In Kasachstan breitet sich russische Propaganda über die Grenzen russischsprachiger Zielgruppen hinaus aus – vor allem über den Krieg in der Ukraine. Expert:innen halten das für ein alarmierendes Zeichen.
Laut dem Politologen Şalkar Nurseit haben sich in den vergangenen fünf Jahren drei Hauptthemen russischer Propaganda entwickelt: Mythen über Covid und Impfstoffe, Mythen und Verschwörungstheorien über den Krieg in der Ukraine; zum Beispiel Desinformation darüber, dass Selenskyj drogenabhängig sei; und Mythen über den Westen wie Fragen der Demokratie, Menschenrechte, die sogenannte Weltregierung, Freimaurer und so weiter.
Diese Mythen können „auf fruchtbaren Boden fallen“, weil ein bedeutender Teil der Kasachstaner:innen Fake News und Desinformation ausgesetzt ist. Dies zeigen Ergebnisse einer Umfrage, die das Sozial- und Marktforschungsinstitut Demoscope Ende 2022 durchgeführt hat. Es stellte sich heraus, dass es der Hälfte der Befragten schwerfiel, irreführende Informationen zu erkennen.
Wie zeigt sich Propaganda des Kremls in der kasachischen Sprache?
Medet Esimhanov geht davon aus, dass praktisch alle Narrative, die als Rechtfertigung der Vollinvasion in der Ukraine genutzt werden, zur russischen Propaganda gezählt werden können. Esimhanov ist Chefredakteur der russischsprachigen Version des Projekts Factcheck.kz, das sich mit der Dekonstruktion von Propaganda befasst. Beispiele sind die Behauptung über einen Krieg mit der Nato, ein angebliches Aufblühen des Nationalsozialismus in der Ukraine oder eine angeblicher „Genozid“ im Donbass.
Demoscope untersuchte die Haltung zum Konflikt im März 2022. Sie stellten fest, dass die Sprache, auf der geantwortet wurde, die Wahrnehmung des Kriegs beeinflusst. „Die Bezeichnung ‚militärische Spezialoperation‘ bevorzugten 39 Prozent der russischsprachigen Befragten und 27 Prozent der Kasachischsprachigen“, heißt es in einer Pressemitteilung von Demoscope.
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Als vereinsgetragene, unabhängige Plattform lebt Novastan vom Enthusiasmus seiner ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen – und von eurer Unterstützung!Das kann so gedeutet werden, dass es auch im kasachischsprachigen Medienraum Narrative russischer Propaganda gibt. Als Beweis dafür kann die bekannte öffentliche Informationsseite Nege.kz herangeführt werden, die im März 2022 die Erklärung des russischen Präsidenten Putin verbreitete, dass „russische Soldaten und Offiziere handeln wie echte Helden“ im Krieg mit der Ukraine. Im Artikel nennt die Redaktion keine anderen Details und Informationen zum Krieg.
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Der Medienexperte Joldas Orisbaı wies darauf hin, dass die Seite sputnik.kz bis jetzt den Begriff „militärische Spezialoperation“ statt „Krieg“ verwende und erklärte den Euphemismus so: „Das vorliegende Medium ist ein Kremlmedium. Es benutzt ‚die Strategie der sanften Bewegung‘ (the gradual strategy [eine Manipulationsstrategie nach Noam Chomsky Anm. d. Ü.]). Dieses Medium versucht, mithilfe der Wiederholung des Narrativs der „militärischen Spezialoperation“ die Wahrnehmung der Kasachstaner zu verändern.“ Es ist anzumerken, dass sputnik.kz den Begriff „militärische Spezialoperation“ nicht nur in Beiträgen auf Russisch, sondern auch auf Kasachisch verwendet. Dasselbe tut zum Beispiel die in Kasachstan populäre Seite tengrinews.kz.
Kremlnahe Medien versuchen, den Westen zu diskreditieren, indem sie „traditionelle“ und „westliche“ Werte gegeneinanderstellen und eine Anti-LGBT-Rhetorik verwenden. Diese Narrative sind auch im kasachischsprachigen Raum auffällig. Schon 2020 veröffentlichte die sozio-politische Medienplattform 365info.kz auf der kasachischen Sprache die Information, dass in Kyjiw „Homosexuelle die LGBT-Flagge an das Mutter-Heimat-Denkmal gehisst haben“. Und caravan.kz schrieb, dass LGBT+-Angehörige die Familie zerstören würden.
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Nege.kz hat eine Publikation darüber gemacht, dass in Kasachstan „LGBTQ stärker wird“. Der Autor stellte die Frage: „Soll man Handlungen verbieten, die den Traditionen unserer Vorfahren zuwiderlaufen oder soll man den Belangen des Globalisierungsprozesses nachgeben, es ausleben wie im Westen?“
Worin besteht die Gefahr der Kremlpropaganda für Kasachstan?
Joldas Orisbaı gibt an, dass Russland darauf abzielt, seinen Einfluss in Kasachstan durch wirtschaftliche und politische Mittel zu verstärken. „Deswegen versuchen russische Behörden ihren Einfluss auf Ak-Orda (Anmerkung der Redaktion: Residenz des Präsidenten Kasachstans) zu demonstrieren, wenn kasachstanische Behörden sich mit amerikanischen, europäischen und chinesischen Politikern treffen“, sagt der Medienexperte.
Als Beispiel führte er die Worte der russischen Fernsehmoderatorin Tina Kandelaki darüber an, dass sie in Kasachstan „langsam, aber sicher fortfahren, die russische Sprache auf der staatlichen Ebene zu verdrängen“. Diese Erklärung gab sie am 16. Januar 2024 und am 18. Januar 2024 machte der Präsident der Republik Kasachstan einen offiziellen Besuch in Italien. „Das kann ein Zufall sein“, schließt Orisbaı nicht aus. „Aber sehr wahrscheinlich ist, dass das eine Propaganda-Methode war, mit der der Kreml seine Abneigung ausdrückte, dass Kasachstan mit dem Westen zusammenarbeitet.“
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Duman Smakov, Chefredakteur der kasachischsprachigen Version von Factcheck.kz, warnt davor, dass Kreml-Propaganda schnell Massenunruhen in der Bevölkerung provozieren und separatistische und extremistische Stimmungen schüren könnte, die die Stabilität Kasachstans bedrohen. Ähnliche Methoden wurden in der Ukraine und in Moldau angewandt. Seiner Meinung nach sollte russische Propaganda als grundlegende Informationsbedrohung betrachtet werden.
„Russische Propaganda zielt darauf ab, Spaltung in der kasachstanischen Gesellschaft zu schaffen, während sie Aufmerksamkeit auf die Nutzung der russischen Sprache betont und Zweifel in den Prozess der Dekolonialisierung aufrechthält. Das kann zu einem Wachstum des Einflusses der Propaganda und der kremlfreundlichen Stimmung in der Bevölkerung führen“, fügt Joldas Orisbaı hinzu.
Şalkar Nurseit stimmt zu, dass Propaganda darauf abzielt, die Gesellschaft zu polarisieren: „Ich will anmerken, dass Polarisierung ein integraler Teil der Entwicklung der heutigen Gesellschaft ist. Nichtsdestotrotz wird Propaganda diesen Prozess verstärken und ein Hindernis für die sozio-politische Stabilität Kasachstans werden.“
Eine weitere Bedrohung, über die Şalkar Nurseit spricht, ist die Stigmatisierung der Frage der Menschenrechte und die Ideen des Liberalismus in Kasachstan. „Russische Propaganda hat in diesem Fall auch Einfluss, weil viele kasachischsprachige Menschen russische Propagandaideen in die kasachische Sprache übertragen. Viele Kasachischsprachige, die bilingual sind (und auch die russische Sprache können – Red.), werden Opfer dieser Propaganda, und tragen zu Stigmatisierung des Liberalismus und der Menschenrechte bei“, bedauert Nurseit.
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Der Experte gibt an, dass Kreml-Propaganda langfristig Einfluss auf die Selbstbestimmung der Bevölkerung Kasachstans nehmen kann. „In den strategischen Dokumenten des Kremls wird die russische Welt neuerdings als Zivilisation definiert, was den Einsatz der russischen Sprache und Kultur als politisches Instrument im postsowjetischen Raum impliziert. Dies wird sich direkt auf unser Land auswirken und sich negativ auf die Stärkung des Selbstbewusstseins der Kasachstaner auswirken“, ist sich der Politologe sicher. Seiner Meinung nach bedeutet dies auch, dass die russische Propaganda die Etablierung der kasachischen Sprache als Staatssprache und den Übergang des kasachischen Alphabets vom kyrillischen zum lateinischen Alphabet weiter entgegenstehen wird. „Das bedeutet, es wird nicht leicht, einen einheitlichen Informations- und Ideologieraum auf Grundlage einer kasachischen Staatssprache zu schaffen“, sagt Nurseit.
Wie kann die Kreml-Propaganda bekämpft werden?
Joldas Orisbaı befürchtet, dass die Rhetorik des Kremls schon in naher Zukunft direkt auf der kasachischen Sprache verbreitet werden könnte. Duman Smakov warnt davor, dass dies Generationen genauso stark beeinflussen werde wie die sowjetische Propaganda und davor die Propaganda des Russischen Reiches. Deswegen ist es laut Duman Smakov im Kampf gegen Propaganda wichtig, konkrete Maßnahmen zum Verbot von Kriegspropaganda anzuwenden, die formell auch durch die Verfassung verboten sind.
„Unabhängige Medien müssen Prebunking betreiben, das heißt präventiv Propagandanarrative Russlands dekonstruieren. Es ist nötig, die Qualität kasachischsprachiger Informationen zu steigern, und auch das kasachischsprachige Publikum zu vergrößern. Es ist nötig, nicht nur leichte, humorvolle Inhalte anzustoßen, sondern auch politische“, schlägt Smakov vor.
Joldas Orisbaı betont, dass die Fähigkeit kasachischsprachiger Journalist:innen zur Überprüfung von Fakten verbessert werden müsse. „Auf dem Markt Kasachstans gibt es sehr wenige Ressourcen für die Überprüfung von Fakten. Wenn jede Redaktion unabhängige Spezialisten aufstellen könnte, die sich mit Faktenchecks befassen würden, würde der Medienmarkt profitieren“, sagt Joldas Orisbaı. Aber nach Ansicht des Experten ist der Raum für Faktenchecks für viele Journalist:innen eingeschränkt, weil sie außer Russisch als Zweitsprache keine anderen Sprachen beherrschen.
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Jalkar Nurseit schätzt, dass für die Lösung des Problems ein komplexer Ansatz nötig sei. „An erster Stelle steht die Liberalisierung des politischen Systems, die politischen Wettbewerb und Meinungsfreiheit gewährt. Ohne diese ist es nicht möglich, Propaganda zu bekämpfen – weder in kasachischsprachigen noch in russischsprachigen Medien. Zweitens muss besonders einer Erhöhung der Qualifizierung von Journalisten Aufmerksamkeit geschenkt und ein Akzent auf die Einhaltung journalistischer Standards gesetzt werden. Da hinken wir hinterher“, merkt Nurseit an.
Seiner Meinung nach brauchen Medien auch stabile Finanzierungsmodelle. „Jetzt hängen viele Medien von staatlichen Informationsaufträgen ab, das beeinflusst stark die Qualität ihrer Beiträge“, bedauert der Politologe. „Diese Medien dienen als Propaganda-Sprachrohr des autoritären Regimes.“
Weitere Komponenten, an denen gearbeitet werden müsse, sein die Steigerung der Medienkompetenz und die Entwicklung kritischen Denkens beim kasachstanischen Publikum.
Moldir Utegenova und Duman Terlikbaev für CABAR
Aus dem Russischen von der Novastan-Redaktion
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