phänomen für unsere Traditionen und Bräuche und widerspricht der menschlichen Natur“. Kurmanbek Dyjkanbajew, ein weiterer Initiator, bemerkte im Gespräch mit der Tageszeitung Vetschernij Bischkek, dass ein solches Gesetz nicht gegen Bürgerrechte verstoßen würde, sondern dem „Schutz der familiären Werte in Kirgistan, wo die Institution der Familie noch stark verankert ist“ diene. Insbesondere Kinder müssten vor dem Einfluss homosexueller Propaganda geschützt werden.
Homophobes Klima
Dabei galt Kirgistan lange als eine „liberale Insel“ inmitten anderer sehr konservativer und autoritärer Staaten Zentralasiens. Homosexualität ist in Kirgistan seit dem Ende der 1990er nicht mehr strafbar. Vor einer Woche noch hat die Parlamentarische Versammlung des Europarates dem kirgisischen Parlament den Status einer „Partnerschaft für Demokratie“ verliehen, was eine gewisse Anerkennung für die Fortschritte Kirgistans in Sachen Demokratie bedeutet, und zu einer verstärkten Kooperation zwischen den zwei Institutionen führen soll. In der entsprechenden Erklärung der parlamentarischen Versammlung wird jedoch auch darauf hingewiesen, dass der Gesetzesentwurf über „homosexuelle Propaganda“ nicht angenommen werden sollte.
Der spürbare Anstieg homophober Handlungen und Erklärungen in Kirgistan spiegelte sich auch in einem Bericht zu gezielter Polizeigewalt gegen schwule Männer wider. Ende Januar machte das Bischkeker Büro der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch auf mehrere gewaltsame Angriffe – teilweise unter den Augen von Polizisten – aufmerksam. Opfer waren Vertreter von Menschenrechtsorganisationen und Personen, die für den Bericht ausgesagt hatten.
Laut der Aktivistin Alina Alymkulowa sind die Rechte von LGBT (Kürzel für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender) in der Bevölkerung ein polarisierendes Thema, das mancherorts auch Hass erzeugt. So wurde etwa ein Koran-Zitat, das zu Gewalt gegenüber Anhängern der Sünde des Volkes Luts – damit sind Homosexuelle gemeint – in sozialen Netzwerken aufruft. Dieses Zitat wurde auch vom Mufti, dem staatlichen Oberhaupt des kirgisischen Islam, zitiert.
Wie Kloop.kg bemerkt, hat die Einführung des Gesetzesentwurfs Ende März trotz verschiedener Ankündigungen nicht zu einem Dialog zwischen Vertretern gesellschaftlicher Organisationen und den Abgeordneten geführt. Meinungsartikel in der heutigen Ausgabe von Vetschernij Bischkek zeigen jedoch, dass mit der Registrierung des Gesetzentwurfes im Parlament die Debatte über homosexuelle Propaganda endgültig in der Gesellschaft angekommen ist. Nach einer ersten Diskussion in den zuständigen Parlamentskommissionen wird das Parlament in drei Lesungen über den Gesetzesentwurf abstimmen.
Steigender Einfluss Russlands
Der neue Gesetzesentwurf in Kirgistan erinnert an das Gesetz gegen homosexuelle Propaganda gegenüber Minderjährigen, das voriges Jahr in Russland in Kraft getreten ist. Für die wachsende homophobe Atmosphäre in Kirgistan werden deshalb vor alle Russische Medien verantwortlich gemacht. Obwohl das Strafmaß in Kirgistan geringer ist, ist das strafbare Handlungsspektrum breiter definiert. Die Zielgruppe für die vermeintliche Propaganda ist in Kirgistan nicht wie in Russland auf Minderjährige beschränkt.
Dazu zitiert Eurasianet.org den Stabschef der ehemaligen Interimsregierung, Edil Baisalow: „Ich könnte wetten, dass der durchschnittliche Kirgistani jährlich mehr Produkte der russischen Propaganda konsumiert, als der durchschnittliche Tatar, Tschetschene oder Jakute“. Das könnte bedeuten, dass manche kirgisischen Abgeordneten „die Unabhängigkeit satt haben“ und deshalb mit großem Eifer russische Gesetze kopieren. Noch nicht angenommen, aber geplant ist auch ein Gesetz zur Registrierung von „Fremden Agenten“, das stark dem in Russland ähnelt.
Jetzt wo der amerikanische Militärstützpunkt bei Bischkek endgültig geschlossen wird, scheint Russland seine Präsenz in Kirgistan zu verstärken. Wie der Spiegel diese Woche berichtet, hat Präsident Almasbek Atambajew trotz eines zögerlichen Parlaments versprochen, Kirgistan auch in die Zollunion mit Russland, Kasachstan und Belarus zu führen. Außerdem hat Gazprom seit der Übernahme des stark verschuldeten Kyrgyzgaz-Konzerns im Dezember 2013 das Monopol über den kirgisischen Gassektor inne.
Die Redaktion von Novastan.org