Startseite      Keine Lust auf Korruption: Vom Alai zum Studium nach Deutschland

Keine Lust auf Korruption: Vom Alai zum Studium nach Deutschland

Aiperi Sulaimanowa wurde im Bezirk Alai in der Region Osch, in Südkirgistan geboren. Um der Korruption an kirgisischen Hochschulen zu entgehen und eine gute Ausbildung zu bekommen entschied sie sich für ein Studium in Deutschland. Das Interview erschien im russischen Original zuerst auf Turmush.kg.

Aiperi Sulaimanova in Berlin

Aiperi Sulaimanowa wurde im Bezirk Alai in der Region Osch, in Südkirgistan geboren. Um der Korruption an kirgisischen Hochschulen zu entgehen und eine gute Ausbildung zu bekommen entschied sie sich für ein Studium in Deutschland. Das Interview erschien im russischen Original zuerst auf Turmush.kg.

Aiperi, man sagt der Weg in die Welt beginnt im Dorf. Wo hast du deine Kindheit verbracht?

Ich wurde im Dorf Schergetal im Bezirk Alai geboren. Ich bin das dritte von fünf Kindern in der Familie. Meine Kindheit verbrachte ich in einem Tal im Hochgebirge. Die Schule war im Nachbarsdorf, deshalb brauchte ich jeden Tag 30 Minuten, um zur Schule zu kommen. Meine Schule stammte noch aus Sowjetzeiten. Dort wurden 1000 Schüler unterrichtet. Meinen Abschluss machte ich mit Auszeichnung. Ich lernte besser im Vergleich zu meinen Mitschülern, aber dennoch wusste ich vieles nicht und hatte noch viel zu lernen.

Was hast du nach dem Schulabschluss gemacht?

Viele zogen es vor, in Dschalalabat oder in Osch zu studieren. Aber mich schreckte der lange Weg und die Tatsache, dass wir keine Verwandten in Bischkek hatten, nicht ab. Also habe ich mich an der Bischkeker Universität für Geisteswissenschaften (BGU) an der Fakultät für Journalismus eingeschrieben. Ich habe dieses Fach gewählt, denn ich habe mich schon in der Schule für Literatur und Sprache sehr interessiert.

Aber nach einem Jahr beschloss ich, mein Studienfach zu wechseln. Mich hat die Korruption, mit der ich konfrontiert wurde, frustriert. Niemand hat mich direkt nach Geld gefragt, aber ich habe gesehen, wie meine Professoren und Lehrer von anderen Studenten Geld annahmen. So habe ich jeglichen Respekt verloren, den ich für sie hatte. Ich begann, solche Dozenten einfach als gewöhnliche Kriminelle zu betrachten.

Letztendlich habe ich beschlossen, diese Hochschule zu verlassen. Außerdem schien mir, dass Journalismus sich zu sehr auf den täglichen Newsfeed  beschränkt, die Ausbildung war mir zu allgemein. Im Jahr 2008 habe ich mich dann an der Fakultät für Finanzen an der Kirgisisch-Türkischen Universität „Manas“ eingeschrieben, die ich 2012 mit Auszeichnung abschlossen habe. An dieser Hochschule hat mir die Unbestechlichkeit der Dozenten und die Möglichkeit, internationale Verbindungen aufzubauen, gefallen.

Wie und mit welchem Ziel bist Du nach Deutschland gegangen?

Seit meiner Kindheit habe ich davon geträumt, in der Hauptstadt zu studieren und dann ins Ausland zu gehen, um mich weiterzuqualifizieren. Aber anfangs wusste ich nicht, wie ich diesen Traum in die Realität hätte umsetzten können.

Lest auch bei Novastan: Aus den Augen, aus dem Sinn. Warum viele junge Tadschiken ihr Land verlassen wollen 

Als ich an der „Manas“ studierte, habe ich regelmäßig Zusatzkurse besucht, in denen ich Englisch, Türkisch und Koreanisch gelernt habe und mich auf den GRE und GMAT (Eignungstests für englischsprachige Masterstudiengänge) vorbereitete. Durch sie habe ich die Möglichkeit bekommen, Ausländer und junge Leute, die im Ausland studiert haben, kennenzulernen. Ich begann, Programme zu suchen, mit denen ich ins Ausland gehen konnte. Dafür habe ich ganze zwei Jahre gebraucht.

Schließlich habe ich die Zusage für ein kostenloses Studium an zwei Hochschulen in Deutschland und an einer in Malaysia bekommen. Ich wählte die Universität Siegen in Deutschland. Mein Hauptziel war es, eine Ausbildung zu erhalten, die internationalen Standards entspricht, um später eine der besten Spezialistinnen in meinem Gebiet zu werden. An der Universität Siegen habe ich einen Master in Makro- und Mikroökonomie gemacht. So habe ich die Gelegenheit bekommen, die Mechanismen der Realwirtschaft systematisch zu erlernen und zu verstehen.

Was machst du in Deutschland neben dem Studium?

Ich arbeite vollzeit in einem internationalen Unternehmen in der Finanzabteilung als Finanzkauffrau und studiere zusätzlich teilzeit an der HWR Berlin, die einen Business-Fokus hat, um meine Kenntnisse in deutschem Steuerrecht zu vertiefen . Ich habe mich für diese Hochschuleinrichtung entschieden, weil sie mit den großen Unternehmensberatungen Ernst & Young, Deloitte und PwC zusammenarbeitet. Außerdem wird dort auf Deutsch und Englisch unterrichtet.

Kannst du etwas über die Unterschiede in den Bildungssystemen von Kirgistan und Deutschland erzählen?

Es gibt große Unterschiede. Ich werde auf ein paar davon eingehen. In Deutschland ist die Ausbildung an staatlichen Hochschulen generell kostenlos. Aber nicht nur der Staat investiert in Bildung, auch Vertreter der Privatwirtschaft haben ein Interesse daran, hochqualifizierte Fachkräfte für auszubilden. Sie arbeiten direkt mit den Universitäten zusammen.

Große Unternehmen wie die Deutsche Bank, Daimler, DHL, Audi, BASF oder Bayer organisieren eigene Bachelorprogramme. Die Studenten für diese Ausbildungsprogramme wählen sie selbst aus. Im Schnitt vergeben diese Unternehmen Stipendien in Höhe von 1000 Euro. Die Firmen nutzen die Universitäten, um ihre zukünftigen Mitarbeiter auszubilden. Die Studenten  studieren sechs Monate theoretisch, und dann weitere sechs Monate in der Praxis.

Noch ein Beispiel: Für die meisten Berufe absolviert man eine dreijährige Ausbildung. An die Hochschule geht man, wenn man eine akademische Karriere machen will. An deutschen Universitäten muss man sich voll und ganz dem Studium widmen, sonst schafft man es nicht. So zu lernen, wie es die Studenten in Kirgistan tun, funktioniert hier nicht.

Wie sehen die Beschäftigungsmöglichkeiten für Absolventen in Deutschland aus?

In Deutschland ist die Arbeitslosenquote niedrig und qualifiziertes Personal wird immer gebraucht. Aber wie auf allen Arbeitsmärkten herrscht auch hier viel Konkurrenz. Auf eine gute Stelle bewerben sich nicht nur Deutsche, sondern auch Fachkräfte aus vielen anderen Ländern. Der Auswahlprozess kann manchmal bis zu sechs Monate dauern. Bei der Auswahl wird viel Wert auf die Ausbildung der Bewerber gelegt. In Deutschland schauen sie auf dein Diplom. Wenn du gute oder überdurchschnittliche Noten hast, wirst du wahrscheinlich die erste Stufe des Bewerbungsprozesses bestehen. Danach werden in der Regel Onlinetests, Telefoninterviews und verschiedene Aufgaben durchgeführt. Die letzte Etappe ist dann ein persönliches Gespräch mit dem Manager.

In Deutschland gibt es keine „Lieblinge“ und kein „sich beim Chef einschleimen“. Alle sind hier gleichberechtigt und es zählt nur, wie du arbeitest. Aber in Deutschland gibt es hohe Steuer- und Sozialabgaben, weil der Staat versucht die Kluft zwischen Arm und Reich zu verringern. Manchmal zahlt man bis zu 53 Prozent Abgaben.

An welche interessanten Vorfälle kannst Du dich während deiner Zeit in Deutschland erinnern?

Ich habe hier viele unvergessliche Tage verbracht. Aber am Anfang hat es mich sehr überrascht, dass der Müll in fünf verschiedene Sorten getrennt wird. Man verhält sich in diesem Punkt sehr verantwortungsbewusst.

Welchen Rat kannst Du der heutigen Jugend geben?

Fast alle haben die Möglichkeit, im Ausland zu studieren. Man muss sich dafür anstrengen und sich nicht scheuen viel Zeit und Mühen darin zu investieren. Klar ist alles einfacher, wenn man aus einer reichen Familie kommt. Aber auch wenn man aus einfachen Verhältnissen kommt, ist es möglich, durch eigene Arbeit Erfolg zu haben. Es ist auch ohne viel Geld möglich im Ausland zu studieren.

Zeit ist eine sehr wichtige Ressource und sie sollte richtig verwendet werden. Ich rate jungen Leuten, statt für teure Handys und schöne Kleidung lieber Geld für Bildung auszugeben, denn die wird sich irgendwann ganz sicher auszahlen. Und ich möchte noch hinzufügen, dass es überall in der Welt Schlechtes gibt. Schlechtes und schlechte Menschen findet man auch in Amerika und Europa, man sollte sich also nicht beklagen, sondern einfach mit gutem Beispiel vorangehen.

Wenn ihr im Ausland seid, denkt daran, dass ihr nicht nur für euch selbst verantwortlich seid, sondern auch euer Land repräsentiert, also verhaltet euch entsprechend. Wenn ihr etwas Schlechtes tut, erinnern sie sich vielleicht nicht mehr an euren Namen, aber sie vergessen nicht, dass ihr aus Kirgistan kommt.

Mit Aiperi sprach die Redaktion von Turmush.kg

Aus dem Russischen von Alexandra Wedl

Kommentieren (1)

Your comment will be revised by the site if needed.

klebefolie, 2019-01-24

Ich fange bald mein Studium an und das mir 28. etwas zu spät. Aber bin dennoch sehr aufgeregt. Das Interview gefällt mir sehr gut.

Lg Lisa

Reply