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Verschwiegene Katastrophe: Der Tengiz-Zwischenfall von 1985

Vor 30 Jahren ereignete sich in der Region des Kaspischen Meeres, am Bohrloch Nr. 37 des Tengiz-Feldes, eine beispiellose menschengemachte Katastrophe, über die in jenen Jahren nicht berichtet wurde. Der westliche Teil Kasachstans hätte vom Erdboden getilgt werden können. Die Tengiz-Katastrophe, die nur ein Jahr später heldenhaft behoben werden konnte, wird gar mit der Tschernobyl-Tragödie von 1986 verglichen. Folgender Artikel erschien im russischen Original bei Caravan, wir übersetzen ihn mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.

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Tengiz Kasachstan Katastrophe
Nach Jahren des Schweigens sprechen die damaligen Einsatzkräfte endlich über ihre Intervention 1985 in Tengiz.

Vor 30 Jahren ereignete sich in der Region des Kaspischen Meeres, am Bohrloch Nr. 37 des Tengiz-Feldes, eine beispiellose menschengemachte Katastrophe, über die in jenen Jahren nicht berichtet wurde. Der westliche Teil Kasachstans hätte vom Erdboden getilgt werden können. Die Tengiz-Katastrophe, die nur ein Jahr später heldenhaft behoben werden konnte, wird gar mit der Tschernobyl-Tragödie von 1986 verglichen. Folgender Artikel erschien im russischen Original bei Caravan, wir übersetzen ihn mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.

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Während der Sowjetzeit wurde von Katastrophen solchen Ausmaßes nicht gesprochen. Dieser Devise folgten alle relevanten Organe der UdSSR bis hin zum Staatssicherheitskomitee (KGB) und dem Zentralkomitee der Kommunistischen Partei. Erst Jahrzehnte später erzählen uns jene, die an der Liquidation der bis dahin größten Gas- und Ölfontäne in der Geschichte der Welt teilnahmen, mit welchen unglaublichen Schwierigkeiten sie damals konfrontiert waren. Es war unmöglich, sich der riesigen Feuerfackel auch nur zu nähern und sie zu dämpfen – der Boden brannte buchstäblich unter den Füßen, die Overalls der Feuerwehrleute und die Kleidung der Feuerwehr entzündeten sich. Es entstand ein enormer Schaden für die Umwelt. Abertausende Vögel flogen in das helle Feuer und verbrannten. Riesige Mengen Öl, Gas und Schwefelwasserstoff gelangten in die Umwelt und vergifteten alle Lebewesen in der Umgebung.

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Tengiz im Juni 1985.  Ölarbeiter, Geophysiker und Bohrtechniker aus der ganzen Sowjetunion arbeiten an einem Programm, um möglichst schnell tiefe Salzbohrungen zu erproben und mehr Öl zu gewinnen. Die Probebohrung Nr. 37  wurde angelegt, um die geologische Struktur zu klären und die Ölreserven abzuschätzen. Die Spezialisten arbeiteten bei ungewöhnlich hohem Formationsdruck und hohem Schwefelwasserstoffgehalt.

„Am 23. Juni 1985 wurden die Bohrungen im Normalbetrieb durchgeführt, es gab keine Abweichungen von den technologischen Vorschriften“, sagt Wjatscheslaw Ljubin, in jenen Jahren Leiter der Feuerwehr der Region Gurjew (heute Atyraý). Er war für das Feuerlöschhauptquartier des Bohrlochs Nr. 37-Tengiz verantwortlich. „Aber um 14 Uhr und 20 Minuten, als bei den Bohrungen der letzten zwei Meter in einer Tiefe von 4.467 Metern Schwierigkeiten auftraten, kam es zur Absorption von Bohrschlamm.“

So etwas gab es auf der Welt bisher noch nicht

Die Versuche, das Problem zu lösen, waren erfolglos. Um 15.30 Uhr entzündete sich eine unkontrollierte, über zweihundert Meter hohe Öl- und Gasfontäne. Nach weiteren 12 Minuten verformten sich durch die hohe Temperatur die Metallstrukturen der Bohranlage und sie stürzte ein.

„Es war sogar in beträchtlicher Entfernung von der brennenden Ölfackel heiß, und alles brannte auf 450-500 Quadratmetern.“ fährt Wjatscheslaw Ljubin fort. Die Verantwortlichen standen vor etwas, mit dem sie noch nicht umzugehen wussten. Zu dieser Zeit gab es keine Literatur über Methoden und Taktiken zum Löschen von Öl-Gas-Fontänen mit so komplexen Eigenschaften wie einem hohem Schwefelwasserstoffgehalt und hohem Druck in der Quelle.

In diesen Jahren gab es keine spezielle Ausrüstung für die Brandbekämpfung dieser Art. Es wurde klar, dass die Arbeit an dem Bohrloch sehr schwierig und zeitaufwendig sein würde. Für die Entwicklung von Maßnahmen zur Beseitigung der riesigen Feuerfontäne wurde ein Stab geschaffen, dem Vertreter verschiedener Dienste unter der Leitung des Ersten Stellvertretenden Ministers für Ölindustrie der UdSSR Walerij Iserewskij angehörten – nicht nur ein Beamter, sondern ein berühmter Wissenschaftler, einer der weltweit größten Spezialisten für die Beseitigung der mächtigsten Öl- und Gasfontänen.

Anfangs mussten die Feuerwehrleute die Arbeit jener Kräfte sicherstellen, die die Fontäne bekämpften, um dann den Zustand des Bohrlochkopfes zu untersuchen und ihn von Metallstrukturen zu reinigen.

„Da der Brand am Bohrloch eine sprühende Form angenommen hatte, konnte die Arbeit der Anti-Fontäne-Einheiten nur erfolgreich sein, wenn die glühenden Metallkonstruktionen gekühlt würden. Eine riesige Menge Wasser war erforderlich, und in der Nähe des Bohrlochs gab es keines“, erklärt Wjatscheslaw Ljubin.

Feuerwehrleute fielen in brennende Gruben

Es musste ein 13 Kilometer langer Wasserweg und künstliche Reservoirs gebaut werden. Diejenigen für die Beseitigung der Fontäne verantwortlichen Kräfte arbeiteten unter dem Schutz von Feuerwehrleuten, die ihre Schächte zur Wasserversorgung nutzten, um den Bereich um das Bohrloch und die Stahlkonstruktion zu kühlen. Es kostete große Anstrengungen, Mut und sogar Heldentum. Die Lufttemperatur erreichte 100 Grad! Feuerwehrschläuche mit Wasser entzündeten sich und brannten wie Kerzen.

Menschen fielen in die mit kochendem Wasser gefüllten Löcher auf dem Boden und erlitten schwere Verbrennungen. Aufgrund der hohen Temperatur und des hohen Anteils an Mineralsalzen (der Bohrlochkopf wurde mit Salzwasser gekühlt) kristallisierte das Wasser schnell aus und verstopfte die Löcher in den Schächten. Darüber hinaus spürte die Menschen die Auswirkungen der Schwefelsäure, die durch die Wechselwirkung von Wasser mit Verbrennungsprodukten entstand. Es wurde beschlossen, eine weitere Gruppe von Menschen an die Mündung des brennenden Lochs zu leiten, um die Wasserversorgung sicherzustellen. Trotz der Sicherheitsmaßnahmen starb am 29. Oktober 1985 Wolodymyr Bondarenko, der stellvertretende Kommandeur der Abteilung für Anti-Fontänen-Einheiten Poltawa des Ministeriums für Geologie der Ukrainischen SSR.

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Im Nachhinein wurde eine Straße in der Schichtarbeiter-Siedlung von Tengiz nach ihm benannt und ein Denkmal wurde in der Nähe von Bohrloch Nr. 37 errichtet“, erinnert sich Wjatscheslaw Ljubin.

Die imposante Fackel erleuchtete weiterhin Tag und Nacht die kasachische Steppe. Die Bemühungen der Feuerschutzdienste und Feuerwehrleute, die aus der ganzen Sowjetunion kamen, brachten keine Ergebnisse. Es war klar, dass es aufgrund der hohen Konzentration toxischer Bestandteile und der riesigen Ölreserven schwierig war, den Brand mit traditionellen Methoden und technischen Mitteln zu beseitigen.

Feurige Hölle

Zum ersten Mal wurde unter den Bedingungen einer Wärmestrahlung mit hohem Gehalt an hochgiftigen Gasen im Öl ein System der Fernsteuerung von Absperrventilen zur Abdichtung der Mündung der brennenden Fontäne entwickelt. Die strategischen Hauptziele wurden festgelegt – das Erproben von zwei technologischen Schrägbohrungen mit Zugang zum Notfallbohrloch in einer Tiefe von 3.500 Metern mit anschließender Anwendung von Tiefenexplosionen. Eine Rückstoßvorrichtung wurde aus Deutschland und eine Druckrohr-Starteinheit aus Holland geliefert. An der Liquidation des Bohrlochs nahmen Mitarbeiter der militarisierten Einheiten des Ministeriums für Erdölindustrie und des Ministeriums für Geologie der UdSSR, der Feuerlöscheinheiten aus den Gebieten Gurjew, Mangyschlak, Aktjubinsk (heute Aqtóbe) und anderen Regionen, des Werks „Sojusneftemaschremont“ sowie ausländische Spezialisten teil.

Unter den Bedingungen des aus dem Bohrloch brennenden Strahls sei es notwendig gewesen, einen zuverlässigen Quellendeckel zu schaffen und darauf die Absperrventile für die nachfolgende Beseitigung des Bohrloches zu platzieren, erklärt Klyshbek Kuandykov, 1985 – Zugführer der vorderkaspischen paramilitärischen Abteilung der Anti-Fontänen-Einheit. „Die Geräte und Metallstrukturen wurden von Traktoren und Bulldozern unter den schweren Bedingungen einer unvollständigen Ölverbrennung und hoher Temperaturen besprüht“, erläutert er weiter.

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Die Mitglieder der Anti-Fontänen-Einheit gingen in Spezialanzügen und Gasmasken zum feuerspeienden Bohrschacht. In normaler Kleidung kamen sie einfach nicht näher als 150 Meter an den Brunnen heran. Während der Liquidierung der Gas- und Ölquelle in Tengiz wurde ein neues, wärmereflektierendes Material – Asbestosofinylgewebe – getestet. Segmente des Materials wurden an den Stellen möglicher Verbrennungen in der damals vorhandenen Arbeitskleidung der Feuerwehrleute genäht und für die Dauer von drei Minuten in einer Entfernung von 4 Metern zum Bohrlochs überprüft. Das Risiko war zweifellos groß, aber alles lief gut. In der Folge wurden aus diesem Stoff zwei Arten von wärmereflektierenden Anzügen hergestellt – leichte Anzüge, in denen man bis zu 15 Minuten bei hohen Temperaturen arbeiten konnte, und schwere Anzüge, die an diejenigen von Astronauten erinnern.

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Wie kam ein T-54-Panzer zum Einsatz?

„Die Militärausrüstung – der T-54-Panzer – trug dazu bei, die Haufen an Metallstrukturen zu zerlegen. Wenn sich die Windrichtung änderte, änderte sich die Situation am Bohrloch, die Versetzung von Menschen und Ausrüstung begann sofort“, fährt Kuandykov fort. Das Verfahren, den Metallhaufen abzuschießen, habe dazu beigetragen, die Öffnung des Bohrloches teilweise freizulegen. In der Quelle befand sich eine Kolonne von Bohrgestängen, fünf Minuten nach den Schüssen begannen sie sich zu drehen und langsam aufzusteigen. Weiter wurden in 15 bis 17 Minuten 3840 Meter Bohrgestänge mit einem Gesamtgewicht von 152 Tonnen in die Luft geworfen.

Weder Bagger noch mächtige Bulldozer konnten die geschmolzene Erde und das Stahlbetonfundament an der Mündung aufnehmen. Sprengarbeiten waren erforderlich – nichts dergleichen wurde unter solchen Bedingungen auf der Welt bisher unternommen. Aber es gab keinen anderen Weg. Vom 1. bis 24. Oktober gab es 12 Explosionen. Die Sprengladungen zertrümmerten den Betonboden der Bohranlage, bildeten Entwässerungstrichter und Gräben. Um nach der Räumung des Geländes  die Zufahrten zur Bohrloch abzukühlen, wurden diese mit 160 Liter Wasser pro Sekunde begossen.

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„Unter dem Schutz dieses Wasserstrahls haben wir tonnenschwere Absperrvorrichtungen vorbereitet. Zunächst scheiterte das Vorhaben, das Bohrloch abzudichten.“ sagt Kuandykov. Erst beim dritten Versuch – am 31. Dezember 1985 um 18.00 Uhr – setzte sich der „Verschluss“ an die Mündung und um 23.30 Uhr konnte er sicher fixiert werden. Zum ersten Mal überhaupt wurde bei der Liquidation von Ölquellen mit einem hohen Gehalt an Schwefelwasserstoff ein System von Hydrozylindern entwickelt und angewendet. Mit ihrer Hilfe wurden die Antivibrationsgeräte auf den brennenden Brunnen gerichtet. Infolgedessen gingen die Luft- und Bodentemperaturen stark zurück.

Im weiteren Verlauf begannen sie mit den Vorbereitungen für die endgültige Zuschüttung und Zementierung des Bohrlochs. Die vollständige Beseitigung der Fontäne konnte jedoch erst 400 Tage nach dem Unfall – am 27. Juli 1986 – abgeschlossen werden.

Svetlana Novak für Caravan

Aus dem Russischen von Hannah Riedler

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