Im März 1927 lösten die Mitglieder der Uhlfeldkolonie ihre Kommune in Kasachstan auf. Viele kehrten nach Österreich zurück, andere blieben mit ihren Familien in der Sowjetunion. Einer von ihnen war Johann Haunholter. Doch die Schrecken der Dreißigerjahre überstand er nicht. Zweiter Teil einer Geschichte von Lana Berndl.
Haunholter war 1926 in die die Kasachische Autonome Sowjetrepublik gekommen um in der Nähe von Ksyl-Orda, der damaligen Hauptstadt, beim Aufbau einer landwirtschaftlichen Kommune zu helfen. Es war nicht sein erster Aufenthalt im Osten. Schon 1914 war der 1889 geborene Tiroler als Soldat der k.u.k. Armee in russische Kriegsgefangenschaft geraten. Zusammen mit einem Freund war Haunholter geflüchtet. Monatelang hatten sie sich in russischen Dörfer als Restauratoren von Ikonen und Bilderrahmen durchgeschlagen.
Nach der Rückkehr in seinen Geburtsort Kirchbichl nahm er seine Arbeit als Kunsttischler wieder auf. Doch der Krieg hatte furchtbare Spuren in der Seele des jungen Österreichers hinterlassen. Wenn seine Mutter ihn fragte, warum er nicht in die Kirche ging, antwortete er: „Wer einige Zeit im Großen Krieg war, kann nicht an Gott glauben und an seine Barmherzigkeit auch nicht.“ Wenn die Mutter darauf bestand sagte er: „Wenn du mich zwingst, werde ich mich ertränken! Dein Gott ist ungerecht, und ich glaube nicht an ihn!» Genauso dachte Haunholter über politische Parteien, er blieb sein lebenlang ohne Glauben und parteilos.
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Hoffnung auf ein gutes Leben in der Steppe
Im Jahr 1921 heiratete er in Kirchbichl die elf Jahre jüngere Theresia Kurz und zog in ihr Haus ein. 1922 kam Tochter Rosa zur Welt, 1923 ein zweites Mädchen, Erna, und 1924 Sohn Hermann. Theresa arbeitete als Tellerwäscherin in einem kleinen Restaurant. Sie hatte eine zwanzig Jahre ältere Schwester, zu der sie aber keinen Kontakt hatte.
Mitte der zwanziger Jahre warb Karl Uhl, der Obmann der „Republikanischen Vereinigung ehemaliger Kriegsteilnehmer und Kriegsopfer Österreichs“ (RVKKÖ) um Freiwillige für die Gründung einer Kommune in der Sowjetunion. Haunholter hatte anscheinend gute Erinnerungen an seine Zeit in Russland. Er berichtete seiner Frau Theresia von der grenzenlosen Steppe und dass sich die Menschen dort nur von natürlichen Lebensmitteln ernährten. „Dort gibt es so viel Weite, soviel Freiheit. Fahren wir weg! Niemand wird uns kränken, alle werden uns gastfreundlich behandeln.“ Er versprach seiner Frau ein gutes Leben.
Von Kamtschatka nach Semipalatinsk
Um die Teilnahme an der Kommune zu finanzieren, verkauften sie Theresias Haus. Im März 1926 reisten sie in die Sowjetunion. Als die Kommune nach nur einem Jahr zerfiel, hatten sie in Österreich nichts, zu dem sie hätten zurückkehren können und blieben in der Sowjetunion. Anfang der dreißiger Jahre reiste Haunholter mit seiner Familie nach Kamtschatka, einer Halbinsel im Pazifischen Ozean, im fernen Osten der Sowjetunion. Er baute dort erfolgreich ein Sägewerk und holzverarbeitende Werkstätten auf. Die Familie lebte unweit von Vulkanen, die mehrmals im Jahr ausbrachen. Erna und Rosa gingen erstmals in die Schule, Erna in die erste und Rosa in die zweite Klasse. Es gab nur ein Problem. Die Bewohner von Kamtschatka ernährten sich in dieser Zeit hauptsächlich von Konserven und Haunholter weigerte sich, diese zu essen. Er wollte natürliche Lebensmittel.
Mit seiner Familie kehrte er nach Alma-Ata, dem heutigen Almaty in Kasachstan, zurück. Hierhin waren bereits zehn bis fünfzehn andere Familien aus der gescheiterten Uhlfehldkolonie umgesiedelt. Schließlich verpflichtete er sich, in der Stadt Semipalatinsk, einem späteren Atomwaffentestgelände, ein Fleischkombinat aufzubauen.
Verräterischer Direktor
In den dreißiger Jahren wurde das politische Klima in der Sowjetunion zunehmend repressiv. Einige der ehemaligen Kolonisten kehrten doch noch nach Hause zurück. Die Techniker Alfred Höflinger und Hugo Blasch siedelten jedoch mit elf weiteren Österreichern, mit denen sie die Genossenschaft „Artel“ gegründet hatten, in die heute Xinjiang genannte Region im äußersten Westen der Republik China um. Sie hatten Haunholter in einem Brief aufgefordert, sich ihnen anzuschließen. Der Direktor des Kombinates in Semipalatinsk hatte den Brief jedoch versteckt, weil er den Fachmann nicht verlieren wollte. Erst zwei Monate später erfuhr Haunholter, dass seine Landsleute die UdSSR verlassen hatten.
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Er kündigte seinen Vertrag in Semipalatinsk, kehrte nach Alma-Ata zurück und zog dann weiter in eine Kolchose unweit der Stadt Aksay, wo er beim Aufbau eines Kraftwerks und des Erholungsheims für den Ministerrat der KasSsR mithalf. Haunholter besaß zwei riesige Schränke mit ausgezeichneten Tischlerinstrumenten, Fräs-, Schneid- und Drehwerkbänke, die zur damaligen Zeit in der Sowjetunion Seltenheit waren.
Nach Angaben seiner Nachkommen wurde Johann Haunholter von allen sehr respektiert und gemocht, besonders von Kindern. Er unterrichtete viele Menschen in Dreh- und Fräsarbeiten. Oft sammelte er Kinder um sich und schnitt hölzernen Spielzeuge, die er hinter seinem Rücken verbarg. Er dachte sich Rätsel aus und wer richtig riet, bekam das Spielzeug. Seine eigenen Kinder, waren deshalb gegenüber den Nachbarkindern öfters eifersüchtig.
Tod wegen mangelnder Versorgung
Das Kraftwerk, an dem Haunholter arbeitete, sollte bis zum 7. November 1935 (dem Jahrestag der Oktoberrevolution) in Betrieb genommen werden, um Elektrizität für Licht zu den Feierlichkeiten zu liefern und damit das Erholungsheim eröffnet werden konnte.
Zwei Wochen vor der Frist funktionierte jedoch die Turbine nicht. Haunholter stieg selbst in eiskaltes Wasser und stand dort mehrere Stunden. Es gelang schließlich, die Turbine zum Laufen zu bringen, aber Haunholter war so geschwächt, dass er in ein Krankenhaus gebracht wurde. Man diagnostizierte bei ihm eine akute Lungenentzündung. Als seine Frau Theresa ihn besuchte, war er bei vollem Bewusstsein und bat sie, ihm ein Fläschchen Wein zu bringen. Teresa ging ins Geschäft und als sie zurückkehrte, war er nicht mehr am Leben.
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Haunholter starb am 25. Oktober 1935. Er war 46. Zwei Österreicher, die in dem Krankenhaus arbeiteten erzählten Teresa später, dass er außer der Lungenentzündung auch Bauchtyphus hatte. Ihnen zufolge hätte man Haunholter retten können, wenn man ihn sofort adäquat behandelt hätte. Damals war die medizinische Versorgung in vielen Teilen der kasachischen ASSR jedoch katastrophal. In Semipalatinsk lebte Familie Haunholter in der Nähe eines Krankenhauses und sah dort täglich, wie an Typhus erkrankte Menschen zum Krankenhaus kamen, starben und mit Fuhrwerken zu den Friedhöfen transportiert wurden.
Weiterleben in der Sowjetunion
Theresa Haunholter war nun allein mit drei Kindern in dem fremden Land. Der Vorsitzende der Kolchose half der Familie indem er Haunholters Werk- und Werkbänke für die riesige Summe von 3000 Rubeln kaufte. Theresa schrieb nach Österreich an Johanns Mutter, um Dokumente zu erhalten, die das Dienstalter ihres Ehemannes bestätigten. Die Mutter antwortete: „Wie erstaunlich es ist, dass ihr noch am Leben seid, dass ihr in der Steppe nicht von den Wölfen zerfleischt wurdet. Wir dachten, ihr seid in den Tod gefahren!“
Nach dem Tod ihres Mannes arbeitete Theresa Haunholter in einer Fabrik in Aksay, absolvierte gleichzeitig einen Fernkurs als Deutschlehrerin und bekam schließlich eine Stelle als Deutschlehrerin in der Siedlung Kamenka in der Nähe von Alma-Ata. 1938, auf dem Höhepunkt des stalinistischen Terrors, wurde entschieden, Familie Haunholter aus der Sowjetunion auszuweisen, da sie keine sowjetischen Staatsangehörigen waren. Theresa Haunholter fuhr zusammen mit den Kindern nach Moskau und erreichte bei Staatspräsidenten Michail Kalinin tatsächlich, in der Sowjetunion bleiben zu dürfen.
Auch die nach China ausgewanderten Österreicher um Alfred Höflinger und Hugo Blasch waren vom Terror betroffen. Sie wurden 1939 von chinesischer Polizei verhaftet und im Sommer 1941 an den NKWD, den sowjetischen Geheimdienst, ausgeliefert. In Alma-Ata wurden sie wegen Spionage verurteilt und am 31. März 1942 erschossen. In Almaty lebt nach Angaben der Nachkommen von Johann Haunholter eine Tochter von Alfred Höflinger, die aber nicht zugeben möchte, dass ihr Vater kein Russe war.
Theresa Haunholter arbeitete nach einem Fernstudium am Moskauer Institut für Fremdsprachen weiter als Lehrerin. Bis zu ihrem Lebensende sprach sie mit einem starken österreichischen Akzent. Auch Johann Haunholter hatte nie richtig Russisch gelernt. Zum Beispiel nannte er Angeln einen „Fisch-Stock“. Er sagte: „Lass uns zum Fluss fahren, wo der Fisch- Stock ist!“
Hermann Haunholter wurde nach Abschluß seines Studiums Lehrer und später Direktor einer Schule. Er heiratete die Lehrerin Marija Akimova und nahm ihren Namen an. Es war nach dem Zweiten Weltkrieg mit einem deutschen Namen in der Sowjetunion nicht einfach. Erna Haunholter schloss 1959 ein Wirtschaftsstudium ab und arbeitete danach als Buchhalterin an der Staatlichen Universität von Alma-Ata.
Von Lana Berndl
Redaktionalle Mitarbeit: Lukas Dünser und Folke Eikmeier
Über die Autorin
Lana Berndl sucht seit einem Jahr in diversen Archiven in Kasachstan, Österreich und Russland nach Informationen über die Uhlfeld-Kolonie. Sie arbeitet momentan an einem Dokumentarfilmprojekt sowie einer Publikation zu diesem Thema, das völlig in Vergessenheit geraten ist und sehr wenig erforscht wurde. Sie hat inzwischen drei Nachkommen ausfinding gemacht. Im Sommer 2017 hat sie mit einem Nachkommen des Uhlfeldkolonisten Johann Haunholter in Tirol einen Recheredreh durchgeführt.
Lana Berndl ist auf der Suche nach weiteren Nachkommen der Uhlfeld-Kolonisten. Sie bittet jeden, der etwas über dieses Thema weiß, sie unter lana.berndl@gmail.com. zu kontaktieren.
Sie hat bereits einen Dokumentarfilm über österreichische Kriegsgefangene in Kasachstan fertig gestellt, der bei Filmfestivals und Präsentationen von Bangladesh bis in die Ukraine gezeigt wurde.
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