Samstagmorgen. In einem Raum des Bildungszentrums „Bilim“, das sich in Moskau befindet, unterrichtet Dilya Badalova Russisch für fünf- bis sechsjährige Kinder. Im Nebenraum interviewt Maksatbek ein Mädchen, das hier im Zentrum die russische Sprache erlernen möchte. Wir übersetzen folgenden Artikel von Fergananews mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.
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Vor 16 Jahren ist Maksatbek Abdunazar uulu mit seinen Eltern aus Batken, Kirgistan, nach Moskau gezogen. Der damals zehnjährige sprach kein Wort Russisch. Trotz aller Schwierigkeiten, die er als Kind einer Migrantenfamilie durchmachen musste, wurde er erfolgreich an der Universität zugelassen. Er beschloss, seine Erfahrungen zu einer erfolgreichen Integration in die russische Gesellschaft mit anderen zu teilen. So eröffnete der Student ganz ohne staatliche finanzielle Unterstützung das Bildungszentrum „Bilim“ („Wissen“ auf Kirgisisch) und hilft Kindern mit Migrationshintergrund Russisch zu lernen, sich in die Schule einzuschreiben und sich in Russland zurechtzufinden und zu integrieren.
Kein Ausbildungssystem für Migranten
In seiner Studienzeit hat Maksatbek freiwillig im Zentrum für Flüchtlinge Kindern aus Afghanistan Mathematik unterrichtet. Damals fiel ihm auf, dass es in Russland kein spezialisiertes Ausbildungssystem für Ausländer gibt. Zur gleichen Zeit lernte er Alexia Blok, eine Wissenschaftlerin aus Kanada kennen, die zu den Problemen von Migrantinnen forscht. Im Laufe der Zusammenarbeit im Projekt, verstand er, dass eines der Hauptproblem für Migrantenfamilien die Einschreibung der Kinder in russische Schulen ist, vor allem aufgrund der verschiedenen Bildungsniveaus und des Fehlens von Integrationsprogrammen. So ist Maksatbek auf die Idee gekommen, ein Zentrum zu gründen, in dem die Kinder Russisch lernen könnten sowie auf die Schule und das Leben in einer für sie neuen Gesellschaft vorbereitet werden.
Er beschloss zuerst Russischkurse zu organisieren. Maksatbek hatte keinerlei Unterstützung und versuchte daher Partner zu finden und fragte bei verschiedenen Unternehmen an. Doch zuerst glaubte niemand an den Erfolg seiner Idee. So beschloss er, seinen Vater um Hilfe zu beten. Sie rechneten aus, dass, wenn sich 25 Kinder für einen Monat für einen Preis von 5000 Rubel (ungefähr 75 Euro) anmelden würden, die Einnahmen reichen um die Miete des Raums und andere Gebühren zu bezahlen.
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Er schaltete auf einer der Internetseiten für Kirgisen in Russland eine Anzeige und wurde von der überwältigenden Nahchfrage überrascht: anstatt von 25 Kindern meldeten sich 100 an.
Im Sommer 2015 eröffnete Maksatbek mit Hilfe seiner Familie das Bildungszentrum „Bilim“. Er selber unterrichtete Mathematik, ein anderer Lehrer unterrichtete Russisch. Schon nach wenigen Monaten mietete Maksatbek größere Räumlichkeiten an und weitete sein Angebot auf Englisch- und Russischunterrichte für Erwachsene aus.
Integration ist harte Arbeit
„Das Hauptziel des Zentrums ist die Vorschulbildung auf russischer Sprache, damit die Kinder ab der 1. Klasse auf Russisch kommunizieren und lernen können, wie ihre Mitschüler auch. Im Durchschnitt dauert die Vorbereitung drei Monate. Viele Eltern stellen sich allerdings vor, dass ihr Kind innerhalb eines Monats Russisch lernen soll und verstehen nicht immer, dass die Integration des Kindes auch ihre Aufgabe ist. So ist es wichtig, dass auch sie mit dem Kind auf Russisch reden und Veranstaltungen besuchen, bei denen das Kind die Sprache praktizieren kann. Es gibt in Moskau viele kostenfreie Möglichkeiten. Wir informieren die Eltern vorher: Wenn sie das Kind nicht fördern werden, bekommen sie das Geld für den Kurs zurück – und wir werden das Kind nicht unterrichten“, erzählt Maksatbek.
Das Problem der Russischkentnisse bei kirgisischen Migranten wird jedes Jahr aktueller. Besonders betroffen sind Migranten aus dem Süden Kirgistans, wo die Anzahl der russischsprachigen Schulen niedriger ist, als im Norden des Landes. Nicht nur Kinder, sondern selbst 16 bis 25-jährige Jugendliche können kein Russisch.
Kultur ist Teil von Integration
Außer Unterrichten bietet Maksatbek auch kostenlose Exkursionen durch Moskau für Kinder und Erwachsene an. Sein Ziel ist es, den Kirgisen nicht nur die Schönheit der Stadt und ihre Geschichte nahezubringen, sondern sie darüber hinaus in das kulturelle Leben der Hauptstadt einzuführen. Viele der Erwachsenen hätten das letzte Mal vor fünf oder zehn Jahren eine Ausstellung oder ein Museum besucht und trauten sich nicht mehr, alleine dort hinzugehen, erzählt Maksatbek.
Im April 2016 hat Maksatbek sein Projekt „Integration der Arbeitsmigranten und ihrer Kinder in Moskau“ beim Wettbewerb „Innovation in der Bildung“ der HSE (Higher School of Economics, eine renommierte moskauer Universität, Anm.d.Red.) angemeldet. Sein Projekt hat 100.000 Rubel gewonnen, wofür neue Projektoren und Ausstattung für das Bildungszentrum gekauft wurden. Außerdem haben Arbeitsmigranten seitdem die Möglichkeit, Seminare des Bildungsinstituts der Higher School of Economics zu besuchen, wo sie Informationen darüber erhalten können, wie sie ihre Kinder am besten auf die Schule vorbereiten und ihnen bei der Bürokratie für die Einschreibung geholfen wird.
Was Maksatbek und seine Familie angeht, so möchte er in Moskau bleiben und seine wissenschaftliche Tätigkeit im Bereich der Integration der Kinder von Arbeitsmigranten fortführen.
Im russischen Original erschienen auf Fergananews
Aus dem Russischen übersetzt von Kunduz Zhyrgalbekova
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