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„Wenn es an Kompetenz mangelt, ist es einfacher, dies mit Geld zu kompensieren“ – Über Sozialarbeit in Kasachstan

ZENTRALASIEN SOZIAL. Kasachstan braucht Sozialarbeiter:innen. In deren Ausbildung investiert der Staat aber kaum. Im Interview mit Almakz.Info spricht Dinara Esimova, Geschäftsführerin der Nationalen Allianz der Sozialarbeiter über den Arbeitsalltag ihres Berufsstandes, die Ausbildungssituation an kasachstanischen Universitäten sowie den Mangel an Anerkennung.

Aislu Asan Marie Schliesser 

Übersetzt von: Marie Schliesser

Original (30. August 2022)

Schaukelnde Jugendliche (Symbolbild), Photo: eltpics on Visualhunt

ZENTRALASIEN SOZIAL. Kasachstan braucht Sozialarbeiter:innen. In deren Ausbildung investiert der Staat aber kaum. Im Interview mit Almakz.Info spricht Dinara Esimova, Geschäftsführerin der Nationalen Allianz der Sozialarbeiter über den Arbeitsalltag ihres Berufsstandes, die Ausbildungssituation an kasachstanischen Universitäten sowie den Mangel an Anerkennung.

„Zentralasien Sozial“ ist eine Reihe von Artikeln, die im Rahmen des Projekts „Consolidation of CBR structures in Tajikistan, Kyrgyzstan, Uzbekistan and Kazakhstan and further professionalization of social work training using the CBR approach“ entstanden sind. Im Rahmen des vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung finanzierten und von Caritas Deutschland in Tadschikistan durchgeführten Projektes hat Novastan eine journalistische Fortbildung rund um das Thema Soziale Arbeit organisiert.

Der folgende Artikel erschien am 30. August 2022 auf Almakz.Info. Wir übersetzen ihn mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.

In den vergangenen drei Jahren standen für die Ausbildung von Sozialarbeiter:innen an den Universitäten in Kasachstan jährlich 350 Stipendien bereit. Angesichts dessen, dass Expert:innen von den Ministerien eine Anzahl von 4000 Stipendien jährlich einfordern, ist dies wenig. Im Vergleich dazu wurde im Jahr 2019 nicht ein einziges Stipendium für diese Studienrichtung vergeben.

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Während an den Universitäten qualifizierte Sozialarbeiter:innen für die Arbeit mit Menschen in schwierigen Lebenssituationen vorbereitet werden, werden soziale Hilfsleistungen in Kasachstan durch NGOs erbracht. Dabei versteht die Mehrheit der Kasachstaner:innen Sozialarbeiter:innen als Haushaltshilfen. Warum der Beruf der Sozialarbeiter:innen nicht als relevant erachtet wird und wie sich diese Situation ändern könnte, erzählt Dr. Dinara Esimova, Geschäftsführerin der Nationalen Allianz der Sozialarbeiter, im Gespräch.

Dinara, was ist das für ein Beruf, Sozialarbeiter:in?

Dinara Esimova: Wir haben ein Gesetz über spezielle soziale Dienstleistungen. Vor allem Staatsbedienstete und NGOs kennen es, in der Bevölkerung weiß aber kaum jemand davon. Sozialarbeiter:innen sind diejenigen, die die in diesem Gesetz beschriebenen Hilfsleistungen erbringen. Die Bezeichnung „Sozialarbeiter“ war im Jahr 2009 viel im Gespräch, als das Gesetz erschien. Heute kann man sagen, dass der Begriff des Sozialarbeiters und die Definition im Gesetz größtenteils fehlen. Soziale Arbeit wird in anderen Ländern als ein konkreter Beruf verstanden, der sich dem Kampf gegen Armut, der Wohlfahrt, positiven Veränderungen in der Gesellschaft und der Ausweitung der Rechte und Möglichkeiten von Menschen widmet.

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Dem Staat kommt das zugute. Jeder Dollar, der in Soziale Arbeit investiert wird, bringt 25 Dollar ein. Bei uns sind rund 79% aller Sozialarbeiter:innen Haushaltshilfen, die beim Putzen und dem Einkauf von Lebensmitteln unterstützen. Es gibt sie in jeder Stadt, jedem Bezirk oder Dorf. Auf dem Dorf können zu den Aufgaben der Sozialarbeiter:innen auch die Beschaffung von Kohle und Zubereitung von Essen hinzukommen. Ein Großteil der Sozialarbeiter:innen besitzt keine entsprechende Ausbildung. Würde man alle Sozialarbeiter:innen des Gebiets Aqtóbe versammeln und sie fragen, wer von ihnen eine professionelle Ausbildung durchlaufen hat, würden wohl nur wenige die Hand heben. Dennoch gibt es auch unter ihnen einige, die eine vierjährige Ausbildung an der Universität erhalten haben, wir bilden sie in internationalen Kompetenzen aus und sie werden für 70.000 Tenge als „Hol- und Bringdienst“ in der Heimarbeit beschäftigt.

Das bedeutet, die Universitäten bilden Fachleute aus, aber Arbeit gibt es keine?

Der staatliche Arbeitsmarkt ist nicht bereit, Fachleute einzustellen. Deshalb sage ich auch, dass es für den Beruf des Sozialarbeiters einen Auftrag von staatlicher Seite geben sollte. Wir betreiben Lobbyarbeit in dieser Angelegenheit, besonders in den Regionen. Aber diesen Prozess kontrollieren können wir nicht, zumindest erhalten wir als Antwort, dass die Regionen sich selbst im Klaren darüber sind, was sie benötigen. Außerdem wird das Arbeitsministerium nicht in der Lage sein, den Bedarf an Sozialarbeiter:innen zu begründen, da diese in Kasachstan nicht in die Kategorie der strategisch benötigten Berufe fallen. Und alle Stellen für Sozialarbeiter:innen werden mit Menschen ohne Ausbildung besetzt. Dagegen schreiben Arbeitgeber in anderen […] Staaten, wie etwa Aserbaidschan, vor, dass lediglich Personen mit einer entsprechenden beruflichen Qualifikation eingestellt werden.

Aber auch NGOs können doch qualifizierte Mitarbeiter:innen einstellen, oder nicht?

NGOs nehmen staatliche Aufträge an, bei denen in den Bedingungen festgehalten ist, dass es einen qualifizierten Sozialarbeiter geben sollte. Sie können jedoch auch einfach einen entsprechenden Mitarbeiter einstellen und wieder entlassen und selbst diese Aufgabe übernehmen. Das ist nicht professionell. NGO-Mitarbeiter:innen brennen nicht darauf, zur Arbeit zu gehen und eine Ausbildung zu machen, weil für sie sowieso überall grünes Licht gegeben wird. Sie erhalten Fördergelder.

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Aber die Qualität der Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Verwirklichung von Förderprojekten misst niemand. In diesem Bereich gibt es keine Kontrolle. An den Universitäten in Kasachstan gibt es kein einziges reines Soziologieinstitut. Wenn wir 4000 Stipendien fordern, dann ist das die Anzahl an Fachleuten für eine Bevölkerung von 20 Millionen und man muss zusätzlich bedenken, dass die sozialen Umstände in unserem Land nicht die allerbesten sind. Aber wir sind uns auch im Klaren, dass selbst wenn es eine solche Anzahl an Stipendien gibt, es offen ist, ob unsere Institute in der Lage sind, jedes Jahr 4000 fähige Fachleute hervorzubringen.

Das heißt, dass nicht nur NGOs, sondern auch Beamte Kompetenzen eines Sozialarbeiters haben sollten?

Jedes Jahr verlieren bei uns mehr und mehr Familien die Fähigkeiten, selbstständig zu leben. Unterm Strich arbeiten alle nach dem Prinzip „Wir sind für diejenigen verantwortlich, die wir gezähmt haben“ [Anspielung auf ein Zitat aus Der Kleine Prinz, Anm. d. Ü.]. Und dann beschweren sie sich, dass das Arbeitsministerium am meisten finanzielle Mittel erhält und diese für Sozialleistungen ausgegeben werden. Und Schuld daran ist nicht die Familie, sondern die Administration. Die Beamt:innen prüfen die Situation im Land nicht: die Entwicklung, was für Risiken und welche weiteren Möglichkeiten bestehen. Deswegen können sie auch keine richtig qualifizierte Hilfe leisten. Wenn es an Kompetenz mangelt, dann ist es einfacher dies mit Geld und Produkten zu kompensieren.

Was könnte man von den Erfahrungen anderer Länder lernen?

In Usbekistan wurden aus dem Kreis der Sozialarbeiter:innen bereits 12 Supervisor:innen ausgebildet. An der Nationalen Universität in Taschkent wurde bereits ein Institut für Soziale Arbeit eröffnet. Zusätzlich ist vorgesehen, Staatsbedienstete in Kompetenzen aus dem Bereich der Sozialen Arbeit zu schulen. In Kirgistan gibt es seit 2015 ein Sozialamt für Kinderschutz, das dem Ministerium für soziale Sicherung unterstellt ist. Bei uns ist das Komitee zum Schutz von Kinderrechten dem Bildungsministerium zugeordnet und das ist etwas ganz anderes.

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Dazu kommt, dass es in Kirgistan ein Ministerium für Kinderschutz gibt, dessen Spezialist:innen Case Management betreiben, was bei uns nicht geschieht. Vor kurzem haben wir an einer Sommerschule in Deutschland teilgenommen. Allein eine Hochschule in Frankfurt bringt jährlich 2200 Spezialist:innen hervor und im benachbarten Mannheim sind es 600 Sozialarbeiter:innen. Deutschlandweit beläuft sich die Zahl jährlich auf rund 12.000 Sozialarbeiter:innen. Hierfür sind Fakultäten an den Universitäten eingerichtet. In Frankfurt ist die entsprechende Fakultät bereits 40 Jahre alt. Es spielt keine Rolle, über die Erfahrungen welches Landes wir sprechen. Hauptsache, wir reden darüber, was wir können und was nicht. Wir sollten unser eigenes Rezept kreieren hinsichtlich der optimalen Gesetzeslage, damit Sozialarbeiter:innen sich international austauschen können.

Welche Errungenschaften der Sozialen Arbeit motivieren Sie? Wie sind diese bereits für kasachstanische Familien greifbar geworden?

Man kann sagen, dass sich die Praxis der Sozialen Arbeit in unserem Land im Vergleich zur akademischen Disziplin weiterentwickelt hat. Wenn man etwa das Case Management betrachtet, also die soziale Begleitung von Familien, so erhält seit 2017 jede schwangere Frau sowie Familien mit Kindern unter 5 Jahren eine Beratung von einer ambulanten Pflegekraft. Wenn im Zusammenhang mit einer Familie Risiken bekannt sind, dann wird ein spezieller Plan zur sozialen Begleitung ausgearbeitet und die Familie an die Dienste der medizinischen Grundversorgung übergeben.

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Heute ist Case Management nicht nur unter ambulanten Pflegekräften, sondern auch unter Allgemeinmediziner:innen und sogar Oberärzt:innen bekannt, nachdem dafür ein entsprechendes Programm ausgearbeitet und Zuschüsse gewährt wurden. Bei unserer Einschätzung legen wird nicht zugrunde, wie schlecht es in einer Familie läuft oder wodurch ein Mangel entsteht. Wir suchen positive Aspekte, um das Potenzial der Familie weiterzuentwickeln, damit sie langfristig auf eigenen Beinen stehen kann.

Aislu Asan für Almakz.Info

Aus dem Russischen von Marie Schliesser

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