Ein Ort in Zentralasien – Mehr als 75 Prozent seiner ursprünglichen Fläche hat der Aralsee, oder besser die „Aralwüste“, auf der Grenze zwischen Kasachstan und Usbekistan innerhalb weniger Jahrzehnte eingebüßt. Damit zählt er zu den Opfern der größten ökologischen Katastrophe des 20. Jahrhunderts. Auf der kasachischen Seite, in Aralsk, scheint nach der Errichtung eines Staudamms wieder ein wenig Hoffnung aufzukeimen. Der Wasserpegel steigt und die Fischer füllen ihre Netze. Aber für wie lange?
Seit den Sechziger Jahren hat der Baumwollanbau in Zentralasien zugenommen. Die Flüsse Amudarja und Syrdarja, die beide in den Aralsee fließen, wurden zur Bewässerung der Plantagen umgeleitet. Der See verlor 75 Prozent seiner ursprünglichen Fläche und ganze 90 Prozent seines Wasservolumens. Gleichzeitig stieg Salzgehalt des Wassers immens und viele Arten verschwanden. Der salzhaltige See wich einer riesigen Salzwüste. Zur ökologischen Katastrophe hinzu kam noch die humanitäre: Ein Großteil der Bevölkerung lebte bis dato von der Arbeit am Hafen und der Fischerei. Die Dörfer starben und die wenigen verbliebenen Familien kehrten zur Kamelzucht zurück.
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Aralsk ist ein ehemaliger Handelshafen für Fisch und Baumwolle. Durch das Absinken des Wasserpegels seit den Sechziger Jahren liegt die Stadt heute 90 Kilometer vom Ufer des Sees entfernt. Schlendert man nun, 2019, durch die trockenen und staubigen Straßen von Aralsk, fällt es daher schwer, sich überhaupt noch irgendeine schillernde Vergangenheit des Ortes vorstellen zu können. Lediglich die Ruinen des Hafens und einige maritime Symbole erinnern an einen längst vergangenen Wohlstand.
Der Kokaral-Damm, ein winziger Hoffnungsschimmer
Der Bau des Kokaral-Damms im Jahr 2005 führte zu einem Anstieg des Wasserpegels, der „Kleine Aralsee“ war geboren. Die Einwohner von Aralsk schöpften wieder Hoffnung, auch wenn der See noch immer mehr als 30 Kilometer von den ehemaligen Anlegestellen entfernt liegt. Die Marktstände der einzigen Fischerei des Ortes sind wieder versorgt, während die Hauptstraßen endlich asphaltiert werden. Es weht ein Wind der Hoffnung durch die sandigen Straßen der Stadt.
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Um den Tourismus anzukurbeln, setzen die wenigen Fremdenführer vor Ort unter anderem auf die beeindruckenden Gerippe verrosteter Schiffe aus alten Tagen. Aber diese ausrangierten Schiffe sind dabei zu verschwinden. Die Einwohner der Region nehmen sie nach und nach auseinander, um das Metall wiederzuverwenden oder zu verkaufen. Zählte man zu Anfang des Jahrtausends noch um die 50 Schiffe, ist 2019 nur noch ein einziges übrig.
In Tastubek ist das Wasser zurück
Etwa 100 Kilometer von Aralsk, in Tastubek, nimmt das Leben wieder an Fahrt auf. Der Wiederanstieg des Wasserpegels brachte den Fischern die Arbeit zurück und hauchte dem Dorf neues Leben ein, welches seit mehreren Jahrzehnten eingeschlafen war. Die alten Schiffe sind wieder flott gemacht. Neue Häuser entstehen. Die Bevölkerungsentwicklung bemisst sich in der Anzahl der Häuser: Während 1960 noch 90 Häuser bewohnt waren, lebten 1996 nur noch ganze acht Familien im Ort. Jetzt, 2019, sind es 32
Um 18 Uhr sind die Bedingungen ideal: Die Sonne geht unter und kein Lüftchen regt sich. Die Fischer Nurljan und Arman holen ihre Netze ein, die sie am Nachmittag ausgeworfen haben und steigen in ihren alten UAZ, ein alter sowjetischer Geländewagen mit Allradantrieb, den hier jeder fährt. Durch den Anstieg des Wasserpegels liegt der See gerade mal noch zehn Minuten vom Dorf entfernt. Die beiden springen ausgestattet mit drei Netzen und einem GPS-Gerät, das sie nutzen, um die Netze am nächsten Morgen wieder zu finden, in das alte Ruderboot ihres Vaters. Mit einer Mischung aus Optimismus und Konzentration machen sich die Männer daran, einige Exemplare der 15 wiederangesiedelten Fischarten im Aralsee zu fangen.
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Fest entschlossene Fischer
Am nächsten Morgen klingelt der Wecker um fünf. Nurljan ist guter Dinge: Die Stille der Nacht verspricht einen guten Fang. Ein paar Minuten später sitzt er mit Arman im UAZ. Die Unebenheiten des ehemaligen Seegrunds fordern die Federung des Fahrzeugs und bestärken die Entschlossenheit der beiden Fischer.
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Mit ihren 60 Jahren lebt Vayan allein mit ihrem Sohn Nurljan. Sobald er zum Fischen rausfährt, kümmert sich Vayan um den Haushalt und hilft ihrer kleinen Tochter bei ihren Hausaufgaben. Dann bereitet sie das Kamelfleisch für das Abendessen vor. Heute Mittag, wie immer nach der Rückkehr vom Fischen, wird ein Teil des Fangs serviert. „Die Männer gehen fischen und die Frauen kümmern sich um die Kamele. So ist das hier“, erklärt Vayan. Sie hofft trotzdem, dass ihre kleine Tochter das Dorf verlassen wird, um an einer Universität zu studieren.
Die Fischer sind teilweise wieder aktiv
Die drei Netze sind eingeholt und die Fische zappeln auf dem Deck. Es ist Zeit zurückzukehren. Das Gesicht von Arman ist angespannt. Der heutige Fang war trotz der idealen Bedingungen nicht gut. Nur zwölf Kilogramm sind in den Netzen, normalerweise sind es um die 50. Die Fangquoten werden im Aralsee, der unter der chronischen Überfischung leidet, kaum eingehalten.
Tastubek hat zu alter Stärke zurückgefunden. Die Fischer können gut von ihrer Arbeit leben und ihre Häuser sind endlich mit Strom versorgt. Aber nicht alle Dörfer teilen dieses Schicksal. Ein Stück weiter weg von den Ufern des Aralsees, bleiben einige Dörfer menschenleer und liegen regelrecht begraben unter dem Sand. Das Hüten und die Aufzucht von Kamelen bleiben die einzigen Auswege aus der täglichen Misere.
Die Katastrophe setzt sich fort
Der Enthusiasmus der Fischer, der sich auch in den Pressemitteilungen der Regierung widerspiegelt, klingt zunächst nach einem Sieg: Der Aralsee ist gerettet. Die Realität allerdings ist etwas komplizierter. Auch wenn sein Verschwinden erst einmal verhindert wurde, nimmt die Katastrophe weiter ihren Lauf.
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Die Nachricht von der wundersamen Rettung führte zu einer höheren Wasserentnahme und Überfischung, begleitet von Bevölkerungszuwachs. Noch schlimmer ist, dass der Anbau von Reis und Baumwolle, der unheimlich viel Wasser verbraucht, in den letzten Jahren zugenommen hat. Und während es dem traditionell kasachischen Teil des Sees wieder besser geht, bleibt der usbekische hoffnungslos ausgetrocknet.
Der Kokaral-Damm indessen, eigentlich ein Hoffnungsträger, wird somit zum Inbegriff der Illusion eines geretteten Aralsees. Ohne konkreter zu werden, wird immer wieder von einem Ausbau des Damms gesprochen, wodurch der See sich wieder bis zum Hafen von Aralsk erstrecken könnte. Die Einwohner der Stadt stehen dem skeptisch gegenüber. Sie haben sich an die absurde Situation gewöhnt, mit einem Hafen ohne Wasser zu leben.
Bilder und Text von Antoine Béguier, Freier Fotograf
Aus dem Französischen von Ludwig Spitaler
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