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Tiktok-Imam und Pater Blogger: Warum sind religiöse Influencer in Kasachstan so beliebt?

Von nun an können Gläubige auch vom Sofa aus den religiösen Werten lauschen, die Pfarrer, Imame und selbstständige Prediger propagieren. Tausende Follower haben die teils untertitelten Sendungen bei TikTok, Youtube, Instagram und Telegram abonniert. Wer sind diese Prediger und über welche Themen sprechen sie?  Der folgende Artikel erschien am 14.02.2023 auf Cabar.

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Übersetzt von: Arthur Siavash Klischat

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Von nun an können Gläubige auch vom Sofa aus den religiösen Werten lauschen, die Pfarrer, Imame und selbstständige Prediger propagieren. Tausende Follower haben die teils untertitelten Sendungen bei TikTok, Youtube, Instagram und Telegram abonniert. Wer sind diese Prediger und über welche Themen sprechen sie?  Der folgende Artikel erschien am 14.02.2023 auf Cabar.

Mit Beginn der Corona-Pandemie fielen in Kasachstan eine Reihe von Massenveranstaltungen aus. Davon wurden auch Kirchen und Moscheen nicht verschont. Infolgedessen suchten sich Gläubige  ihre „spirituelle Kost“ immer öfter im Internet. Die große Nachfrage ließen sich die Prediger nicht entgehen und folgten ihren Schäfchen ins Netz.

Zu den aktiven religiösen Persönlichkeiten im Internet gehören der Chef-Imam der Töle-Bi-Moschee in Almaty, Ersin Amre, der vorsitzende Mufti der Geistlichen Verwaltung der Muslime Kasachstans, Kenjeáli Myrzabaev und der Chef-Imam der Zentralmoschee im Gebiet Aqtóbe, Serikjan Enshibaıuly. Auch Nurlan Baijigituly, im Volksmund „Tiktok-Imam“ genannt, hat eine große Reichweite.

Der Tiktok-Imam

Mehr als 405 000 Abonnenten zählt der TikTok-Imam, sowohl auf Instagram als auch auf Tiktok. Auf seiner Seite beschreibt Nurlan sich als Imam, Religionsführer, Theo- und Psychologe. Er erteilt seinen Followern Ratschläge bei Alltagsproblemen, erläutert die Grundzüge des modernen Islams und bedient sich dabei einer Sprache, die Jung und Alt gleichermaßen zugänglich ist.

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In einem Interview mit dem Youtube-Kanal „Nartau Aralbayuli“ erklärt der Influencer sich seinen Erfolg wie folgt: „Würde ich einfach nur dasitzen und daherpredigen, dass wir alle sterben, hätte ich nicht so ein großes Publikum und schon gar nicht die jüngere Generation anziehen können. Genau deshalb erzähle ich Anekdoten in ihrer Sprache – um Ihnen dadurch den Islam zugänglicher zu machen.“Seine Follower sehen das genauso. „Es ist lehrreich und doch unterhaltsam. So gut verständliche Beispiele wie er finden wenige Imame“, erzählt Tahir, ein junger Tiktok-Nutzer gegenüber Cabar.

Batjuschka-Blogger

Auch Pater Aleksij Gawrilow von der Sankt-Nikolaus-Kirche in der nordkasachischen Kleinstadt Bulajew ist als religiöser Influencer aktiv. Sein Blog Batjuschka-Blogger („Batjutschka“, also Väterchen, ist eine gängige Anrede für orthodoxe Priester – Anm. d. Ü.) zählt 24.000 Abonnenten und wurde bereits mehr als 2,7 Millionen mal angeklickt. „Ich erkläre mir diese steigende Beliebtheit so, dass die Barrieren zwischen Geistlichen und Gläubigen besonders in den sozialen Netzwerken quasi nicht mehr vorhanden sind. Die Geistlichen antworten direkt auf die Fragen der Gläubigen. Das macht seine Gedankenwelt ganz unverzerrt zugänglich und strahlt eine gewisse Aufrichtigkeit aus“, meint Aleksij Gawrilow.

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Gawrilow hält zwar auch Predigten auf Instagram, doch noch mehr Aufmerksamkeit widmet er der Plattform Tiktok. „Das ist das aktuell angesagteste Netzwerk. Alles kann live übertragen werden und das zieht die Leute an“, vermutet der Batjuschka.

Simplizität trifft Erreichbarkeit

Warum die religiösen Blogger so beliebt sind, hat Cabar auch Nurmuhammed Meımanhoja gefragt. Er ist Forscher und Mitarbeiter des Instituts für Philosophie, Politik- und Religionswissenschaften im Forschungskomitee des Ministeriums für Wissenschaften und Hochschulbildung. „In den sozialen Netzwerken sind die Predigten sehr stark auf das Frage-Antwort-Format ausgerichtet. Das Volk interessiert sich für Fragen, die den Haushalt oder persönliche Belange betreffen. Nicht selten ist der Inhalt ganz banal, wie, ob man eine Gitarre im Zimmer aufhängen darf oder einen Kredit aufnehmen sollte. Es geht ihnen um Familie und die Erziehung der Kinder und Jugendlichen“, so Meımanhoja.

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Angesichts der Tatsache, dass immer mehr Prozesse im Internet ablaufen, sei es nicht überraschend, dass auch Geistliche auf Online-Formate umsteigen. „Immer mehr Menschen in unserer Gesellschaft nutzen sozialen Netzwerke. Den Jugendlichen ist nicht mehr nach Büchern und Zeitungen. Über die virtuellen Kanäle werden Informationen einfacher zugänglich, das betrifft auch Religion“, meint Meımanhoja.

Was das Gesetz sagt

In Kasachstan verbietet ein Gesetz die Verbreitung von Informationsmaterial mit religiösem Inhalt außerhalb der Gotteshäuser. Missionierung ist erlaubt, sofern eine vorige Anmeldung als religiöser Verband bei den Justizbehörden stattgefunden hat. Darüber hinaus ist die Missionstätigkeit nur nach einem positiven Gutachten eines religiösen Sachverständigen erlaubt.

Wenn die religiöse Tätigkeit über das Internet, also außerhalb der Kultstätten, ausgeübt wird, so fällt dies unter den Artikel 490 des Strafgesetzbuches. Jedes Material, das religiöse Inhalte enthält, kann de facto bestraft werden. Im Juli 2022 wurde beispielsweise der die Journalistin Rufiıa Mustafina für ein Video-Interview mit dem Hauptimam der Moschee in Petropavl zur Rechenschaft gezogen. Das Interview selbst sollte lediglich über die Traditionen rund um das Islamische Opferfest informieren.

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In diesem Zusammenhang erwähnt Nurmuhammed Meımanhoja, dass es dringend nötig sei, religiöse Prediger im Internet zu kontrollieren und zu zertifizieren. „Die Videos der religiösen Prediger, die unorthodoxen Strömungen angehören, können die Postulate verzerren und ihrer Glaubwürdigkeit schaden. Damit ihre Worte nicht mit den Prinzipien des laizistischen Staates und dem multikonfessionellen Verständnis der Gesellschaft kollidieren, müssen wir eine Zertifizierung für diese Internetprediger einführen“, findet Meimanhoja.

Wiederum andere Experten sehen in dieser Hinsicht keine Dringlichkeit. So äußert sich zum Beispiel Talgat Temirbaev, Dozent am Lehrstuhl für Religionswissenschaften der Ägyptischen Universität für Islamische Kultur „Nur-Mubarak“ in Almaty: „Zum jetzigen Zeitpunkt brauchen wir so etwas nicht. Für Menschen mit kasachstanischer Staatsbürgerschaft oder solchen, die sich auf kasachstanischem Territorium befinden, greift nach wie vor die Gesetzgebung der Republik Kasachstan. Was außerhalb des Landes im Internet passiert, kann man unmöglich kontrollieren.“ 

Cabar

Aus dem Russischen von Arthur Siavash Klischat

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