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Kasachstan : Was ist die Generation „Zyng-Zyng“? (Teil 2/2)

Die „Generation Z“, oder „digital natives“, bezeichnet in der Generationentheorie die Menschen, die ab Mitte der 1990er geboren wurden. Es handelt sich um die Generation, die ganz mit digitalen Medien groß geworden ist. Doch was hat es mit dieser Jungend in Kasachstan auf sich? Der Politikwissenschaftler Danijar Kosnasarow beschreibt im Interview mit „Expert Kazakhstan“ die sogenannte Generation „Zyng-Zyng“, benannt nach einem sehr populären Musikvideo.

Zyng Zyng Kasachstan Musik Social Media
Screenshot aus dem Video "Zyng-Zyng" vom Youtuber-Kollektiv Jokeasses

Die „Generation Z“, oder „digital natives“, bezeichnet in der Generationentheorie die Menschen, die ab Mitte der 1990er geboren wurden. Es handelt sich um die Generation, die ganz mit digitalen Medien groß geworden ist. Doch was hat es mit dieser Jungend in Kasachstan auf sich? Der Politikwissenschaftler Danijar Kosnasarow beschreibt im Interview mit „Expert Kazakhstan“ die sogenannte Generation „Zyng-Zyng“, benannt nach einem sehr populären Musikvideo.

Im ersten Teil des Interviews drehte sich das Gespräch um die Anforderungen, die kasachstanische Jugendliche heute an die Bildung stellen und ihren – recht konservativ erscheinenden – Lebensvorstellungen. Im Anschluss geht es um den Kontext, der die Jugend geprägt hat und was für perspektiven für ihr politisches Engagament bestehen.

Danijar Kosnasarow
Danijar Kosnasarow

Expert Kazakhstan: Laut der Generationentheorie sind Generationen durch Erziehung und Schlüsselereignisse geprägt. Verschiedene Generationen unterscheiden sich also durch ihren historischen Kontext. Für die Amerikanische Generation Z waren die Wirtschaftskrise, der Klimawandel und der Kampf gegen den Terrorismus Schlüsselereignisse. Was hat die kasachstanische Generation Z geprägt und was bedeutet das für ihr Wertesystem?

Danijar Kosnasarow: Die Millenials in den Vereinigten Staaten wurden vor allem durch die Traumata nach dem 11. September geprägt. Für die nächste Generation könnte man Youtube, soziale Medien und die Wahl von Trump nennen.

Die kasachstanische Generation Z wurde eben durch die Abwesenheit von Schlüsselereignissen geprägt.

Ist das ebendiese Stabilität, die unsere Behörden so gerne betonen?

Ja, Stabilität wirkt sich auch auf die Werte aus. Hier stellen wir unsere Arbeit der westlichen Forschung gegenüber. Dadurch, dass unser Staatschef (der Präsident Nursultan Nasarbajew, Anm. d. Ü.) mehr als 25 Jahre an der Macht ist, versteht die junge Generation, dass sie kaum Einfluss auf das Geschehen im Land hat. Sie stehen der aktuellen Lage eher apatisch gegenüber. Natürlich spielen die sozialen Netzwerke und Medien auch eine wichtige Rolle – da spürt man durchaus auch die Globalisierung.

Die letzte Weltwirtschaftskrise trat ein, als die ältesten Vertreter der Generation Z sieben Jahre alt waren. Sie haben womöglich gesehen, wie ihre Eltern oder Verwandten ihre Hypothek nicht bezahlen konnten. Hatte die Krise Auswirkungen auf die Jugend?

Wir Millenials sind im Wohlstand aufgewachsen. Wir haben die 90er nur am Rande erlebt und erinnern uns vor allem an die frühen 2000er, als das Leben in Kasachstan sich mehr oder weniger entwickelte. Warum haben die Millenials, einschließlich der kasachstanischen, idealistische Werte? Wir haben in unseren prägenden Jahren wirtschaftlichen Aufschwung erlebt. Das hat stark auf uns eingewirkt: Es ist uns leicht, die Welt der Unternehmen verlassen, um unser eigenes Business aufzubauen oder unsere Träume zu verwirklichen.

Nursultan Nasarbajew
Nursultan Nasarbajew (hier 2011) ist der erste und bisher einzige Präsident Kasachstans

Die Generation Z wächst in Zeiten wirtschaftlicher Krise heran. Eben deshalb bietet die Familie ihnen einen wichtigen Zufluchtsort, etwas unerschütterliches in Zeiten ständigen Wandels.

Sie haben eine sehr pragmatische Einstellung zu Arbeit. Als was sie arbeiten ist ihnen eigentlich nicht wichtig (wobei natürlich jeder ein hohes Gehalt haben will). Viel wichtiger ist, dass die Arbeit stabil ist. Viele derer, die nach 2000 geboren sind, haben mitbekommen, wie ihre Eltern ihre Arbeit verloren haben und so teils ihre Hypothek nicht auszahlen konnten. Das war für sie ein Familiendrama.

Der Warenkorb ist heute geschrumpft. Die Leute geben für Essen mehr aus als für Erholung, Reisen und Freizeit. Die Jugendlichen sagen zwar nichts dazu, aber sie merken es. Und ihre Gedanken darüber machen sie pragmatischer, einschließlich was die Hochschulbildung angeht. Studieren ist demnach wichtig, um eine stabile Arbeit zu finden.

Also Hochschulbildung nicht um gebildet zu werden, sondern als ein einfaches Instrument? Wobei, das ist auch charakteristisch für die kasachstanischen Millenials.

Für Millenials ist es wichtig, ihre Kompetenzen ständig zu entwickeln, das ist ein Wert an sich. Die Generation Z ist auch da pragmatischer: Sie verstehen, dass sie ein Diplom brauchen. Sie wollen von der Hochschulbildung nur Kompetenzen und Wissen, die ihnen bei der Arbeit von Nutzen sein können. Alles andere finden sie sowieso im Internet.

Like und gehe auf die Demo

Sie schreiben, dass unsere jungen Leute besonders individualistisch sind. Dabei vertraut 14 Prozent auf niemanden, und wenn sie jemandem Vertrauen, dann meistens den Eltern (75 Prozent). Nur sieben Prozent vertrauen ihren Freunden. Machen der Individualismus und das mangelnde Vertrauen sie zu passiven Bürgern?

Ich bin mir noch nicht ganz sicher, aber ich denke, dass ihre politische Teilnahme sich in Zukunft über Youtube durch das Blogger-Wesen oder über Memes in sozialen Medien ausdrücken wird. Politische Aktivität wird sich nicht über traditionelle Kanäle wie Demonstrationen ausdrücken, sondern läuft bereits jetzt schon über neue Kanäle. Schugyla Kilybajewa schreibt gerade ihre Doktorarbeit über die politische Teilnahme der Jugend. Sie empfiehlt es, unser Verständnis von „politische Teilnahme“ zu erweitern und es mehr an die Begebenheiten der heutigen Jugend anzupassen.

Im Grunde geht es dabei nicht um eine reale gesellschaftliche Stellungnahme, sondern um Nachahmung.

Nein, warum denn? Die Regierung wird sich so oder so daran anpassen. Im Moment wird das Geschehen auf Facebook stark verfolgt. Für die Regierung ist es wichtig zu verstehen, wie bestimmte Initiativen in der Bevölkerung ankommen. Sollte die Politik  in zukunft mehr Konkurrenz beinhalten, mit aktiven Parteien und interessanten Personen, so müssen sie so oder so die Rahmen der klassischen politischen Instrumente verlassen, um für die Jugend attraktiv zu sein.

Viele Länder entwickeln sich dorthin: Trump hat unter anderem dank der sozialen Medien gewonnen. Will ein Politiker gefragt sein, so muss er den aktuellen Trends folgen und verstehen, welche Messages er über welche Kanäle anbieten kann. Es gibt westliche Ländern, die Online-Referenda  durchführen.

Man muss nicht zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort sein, um eine Willenserklärung abzugeben. Ich denke, die Generation Z ist bereit, mit ihren Smartphones und allen möglichen Apps an politischen Prozessen teilzunehmen. Unsere Regierung kümmert sich gerade um Digitalisierung, warum sollte man die Politik nicht auch digitalisieren?

Die Jungen modernisieren

Ausländische Autoren schreiben, die Teilhabe an globalen Netzwerken mache die Generation Z zu einer internationalen Generation, die sich vom Patriotismus eher distanziert und nationalen Traditionen skeptisch gegenübersteht. Kann man im Falle der kasachstanischen Generation Z  sagen, dass sie die „Modernisierung der Gemüter“ (ein vom kasachstanischen Präsidenten im Dezember 2017 angebotenes politisches Programm, Anm. d. Ü.) mit ihrem Akzent auf Tradition und Patriotismus  nicht interessiert?

Nimmt man die neuen Kommunikationskanäle, so wird das Nationale schon mehr Resonanz erfahren. Die heutige Jugend achtet mehr auf die kasachische Sprache und soziologische Studien beobachten eine traditionalistische Tendenz in der Gesellschaft.

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Es gibt in der Jugend eine große Nachfrage nach kasachischem Inhalt, der aber über internationale Kanäle geteilt wird. Warum sind die Musiker Moldanazar und Ninety One so beliebt? Sie spiegeln die Situation unserer Jugend: Sie versteht und verinnerlicht globale Tendenzen, zum Beispiel in der Musik, hört diese dann aber lieber in ihrer Muttersprache. Der Erfolg von Ninety One erklärt sich nicht nur durch die Anwendung des K-Pop Stils und seinen Konsumkult, viel mehr geht es um kasachischen Inhalt, das ist das wichtigste Element.

Musikband Ninety One Kasachstan
Die kasachstanische „Q-Pop Band“ Ninety One

Wenn der Staat die jungen Herzen erreichen will, muss es über die neuen Kommunikationskanäle gehen. Dabei ist es wichtig, dass er nicht pathetisch klingt, wie eine Neuauflage der sowjetischen Pioniere aussieht. Die Jugend ist bereit, patriotisch zu sein und eine gewisses Kasachisch-sein zu symbolisieren. Das entspricht auch der Message des Staates über die „Modernisierung der Gemüter“. Dennoch sehe ich den Staat und die Jugend zurzeit auf verschiedenen Planeten.

Das staatliche Programm „Ruchani Dschanggyru“ zeigt die Zukunft Kasachstans als wettbewerbsfähig, pragmatisch, mit einem Erhalt der nationalen Identität, mit Leuten die eine Entwicklung des Landes durch Evolution statt Revolution bevorzugen, mit einem offenen Geist und einem Wissenskult im Kopf. Kann man von der Generation Z erwarten, dass sie die erste kasachstanische Generation dieser Art wird?

Wir haben eine zweideutige Beziehung zur Jugend. Einerseits begegnen wir ihr mit Furcht, mit Bezug auf den Maidan und den arabischen Frühling, andererseits wollen wir, dass die jungen Leute nicht die Fehler ihrer Eltern wiederholen, ein besseres Leben als sie führen, ein neues Kasachstan bauen und sich ihrer Leidenschaft widmen. Die Regierung hat auch solch eine zweideutige Jugendpolitik: Einerseits setzt es Rahmen, andererseits bietet es der Jugend an, zur treibenden Kraft für den Fortschritt zu werden. Aber Fortschritt geschieht durch Fantasie und Utopien. Die ältere Generation fordert frische Ideen von der neuen. Die Jugend antwortet, dass eben die ältere Generation sie daran hindert, diese Ideen zu realisieren, aus Furcht, ihren Status, ihr Geld und ihre Anerkennung zu verlieren.

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Wenn die Behörden von Kult des Wissens sprechen, meinen sie gefiltertes Wissen. Aber Wissenskult bedeutet auch kritisches Denken und eine kritisch denkende Jugend kann ihre politisches Uneinigkeit aktiver ausdrücken. Die Behörden wollen eine gebildete und fortschrittliche Jugend, die sich mit neuen technologien auskennt, die sich der Macht aber nicht gegenüberstellt.

Sechs Säulen der Modernisierung

Ist es für die Vertreter der Generation Z wichtig, wettbewerbsfähig zu sein?

In dem Sinne: wettbewerbsfähig sein, um eine stabile Arbeit zu haben. Das ist aber ein sehr enges, lokales Segment: Wenn aus hundert Bewerbungen meine ausgewählt wird, heisst das, dass ist wettbewerbsfähig bin. Im ganzen beunruhigt mich dieser Wunsch, einen lokalen Wettbewerb zu meistern. Die Jugend bezieht sich nicht auf globale Märkte, wie es ein Musk und Zuckerberg tun.

Im digitalen Zeitalter wird es wohl keine Probleme mit offenen Geistern geben?

Das ist nicht ganz so klar. Einerseits sind die jungen Leute offen für die ganze Welt, sie nutzen viel Inhalt aus dem Internet und schauen viele Videos auf YouTube. Andererseits sind sie intellektuell verschlossen. Sie lesen wenig gute Literatur. So bleiben sie womöglich provinziell, was ihre intellektuelle Entwicklung angeht. Dabei sind sie natürlich auf dem Laufenden, was weltweide Trends angeht. Zum Beispiel ist weltweit ein gesunder Lebensstil mit guter Ernährung unter der Jugend beliebt. Auch für die kasachstanische Generation Z steht die Gesundheit an erster Stelle. Es ist in Mode, auf sich zu achten und Sport zu treiben, um eine gute Figur und ein gutes Aussehen zu haben. Das hat auch mit Druck von Gleichaltrigen zu tun. Solchen Trends folgt auch unsere Jugend, aber ich sehe sie sich nicht in große wissenschaftliche Diskussionen verwickeln, eben über Fragen wie künstliche Intelligenz, Blockchain und Big Data.

Es birgt doch ein Problem für den Wissenskult, wenn die jungen Leute in der Hochschulbildung einen Weg sehen, Arbeit zu finden statt dadurch tatsächlich Gebildete Leute werden zu wollen.

Es gibt eine Nachfrage nach jedem beliebigen Wissen, solange Nutzen bringen kann. In einem Zeitalter, in dem jede Information nur einen Klick entfernt ist, ist Gelehrsamkeit kein Wert mehr. Die Jugend geht davon aus, dass dein Wissen nichts wert ist, wenn Du es nicht nutzen kannst. Heute muss alles anwendbar sein, und sie wollen die Ergebnisse ihrer Kompetenzen und Wissen sofort sehen.

Das heisst also zum Beispiel, dass sie keinen Dostojewskij lesen, weil ein solches Wissen sicht nicht zu Geld machen lässt?

Ja, aber wenn Dostojewskij dabei hilft, einen Business case zu lösen, dann lesen sie ihn auch. Das Problem liegt hier woanders: Sie tun sich schwer, Dostojewskij zu verstehen, da die Texte zu lang sind und der Kontext ein anderer. Man kann und muss Literatur ihnen anpassen.

Die Vertreter der Generation Z werden dieses Jahr 18 und somit wahlberechtigt. Bald ist Präsidentschaftswahl. Werden sie wählen gehen und welche politischen Themen werden für sie interessant sein?

Ich gehe davon aus, dass sie nicht wählen gehen, wenn ihre Eltern sie nicht dazu drängen. Wenn man aber die Nutzung von elektronischen Gadgets fördert, kann man durchaus mehr Leute an die Wahlurnen locken.

Was die politische Agenda angeht, so wird irgendeine Ideologie, ob Liberalismus, Konservatismus oder Sozialdemokratie unsere Jugend eher nicht interessieren. Wir leben so oder so in einem postmodernen Zeitalter, in dem es schon keine Unterscheigung, keine Lager und Überzeugungen mehr gibt. Und ich würde nicht sagen, dass eine Partei, die nur konservative Werte ausdrückt, für die Generation Z interessant wäre. Hier haben eher die zentristischen Parteien eine Chance.

Also so eine Art „Nur-Otan“ (die Präsidentschaftspartei in Kasachstan, Anm. d. Ü.).

Genau. Die Generation Z ist mit unserem Staat ganz zufrieden. Wie ich eben sagte, sind sie ihn einfach gewohnt. Sie verstehen, dass die Welt nicht ideal ist und der Staat auch nicht. Sie werden ihre Forderungen also eher enger formulieren, über Themen der Ökologie, der Bildungsreform, in der Arbeit. Von ihnen ist zumindest nach aktuellem Stand keine Forderung nach einem Regimewechsel zu erwarten, oder nach dem Rücktritt von gewissen Abgeordneten oder Ministern. Die Jugend ist im klassischen Sinne apolitisch. Eine breite politische Agenda ist für sie zurzeit nicht interessant. Natürlich kann man sie für ehrenamtliche Projekte gewinnen. Diese müssen aber einem Hype entsprechen oder sich viral verbreiten.

Auf dem Plan habe ich schon viel mehr Optimismus im Bezug auf die Millenials,  wenn man ihre Qualitäten und die Werte, die sie respektieren, in Betracht zieht. Und das nicht, weil ich selbst dieser Generation angehöre. In jedem Fall schmort jeder in seinem eigenen Saft, aber wenn Du auf Gleichaltrige schaust, so merkst Du, dass viele von ihnen sich an flüchtigen Werten orientieren und irgendeinen Beitrag zur Entwicklung Kasachstans leisten wollen.

Ja, die Millenials werden oft als große Idealisten und Optimisten kritisiert.

Meiner bescheidenen Meinung nach wird ein wichtiger Teil der Entwicklung des Landes eben von den Millenials abhängen. Das Fundament, das die Millenials aufbauen, wird zur Grundlage für die Generation Z.

Mit Danijar Kosnasarow sprach Askar Maschajew
Expert Kazakhstan

In der gekürzter Fassung aus dem Russischen von Florian Coppenrath

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