Der folgende Artikel ist im Rahmen der UN Women Kampagne „16 Days against gender based violence“ entstanden und wurde zuerst auf dem Blog „Monday bazaar“veröffentlicht. Wir übernehmen ihn mit der freundlichen Genehmigung der Autorin.
Aus Neugier, was Mädchen und junge Frauen in Kirgistan für wichtig erachten, hat Josefin Åström, die aktuell für die schwedische NGO „Central Asia Solidarity Group“ in Osch arbeitet, auf den Straßen der Stadt kurze Interviews geführt. Übergreifendes Thema war Straßenmode, aber die Gespräche drehten sich auch um die Weltansichten und Träume der jungen Frauen. Als Ergebnis präsentieren wir 16 Kurzporträts aus dem heutigen Osch.
Ajlira, 23 Jahre
Ajlira arbeitet für eine internationale Firma, die Kinderpflegeprodukte verkauft. Ihr Foto wurde in der Nähe einer Apotheke aufgenommen, in der sie zuvor ihre Produkte beworben hatte. Sie hat einen Hochschulabschluss in Finanzwesen, mag Mode und geht gerne abends aus. Am wichtigsten ist es ihr, Freude auszustrahlen. Ajlira hat früher in Moskau gelebt und würde gerne dorthin zurückkehren.
Akbermet, 22 Jahre
Akbermet hat in diesem Jahr ihr Studium der Internationalen Beziehungen in Bischkek abgeschlossen. Sie ist erst vor kurzem zurück nach Osch gezogen, weil ihre Eltern sie dort brauchten. Lieber wäre sie aber in der Hauptstadt geblieben, da es für sie dort mehr Möglichkeiten gibt und sie Bischkek moderner findet. In Bischkek gebe es bessere Universitäten, mehr Arbeitsplätze und mehr Globalisierung. Dort schafften die Menschen mehr, bevor sie heiraten.
Akbermet würde sich gerne verlieben und eine Familie gründen, aber sie möchte ihren Partner vor der Hochzeit gut kennenlernen. Diese Ansicht ist nicht besonder verbreitet, wie sie findet: Die meisten jungen Frauen in ihrem Alter heiraten schon, sie möchte später heiraten.
Auch zu verreisen ist einer ihrer Träume. Wegen der Visapflichten und der Kosten einer Reise ist das für viele Menschen in Kirgistan aber kein einfaches Unterfangen. Sie war bereits in Dubai, und war beeindruckt von den Wolkenkratzern dort. Sie meint, solche Gebäude zeigen, dass eine Stadt international ist. Wenn sie die Wahl hätte, würde sie am liebsten nach Südamerika reisen.
Obwohl sie momentan gerne zurück nach Bischkek möchte, würde sie Osch nicht für immer verlassen. Hier hat sie ihre Kindheit verbracht, hier ist auch ihr Herz.
Meerim, 25 Jahre
Meerim arbeitet im Finanzwesen für eine Süßwarengesellschaft. „Es gibt so viele Süßigkeiten auf der Arbeit!“, lacht sie.
Sie ist ausgebildete Ingenieurin, aber ihre jetzige Stelle ist besser bezahlt als es eine Stelle ale Ingenieurin wäre. „Osch ist zu klein“, sagt sie. New York, das sie über „Sex and the City“ entdeckt hat, würde ihr besser gefallen. Wenn sie nicht bei der Arbeit ist, verbringt sie gerne Zeit mit ihren Freunden, geht spazieren, schaut Filme (ihr Lieblingsfilm ist „Titanic“) oder liest.
Myrsaijm, 18 Jahre
Myrsaijim studiert Design an der Kunstfakultät der Oscher Universität. Sie näht moderne Kleisung, die durch traditionelle kirgisische Motive inspiriert ist. Ihre Mutter arbeitet auch als Schneiderin traditioneller Kleidung. Beide lieben Osch und zeigen Besuchern gerne ihre Lieblingsorte in der Stadt.
Ajkan, 18 Jahre
Ajkan studiert Internationale Beziehungen an der Oscher Universität. Wenn sie gerade nicht studiert, liest sie sehr gerne und singt kirgisische Lieder. Ihr Lieblingssänger ist Mirbek Atabekow. Sie würde gerne in die Vereinigten Staaten und nach Dubai reisen und strebt eine Karriere als Diplomatin an.
Während des Interviews in einem der zentralen Parks in Osch begann eine Gruppe junger Männer Ajkan und ihre Freundinnen anzupfeifen. Sie zeigten sich gleichgültig oder geschmeichelt, ließen sich aber nicht stören.
Saltanat, 19 Jahre
Saltanat ist eine feministische Aktivistin. Sie hat schon immer beobachtet, dass die Gesellschaft ungleich ist, war sich aber lange nicht sicher, wie sie das beeinflussen könnte. Jetzt hat sie das Gefühl, dass sie alles schaffen kann, trotz der vielen Kritik gegen sie. Zuerst war es schwierig, aber jetzt ist es ihr egal: „Leute fragten mich: ‘Du bist ein kirgisisches Mädchen, warum führst Du dich so auf? Nach dem Studium solltest Du heiraten. Warum solltest Du anders sein, als wir? Wir sind glücklich!‘“ Saltanat will aber nicht um jeden Preis heiraten. Sie würde heiraten, wenn sie den Richtigen fände.
Saltanat ist auch religiös. Zuerst dachte sie, dass sie zwischen ihre Religion und dem Feminismus wählen müsste, da sie glaubt, dass keine Religion Frauen unmittelbar Rechte zuspricht. Aber während sie mehr über den Islam lernte, begann sie ihn anders zu verstehen und zu interpretieren. Für sie liegt Religion in der Seele und lehrt uns grundlegende Regeln, wie zum Beispiel, dass man niemanden töten oder schlagen soll. Im Koran steht auch ein Gebot, das besagt, dass kein Mensch sich vor einem anderen Menschen fürchten sollte. Außerdem kann keiner andere zwingen, etwas zu tun, denn niemand kann sich wie Gott verhalten.
Für Saltanat ist die größte Herausforderung für die Geschlechtergleichheit in Kirgistan der konservative Ansatz bei der Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern. Die kirgisische Gesellschaft baut auf klar identifizierten Geschlechterrollen auf. Zum Beispiel wird viel Wert auf die Jungfräulichkeit einer Braut gelegt. Obwohl es kaum möglich ist, die Jungfräulichkeit verlässlich zu überpüfen, kursieren viele Gerüchte zu dem Thema.
Barchinoj, 19 Jahre
Barchinoj studiert Englisch. Wenn sie gerade nicht lernt, malt sie gerne. Ihr einziger Traum ist es, zu reisen, aber sie hatte noch keine Gelegenheit, Kirgistan zu verlassen. Besonders gerne würde sie Frankreich besuchen, um den Eiffelturm zu sehen. Ihre größte Sorge in Bezug auf Kirgistan sind die niedriegen Gehälter, die im Durchschnitt zwischen 100 und 200 US Dollar liegen.
Ajperi, 20 Jahre
Aiperi kommt aus Dschalalabat und studiert Medizin an der Oscher Universität. Im Gespräch kommt sie schnell auf die Trennung zwischen Nord- und Südkirgistan zu sprechen. Diese führt sie auf unterschiedliche Auffassungen der Traditionen zurück. Sie sagt, dass Südkirgistan traditioneller sei. Das bedeutet zum Beispiel, dass Mädchen keine kurzen Röcke tragen sollen und nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr raus dürfen, und dass es für Frauen normal ist, mit 20 zu heiraten. Auf die Bemerkung, dass alle von ihr erwähnten Traditionen sich auf Frauen beziehen, antwortet sie: „Genau!“
Ajperi meint, dass sie weder ihren zukünftigen Ehemann, noch ihren Beruf wählen kann. Sie würde gerne eine Chirurgin werden, aber ihre Freunde und Familie sagen, dass das nicht geht, weil sie ein Mädchen ist.
„Deswegen habe ich mein Haar geschnitten und trage kurze Röcke.“ Ajperi möchte sich dem widersetzen, was von einem Mädchen in Südkirgistan erwartet wird. Sie möchte den anderen Mädchen zeigen, dass sie auch anders leben können, als von ihnen erwartet wird.
„Traditionen sind nicht unbedingt schlecht,“ führt sie fort. Sie denkt zum Beispiel, dass kirgisische Kleider sehr schön sein können und bewertet auch die kirgisische Tradition der Gastfreundschaft positiv. Sie ist stolz auf Kirgistan und seine reiche Geschichte, wobei sie den Film Kurmandschan Datka erwähnt. Traditionelle Geschichten gefallen ihr ebenfalls, so wie die Geschichte über den Ursprung ihres Namens:
„Es war einmal ein kleines Mädchen ohne Familie. Sie lebte mit einer wütenden Frau. Nachts musste das Mädchen immer wasser holen gehen, hatte aber große Angst vor der Dunkelheit. Der Mond liebte das Mädchen und erleuchtete ihren Weg. Eines Nachts brachte das Mädchen das Wasser zum Mond. Der Sage nach bedeuten die Flecken auf dem Mond, dass das Mädchen dort ist.“ Ajperi bedeutet „Mondengel“.
Ajperi hat ihre Ansichten durch Gespräche mit verschiedenen Touristen in Osch und mit Kirgisen, die im Ausland leben, entwickelt. Seitdem arbeitet sie als Freiwillige für das Rote Kreuz und geht in Vorlesungen zu Menschenrechten an der Universität, auch wenn das nicht ihr Studienfeld ist. Sie will nicht nur die Frau oder die Mutter von jemandem sein, wie sie sagt: „Ich will eine große Person sein!“
Jedes Mal, wenn sie oder Bekannte von ihr sich einer Tradition widersetzen, merkt sie, dass vieles, was traditionell als wichtig gilt, meist unwichtiger ist, als man denkt: „Das war also ein Fragment meiner eigenen kleinen Revolution.“
Ajgerim, 20 Jahre
Das Gespräch mit Ajgerim fand statt, während sie auf eine Marschrutka (einen Kleinbus, Anm. D. Red.) wartete, um ihre Mutter in ihrem Heimatdorf 200 km entfernt von Osch zu besuchen. Sie fährt gerne an Wochenenden zu Besuch dorthin. Unter der Woche studiert sie Design in Osch.
Eines Tages würde sie gerne reisen, besonders nach Kalifornien. Nicht nur, weil es Kalifornien ist, sondern auch, um ihr Englisch zu verbessern. In ihrer Freizeit macht sie gerne Sport, besonders Tennis, und geht jeden Abend mit ihren Freunden joggen.
Fatima, 18 Jahre
Fatima studiert Englisch und Latein und kocht sehr gerne kirgisisches und usbekisches Essen. In Zukunft würde sie gerne nach Amerika und nach Frankreich reisen und vielleicht dorthin emigrieren. Sie möchte eine Englischlehrerin und eine gute Mutter werden.
Fatima denkt, dass es für Studierende in Kirgistan sehr wichtig ist, gut zu studieren, um die lokale Industrie zu entwickeln. Ihr zufolge gibt es heutzutage nicht ausreichend Fabriken im Land und die Arbeitslosigkeit ist ein Problem. Daher denken viele, dass sie nach Moskau oder anderswo nach Russland ziehen müssen, um Arbeit zu finden.
Umutaj, 18 Jahre
Umutai studiert Jura. Sie liest sehr gerne und mag kirgisische traditionelle Tänze. Wie die meisten Menschen in Osch spricht sie Kirgisisch, Russisch und Usbekisch. Sie hat eine große Familie, in der ihr Vater der einzige Mann ist. Alle ihre Schwestern arbeiten schon.
Yasilya, 28 Jahre
Yasilya arbeitet als Projekassistentin in einem Projekt, dass junge Leute in Südkirgistan dazu ermutigen soll, bei den Wahlen der Lokalvertretungen im Dezember zu wählen. Ein Teil des Projektes ist es, junge Leute als Wahlbeobachter auszubilden.
Yasilya ist nicht verheiratet. Das ist ein ständiges Thema bei ihren Freunden und ihrer Familie, denn in ihrem Alter muss eine Frau „dringend“ heiraten. Yasilya selbst sieht das nicht als ein Problem. Sie möchten jemanden heiraten, den sie liebt. „Das ist eine wichtige Entscheidung, die stimmen muss,“ sagt sie. „Ich habe noch Zeit.“
Dreimal pro Woche geht Yasilya, die tatarischer Abstammung ist, in einen Englischkurs. Sie plant, einen MBA im Ausland abzuschließen. In Zukunft würde sie gerne das landwirtschaftliche Unternehmerwesen in Kirgistan entwickeln, wofür ihr ein weiteres Studium gut nutzen könnte.
Ajgerim, 20 Jahre
Aigerim studiert Medizin und möchte bald Ärztin werden. In Zukunft würde sie gerne Reisen und hofft, dass sie Russland, England, Deutschland und die Arabischen Emirate besuchen kann.
Sie plant, eine gute Ärztin zu werden und eine Praxis in Deutschland zu eröffnen. Laut Ajgerim sind Kirgistans größte Probleme die Armut, die Korruption und die mangelnde Bildung.
Sara, 18 Jahre
Sara studiert Englisch an der Fremdsprachenfakultät. Sie möchte Lehrerin werden oder in internationalen Organisationen arbeiten. Sie liebt Musik, besonders Mirbek Atabekow, und möchte später eine gute Ehefrau und eine glückliche Mutter werden.
Laut Sara ist momentan das größte Probleme in Kirgistan, dass zu wenig Menschen Kirgisisch sprechen. Sie befürchtet, dass die Sprache verschwinden könnte.
Burulaj, 18 Jahre
Burulaj lebt in einem Dorf weit entfernt von Osch, kommt aber an den Tagen in die Stadt, an denen ihre Kurse in Englisch und Nachhaltiger Entwicklung an der Universität stattfinden. Sie mag Tanzen und Musik und ihr Lieblingskünstler ist ein kirgisischer Sänger namens Arsen. Ihr Ziel ist es, gute Noten zu bekommen und eine gute Ehefau und Mutter zu werden. Sie möchte auch reisen. Laut Burulaj ist das größte Problem in Kirgistan die Umweltverschmutzung.
Nurisa, 19 Jahre
Nurisa studiert Business und würde gerne reisen, besonders nach Schweden und nach Paris. Sie versichert aber, dass sie Kirgistan nicht für immer verlassen möchte, jedoch gerne nach Bischkek ziehen würde, wo ihre Freunde wohnen. Auf die Frage, welche Probleme sie in Kirgistan sieht, zögert sie zuerst, meint aber dann, dass es in der Stadt Umweltprobleme gibt, wahrscheinlich, weil Osch eine so große Bevölkerung habe.
Josefin Åström
Nowyj Ritm, Osch
Aus dem Englischen übersetzt von Florian Coppenrath