Kaum ein Tag vergeht in Usbekistan ohne Meldungen über tödliche Verkehrsunfälle. Was wie eine unausweichliche Tragödie erscheint, ist in Wahrheit das Resultat tief verwurzelter Probleme: Relativ milde Geldstrafen für Verkehrsverstöße, die Normalisierung regelwidrigen Verhaltens in sozialen Medien und eine mangelhafte Verkehrsinfrastruktur bilden ein gefährliches Geflecht aus Missständen und Untätigkeit.
Ein wesentlicher Grund für das hohe Unfallaufkommen ist die mangelnde Abschreckungskraft der bestehenden Strafen. Die Geldstrafen für Geschwindigkeitsüberschreitungen und gefährliches Fahren haben auf Wohlhabende kaum eine abschreckende Wirkung.
Mangelnde Abschreckung: Wenn Strafen nicht immer wirken
Viele, die sich die “Strafen leisten können”, haben schlicht keine Angst davor, da sie die geringen Beträge ohne weiteres bezahlen können. Die niedrigen Strafen senden die Botschaft, dass Regelverstöße nicht ernsthaft geahndet werden, sondern als ein kalkuliertes Risiko betrachtet werden können – eine erschreckende Haltung, die das Leben Unschuldiger gefährdet.
Ein weiteres Defizit des usbekischen Verkehrssystems ist das Fehlen eines Punktesystems für wiederholte Verkehrsverstöße. Ein solches System, bei dem nach einer bestimmten Anzahl von Verstößen der Führerschein entzogen wird, existiert in vielen Ländern (u.a. auch in Deutschland), in Usbekistan jedoch bisher nicht. Es könnte dazu beitragen, Wiederholungstäter aus dem Verkehr zu ziehen und somit die Straßen sicherer zu machen. Doch solange die rechtlichen Rahmenbedingungen dies nicht zulassen, bleibt auch die Verantwortungslosigkeit vieler Fahrer ungeahndet.
Soziale Medien als Bühne für gefährliche Fahrmanöver
Ein besorgniserregender Trend ist die Darstellung riskanter Fahrmanöver durch Influencer und Prominente, die ihre Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung stolz auf Social-Media-Plattformen präsentieren. So veröffentlichte vor zwei Monaten eine bekannte usbekische Bloggerin ein Video, in dem sie mit hoher Geschwindigkeit Zickzack durch den Verkehr rast. Laut der usbekischen Nachrichtenplattform Gazeta.uz wurde die Bloggerin wegen dieses gefährlichen Verhaltens von den Behörden verhört. Aus dem Selbstbezichtigungsvideo (Link auf Telegram, Anm. d. Red.) der Bloggerin geht keine Reue für ihr Vergehen hervor – sie sprach lediglich von einer „Leidenschaft“, die sie zu ihrem Verhalten getrieben habe. Mit Krokodilstränen entschuldigt sie sich bei ihren Followern, wie es sich in solchen Situationen gehört. Die Strafe: 3,4 Millionen usbekische Sum (rund 240 Euro). Eine Summe, die durch ein bis zwei Instagram-Werbestories abgedeckt werden könnte.
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Als vereinsgetragene, unabhängige Plattform lebt Novastan vom Enthusiasmus seiner ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen – und von eurer Unterstützung!Auch usbekische Stars wie der Popsänger Jahongir Otajonov tragen durch ihr Verhalten zur Verharmlosung von Verkehrsverstößen bei. In einem im Oktober dieses Jahres veröffentlichten Video auf seiner Instagram-Seite beschleunigte Otajonov sein E-Auto mit dem Handy in der Hand auf 195 km/h, obwohl die zulässige Höchstgeschwindigkeit bei 100 km/h liegt. Solche Vorfälle sind keine Einzelfälle, sondern symptomatisch für eine gefährliche Kultur der Regelmissachtung auf den Straßen Usbekistans.
Die beiden Vorfälle sind nur die Spitze des Eisbergs. Das usbekische Segment der sozialen Medien ist voll von zur Schau gestellten Missachtungen der Straßenverkehrsordnung. Für junge Menschen, die ihren Vorbildern in den sozialen Medien folgen, kann dies fatale Folgen haben. Die Behörden stehen hier vor der dringenden Herausforderung, das Verbreiten solcher gefährlichen Inhalte konsequenter zu verfolgen und Verstöße nicht nur mit Geldstrafen, sondern auch mit härteren rechtlichen Konsequenzen zu ahnden.
Verkehrsunfälle in Zahlen: alarmierende Daten
Ein Vergleich der Verkehrsunfallzahlen in Usbekistan und Deutschland offenbart eine dramatische Diskrepanz. Trotz der weit höheren Einwohnerzahl und Anzahl an registrierten Verkehrsunfällen in Deutschland sterben auf den Straßen der Bundesrepublik vergleichsweise weniger Menschen als in Usbekistan.
Im Jahr 2023 wurden in Usbekistan 9839 Verkehrsunfälle registriert, bei denen 2282 Menschen ums Leben kamen. In Deutschland, das mit rund 84 Millionen Einwohnern fast doppelt so viele Einwohner hat wie Usbekistan mit rund 36 Millionen, ereigneten sich im gleichen Zeitraum 2,5 Millionen Verkehrsunfälle, bei denen 2839 Menschen ums Leben kamen. Betrachtet man die Unfallzahlen in Relation zur Bevölkerungsanzahl, ergibt sich ein klares Bild: In Deutschland kamen durchschnittlich etwa 3,4 Menschen pro 100.000 Einwohner bei Verkehrsunfällen ums Leben, in Usbekistan hingegen etwa 6,3 Menschen pro 100.000 Einwohner.
Auch der Anteil tödlicher Unfälle zeigt einen deutlichen Unterschied. Während in Deutschland bei 2,5 Millionen Unfällen 2839 Menschen starben, was etwa 0,11 Prozent der Unfälle betrifft, endeten in Usbekistan 23,2 Prozent aller gemeldeten Unfälle tödlich. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass möglicherweise nicht alle Verkehrsunfälle in Usbekistan registriert werden. Besonders kleinere Unfälle ohne schwerwiegende gesundheitliche oder materielle Schäden werden oft nicht bei den Behörden gemeldet, da sich die Beteiligten häufig vor Ort über Reparaturkosten und andere Details einigen. Nichtsdestotrotz sind die Zahlen katastrophal hoch.
Eine unterfinanzierte und marode Verkehrsinfrastruktur
Neben menschlichem Fehlverhalten spielt auch die marode Verkehrsinfrastruktur in Usbekistan eine große Rolle für die hohe Zahl an tödlichen Verkehrsunfällen. Viele Straßen befinden sich in einem schlechten Zustand, was nicht nur das Risiko von Unfällen erhöht, sondern auch die Möglichkeiten der Fahrer einschränkt, sich sicher zu verhalten. Schlaglöcher, fehlende Fahrbahnmarkierungen und unzureichende Beleuchtung sind häufige Probleme, besonders in ländlichen Regionen, die durch Unterfinanzierung und vernachlässigte Instandhaltung noch verschärft werden.
Das Problem der Unterfinanzierung geht dabei oft mit Korruption einher. Gelder, die eigentlich für die Verbesserung und den Ausbau der Infrastruktur vorgesehen sind, verschwinden häufig in den Taschen korrupter Beamter und Unternehmer. Dies führt dazu, dass notwendige Reparaturen und Modernisierungen auf der Strecke bleiben.
Ein langer Weg zur Verkehrssicherheit
Die Herausforderung, die Straßen Usbekistans sicherer zu machen, erfordert die gemeinsame Anstrengung von Regierung, Gesellschaft und jedem einzelnen Verkehrsteilnehmer. Nur eine Kombination aus härteren Strafen, besseren Straßenbedingungen und einem gestärkten Bewusstsein für die Bedeutung von Verkehrsregeln kann langfristig eine positive Veränderung bewirken. Solange das System jedoch keine ernsten Konsequenzen für Verkehrsverstöße vorsieht und die Infrastruktur in einem desolaten Zustand bleibt, wird die Zahl der Verkehrstoten in Usbekistan wohl weiterhin hoch bleiben.
Makhkam Khamidov, Redakteur für Novastan
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