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Etienne, 28 Jahre – Unternehmer in Bischkek

Etienne Mottet ist Absolvent der Pariser „École des Mines“, eine der renommierten französischen Ingenieursschulen. Mit seinen 28 Jahren hat er in Kirgistan Fuß gefasst. Nach einem Praktikum in Indien und zwei Jahre in Afghanistan hat er sich schließlich in Bischkek niedergelassen. Dort gründete er 2013 OPENCBS, ein Startup-Unternehmen, das Open Source Programme für Mikrokredite verkauft. Ein Portrait.

Etienne Mottet
Etienne Mottet

Etienne Mottet ist Absolvent der Pariser „École des Mines“, eine der renommierten französischen Ingenieursschulen. Mit seinen 28 Jahren hat er in Kirgistan Fuß gefasst. Nach einem Praktikum in Indien und zwei Jahre in Afghanistan hat er sich schließlich in Bischkek niedergelassen. Dort gründete er 2013 OPENCBS, ein Startup-Unternehmen, das Open Source Programme für Mikrokredite verkauft. Ein Portrait.

Zwei mal kräftig an die Tür geklopft und man tritt ein, zieht seine Schuhe aus und hängt seine von dem Schnee des Tian-Schan schon gealterte Jacke auf. Und wenn die Augen sich endlich von dem harten Winter befreien und den Raum betrachten, ist es als, ob man sich plötzlich hinter Alices Zaubertür bei einer Art Google wiederfände. Zuerst fallen die Wände ins Auge, mit bekritzelten Klebezetteln bedeckt. Die Berichte der letzten Versammlung dieses jungen Unternehmens erinnern den uneingeweihten Beobachter an Kinderzeichnungen.

Diese bescheidene Wohnung in Bischkek befindet sich ein paar Schritte von dem Orto-Saj Markt entfernt. Drinnen stört nur das Klappern der Tastaturen die Stille. Es kommen auch oft Witze auf, und Papierkugeln fliegen durch den Raum. Hier hat Etienne Mottet, Franzose und frankophil, 2013 seine IT-Entwicklungsfirma gegründet. Hier hat sein aktuelles Berufsleben, sein persönliches Leben, seine aktuelle Existenz begonnen.

Entreprendre à Bichkek

Als er 2009 seinen Abschluss von der „École des Mines“ in Paris erhielt, hätte er sich einen solchen Weg wohl nur schwer vorstellen können. Der Stubenhocker, der er war, hat Frankreich erst 2008 zum ersten Mal verlassen. Damals war Indien seine kühne Wahl. Während der achtmonatigen Studienzäsur arbeitete er für die französische NGO Acted an deren Mikrofinanzsoftware, Octopus. Daher kommt auch seine Leidenschaft für dieses Feld, wie auch für das Ausland. „Es war brutal, ein wahrer Schock. Die ersten Wochen dachte ich daran, aufzugeben“. Doch er blieb, und ließ nicht los. „Als ich nach Frankreich zurückkehrte, fühlte ich ein Unbehagen. So habe ich gemerkt, wie glücklich ich im Ausland gewesen war.“

Seitdem hat er mit dem Startup in Kirgistan seine eigene Version des Programms erschaffen. OPENCBS bietet freie (open source) Software für Mikrokredite. „Es ist als würde ich eine kleine Bank managen“, erklärt Etienne: Je nach Anfrage des Kunden plant das Programm die Zinsen, die Rückzahlungsprozedur, die Leihbedingungen und den Rest der Kreditkette. „Es verwaltet Kredit- und Sparportfolios“. Sind die Grundinformationen einmal eingegeben, berechnet das Programm einen Zeitplan, die Gesamtbilanz und verfolgt langfristig die Entwicklung des Darlehens. „Ein gutes Werkzeug hat Wirkung auf die Qualität des Produktes. Darauf setzen wir.“

Von den „Mines“ nach Kirgistan

Die Software ist sehr einfach zu bedienen und unterscheidet sich darin von seiner Konkurrenz, die von den großen französischen Banken genutzt werden. „Monsterprogramme, die vor mehr als zwanzig Jahren erschaffen wurden. Es ist sehr schwer, sie zu ersetzen“, vertraut Etienne an. Seine Firma hat im Moment 12 Kunden rund um die Welt und ungefähr 30 Nutzer der kostenfreien Version des Programms.

Etienne verdeckt nicht sein Lächeln, etwas jugendlich, aber auf keinen Fall naiv. Zwischen Indien und Kirgistan hat er auch zwei Jahre in Afghanistan gearbeitet, weiterhin mit Acted. Dort beaufsichtigte er den Betrieb von Oxus, dem Mikrofinanzprojekt der französischen Organisation.

Das Fazit ist kurz: „Es war super.“ Seine blauen Augen zeigen auch ein wenig Nostalgie. „Ich war dort andauernd mit Leuten in Kontakt. Auf den Basaren konnte ich die Handwerker und Unternehmer treffen. Als Außenstehender könnte man glauben, dass Afghanistan ein schwieriges Erlebnis war, aber das ist gar nicht der Fall. Im Gegenteil: die Mitarbeiter waren sehr motiviert, es fehlte nur ein wenig Wissen in Sachen Methode und Struktur. Dort hattest du das Gefühl, wirklich etwas beizutragen.“

Nach seinem wissenschaftlich orientierten Bac S (das französische Abitur), studierte Etienne Physik, Chemie und Ingenieurswissenschaften in Rouen. Mit seinen 28 Jahren hat ist er nun schon viel durch die Welt gekommen. „Afghanistan war ein bedeutender Impuls. Du ziehst dort hin und gegen alle Erwartungen gefällt es dir. Du kannst dich dort unheimlich wohl fühlen.“

En Afghanistan

Zu diesem Zeitpunkt hat er auch Zentralasien und Kirgistan zum ersten Mal für sich entdeckt. Bischkek war keine Liebe auf den ersten Blick, doch heute hängt er an dieser Stadt. „Nach zwei Jahren war ich von Afghanistan abgenutzt. Auch wenn es ein reizendes Land ist. Kirgistan ist ein sehr gutes Gegengewicht: Dort gibt es zusätzlich die Freiheit.“

Und letztendlich etabliert er sich auch in Bischkek, im Juli 2012.

Bischkek: „Ein wahrer Geheimtipp“

Der Überraschung in seiner Umgebung antwortet Etienne mit einer Liste von Vorteilen, die er schon lange auswendig kennt. Zuerst die unschlagbaren Preise: seine fünfköpfige Mannschaft kostet ihn so viel wie eine einzige Vollbeschäftigung in Frankreich. Dazu kommt ein einfacher und sehr unbürokratischer Start für seine Firma. Und vor allem „die motivierte, dynamische Jugend.“

Sein eigenes Unternehmen zu leiten beschreibt er als eine „Achterbahn der Emotionen. Es ist ein solch intensiver und tiefer Prozess. Man kann es nicht erfahren ohne es selbst auszuprobieren.“ Der einzige Nachteil ist der sehr kleine und schon ausgeschöpfte Markt für Mikrofinanzen. So gab es vor kurzem auch Demonstrationen gegen den Wirtschaftszweig der Mikrofinanzen.

„Es gibt hier ein unglaubliches menschliches Potential“, beharrt er, wie auch viele der Geldgeber aus Europa und zahlreiche NGOs. All diese Talente müssen nur aktiviert werden. Etienne zufolge sollten vor allem die Methoden, mehr noch als die Ideen, vom Westen übernommen werden. „Lösungen müssen immer vor Ort gefunden werden, das vergisst man allzu oft.“

Etienne Mottet

„Ich fühle mich viel weniger mutig als die, die jeden Morgen aufstehen um in die U-Bahn Richtung La Défense (das Hauptgeschäftsviertel von Paris, Anm. d. Red.) zu steigen.“ scherzt er, nicht ohne Ernst. „Ich habe früh gemerkt, wie unglücklich ich auf der sogenannten königlichen Schiene geblieben wäre, wenn ich ein Ingenieur unter 10000 in einer großen Firma geworden wäre.“

Dennoch verbleibt er nicht bei einer Ablehnung seiner Heimat. Umso weiter er reist, desto näher fühlt er sich Frankreich. „Im Endeffekt fühlst du dich hier immer französischer.“

Seine Reise wird gewiss nicht in Bischkek enden. Dieser nomadische Normanne hat die Taschen voller Projekte. Wie zum Beispiel eine Filiale seiner Firma in Nairobi (Kenya) oder der Aufbau einer IT-Entwicklungsschule in Bischkek. Vielleicht wird er auch nach Frankreich zurückkehren. Doch wie das Sprichwort sagt: Der Prophet gilt nichts in seinem eigenen Land.

Etienne Mottet wird am 8 Dezember um 17h eine Konferenz bei der Amerikanischen Universität Zentralasiens (AUCA) halten. Mehr Infos hier.

Die Redaktion

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