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Galina Derewentschenkos Engagement für Menschenrechte in Zentralasien

Seit über 20 Jahren setzt sich Galina Derewentschenko für Menschenrechte ein. Ihre Laufbahn begann sie im Bureau of Human Rights and Rule of Law (BHR), heute lebt sie in Kasachstan und widmet sich dort der Forschung und dem Faktencheck im Bereich Menschenrechte. Im Gespräch mit Your.tj sprach sie über ihre Motivation, ihren Werdegang sowie die Bedeutung der regionalen Zusammenarbeit im Bereich der Menschenrechte.

Galina Derewentschenko im Interview über ihr Engagement für Menschenrechte (Symbolbild), Photo: Foto von Markus Spiske auf Unsplash.

Seit über 20 Jahren setzt sich Galina Derewentschenko für Menschenrechte ein. Ihre Laufbahn begann sie im Bureau of Human Rights and Rule of Law (BHR), heute lebt sie in Kasachstan und widmet sich dort der Forschung und dem Faktencheck im Bereich Menschenrechte. Im Gespräch mit Your.tj sprach sie über ihre Motivation, ihren Werdegang sowie die Bedeutung der regionalen Zusammenarbeit im Bereich der Menschenrechte.

„Menschenrechte bedeuten Respekt und Würde.“

Geboren und aufgewachsen in Tadschikistan, absolvierte Galina die Schule Nr. 8 in Duschanbe und begann anschließend ein Jurastudium an der Tadschikischen Nationaluniversität, welches sie im Jahr 2004 mit Auszeichnung abschloss.

Bereits während des Studiums kam sie mit Menschenrechtsthemen in Kontakt. Im vorletzten Jahr nahm sie an einer vom BHR organisierten Sommerschule für Jurastudierende teil, was für sie ein prägendes Erlebnis war.

Nach ihrem Abschluss engagierte sie sich weiter für die Organisation – zunächst als Freiwillige, dann als Ausbilderin und schließlich als Projektkoordinatorin. Später übernahm sie die Leitung des Analysezentrums.

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Parallel dazu unterrichtete sie Zivilrecht an der Universität. Die Arbeit mit den Studierenden gefiel ihr sehr, doch die Doppelbelastung war auf Dauer zu groß. Deshalb konzentrierte sie sich nach einem Jahr ganz auf ihre Tätigkeit im Menschenrechtsbereich.

Besonders die Erfahrungen in der Sommerschule hätten ihren Blick auf viele Dinge grundlegend verändert, sagt sie:

„Ich erinnere mich daran, wie ich begann, viele Themen aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten. Wenn man mit gewissen Realitäten nicht konfrontiert wird, lebt man oft mit Stereotypen. Ich war beispielsweise Befürworterin der Todesstrafe, bis ich erfuhr, wie häufig Fehlurteile vorkommen, wie lang Einzelhaft dauern kann und wie tief das Leid geht, das Menschen ertragen müssen. Und vor allem, was menschliche Würde wirklich bedeutet – unabhängig von Hautfarbe, Geschlecht oder Sprache. Letztlich geht es bei Menschenrechten genau darum: um Respekt und Würde. Diese Erkenntnis war so überwältigend, dass ich wusste: Ich bleibe in diesem Bereich.“

Ein prägender Ort: die Universität Lund

Während ihrer Tätigkeit beim BHR war Galina unter anderem an der Erstellung von Berichten für UN-Ausschüsse beteiligt, analysierte Gesetzgebung und begleitete rechtliche Verfahren in Tadschikistan.

Im Jahr 2005 nahm sie an einem regionalen Menschenrechtsprogramm für Aktivist:innen aus den GUS-Staaten teil, das vom Raoul-Wallenberg-Institut in Lund, Schweden, organisiert wurde. Während dieses einmonatigen Kurses lernte sie die juristische Fakultät und die Menschenrechtsbibliothek der Universität Lund kennen – die umfangreichste, die sie je gesehen hatte.

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Galina erinnert sich: „Ich war begeistert von den hellen Hörsälen und den engen, gepflasterten Straßen der Stadt. Da war für mich klar: Ich will hier unbedingt studieren.“

Dieses Ziel ließ sie nicht los, auch wenn es nicht sofort klappte. Beim ersten Bewerbungsversuch scheiterte sie an der erforderlichen TOEFL-Punktzahl. Beim zweiten Mal landete sie auf der Warteliste. Doch sie gab nicht auf.

„Irgendwann habe ich mich nicht mehr selbst vorbereitet, sondern ein Kursprogramm besucht. Beim dritten Versuch hat es endlich geklappt – ich glaube, ich wurde auch für meine Hartnäckigkeit belohnt. Es war eine große Freude“, erzählt sie.

„In Schweden wird den Menschenrechten große Bedeutung beigemessen.“

Besonders beeindruckt hat Galina Derewentschenko das schwedische Bildungssystem – vor allem der respektvolle Umgang der Lehrkräfte mit den Studierenden: „Niemand wird bloßgestellt oder durch Bestechung unter Druck gesetzt. Man lernt selbstständig statt belehrt zu werden. Es geht um Verantwortung und reifes Verhalten.“

Auch der Umgang mit Individualität habe sie beeindruckt.

„Schüler:innen dürfen sich frei ausdrücken, ohne ständig gesellschaftliche Missverständnisse fürchten zu müssen. Lange oder kurze Haare, Tattoos, Dreadlocks, Piercings – alles ist möglich. Anfangs ist es ungewohnt, wenn man nicht sofort nach dem Äußeren bewertet wird“, erzählt sie.

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Ihr Ziel sei es gewesen, Schweden, seine Werte und die dort lebenden Menschen kennenzulernen.

„Es ist ein beeindruckendes Land, in dem Toleranz und Menschenrechte eine zentrale Rolle spielen. Es leben viele Menschen aus asiatischen und arabischen Ländern dort. Es gibt Sprach-, Kultur- und Beschäftigungsprogramme, und alle werden gleich behandelt“, erzählt sie.

2010 schloss Galina ihr Masterstudium an der Universität Lund mit Auszeichnung ab. Ihre Abschlussarbeit widmete sie dem kostenlosen Rechtshilfesystem, ein Thema, das zu jener Zeit in Tadschikistan noch ganz am Anfang stand.

„Medienkompetenz ist für alle enorm wichtig.“

Nach ihrem Studium widmete sich Galina einer Vielzahl menschenrechtlicher Themen, darunter faire Gerichtsverfahren, Meinungsfreiheit, Schutz vor Folter, die Rechte von Menschen mit Behinderungen, Antidiskriminierung und Kinderrechte.

Sie sagt: „Es war natürlich schön, wenn sich nach unseren Untersuchungen, Berichten oder Rundtischgesprächen Gesetze änderten oder Menschen durch Schulungen ihre Sichtweise überdachten. Nicht bei allen, aber doch bei vielen. Das hat mich inspiriert.“

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Galina lebt seit sechs Jahren in Kasachstan, arbeitet selbstständig und schreibt Artikel zu Themen, die sie bewegen. Seit dem vergangenen Jahr nimmt sie am Programm „Paperlab – Making New Experts“ teil, das sich auf die gezielte Nutzung sozialer Netzwerke und das journalistische Schreiben konzentriert.

„Eine der Aufgaben war, das eigene Profil zu googeln – und ich war überrascht, wie wenig über mich zu finden war. Dabei spielt es keine Rolle, wie gut man als Expertin ist, wenn man online nicht sichtbar ist. Dann scheint es fast, als würde man gar nicht existieren“, erzählt Galina.

Faktencheck und Forschung

Seitdem hat Galina mehrere Artikel veröffentlicht, unter anderem auf der Plattform Factcheck.kz.

„Ich bin fasziniert vom Factchecking. Es ist erstaunlich, wie viel Unwahres wir für wahr halten. Viele Menschen wissen nicht einmal, wie man richtig googelt. Ich habe viele Tools kennengelernt und bin überzeugt: Medienkompetenz ist heute wichtiger denn je. Denn durch Deepfakes und Desinformationen wird die Realität verzerrt. Es ist, als würde man die Welt durch eine schmutzige Brille sehen und glauben, sie sei wirklich so“, erklärt Galina.

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Auch in der Forschung ist Galina weiterhin aktiv. So führte sie im vergangenen Jahr eine Studie über die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen unter den Bedingungen des Klimawandels und in Notfallsituationen in Tadschikistan durch. Darüber hinaus wirkte sie an der Entwicklung gesetzlicher Grundlagen für neue Familienunterstützungszentren in Kasachstan mit. Zuletzt schloss sie eine Untersuchung über die Arbeit psychologischer Beratungsstellen und Schulpsycholog:innen ab.

„Menschenrechtsbildung ist sehr wichtig – aber sie findet in Schulen nicht statt“

Galina Derewentschenko ist überzeugt, dass Bildung eine zentrale Rolle bei der Verbesserung der Menschenrechtslage in Zentralasien spielt: „Heute ist es unglaublich einfach, Informationen zu teilen. Ein regionales Online-Training zu organisieren kostet fast nichts.“

Mit Nachdruck sagt sie:

„Wir brauchen dringend mehr regionale Zusammenarbeit, zum Beispiel in Form von Plattformen für den Austausch von Erfahrungen. Wenn möglich, sollten auch Reisen organisiert werden. Denn man kann etwas hundertmal hören, aber es ist besser, es einmal zu sehen. Menschenrechtsbildung ist entscheidend. Doch in Schulen wird sie nicht unterrichtet. Es gibt keine klassischen Sommerschulen für Menschenrechte mehr. In Kirgistan gibt es allerdings eine tolle Initiative: ‚Pravosaschtschitnyj Chogwarts‘. Dieses neue Format funktioniert hervorragend für junge Menschen. Wir müssen lernen, selbst Fundraising zu betreiben. Die Unterstützung internationaler Organisationen wird nicht ewig andauern. Aber genau das ist eine enorme Ressource, die wir nutzen sollten – und müssen.“

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Galina sagt, Menschen, die sich für Menschenrechte einsetzen, hätten oft einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Auch für sie selbst dient das Engagement als Weg, um ihre Menschlichkeit zu bewahren.

Sie zitiert die russische Aktivistin Nyuta Federmesser, deren Arbeit im Bereich der Palliativpflege sie sehr schätzt.

„Im Grunde genommen ist es eine Illusion, dass wir für andere arbeiten. Wir machen die Arbeit, die uns das Gefühl gibt, gute Menschen zu sein – entsprechend unserer Vorstellung von Anstand, Verantwortung und Hingabe.“ – „Das ist eine Möglichkeit, das Menschliche im Menschen zu bewahren – vor allem in mir selbst. Denn im heutigen Leben ist es sehr leicht, sich zu entmenschlichen.“

Jungen Menschen in Zentralasien, die sich für Menschenrechte engagieren möchten, gibt Galina einen klaren Rat mit auf den Weg: „Glaubt an euch, habt keine Angst und seid offen für Neues.“

Sie erinnert sich an einen Moment zu Beginn ihres eigenen Weges:

„Als ich mich für ein staatlich finanziertes Studium bewarb, sagte man mir: ‚Du hast weder Geld noch Beziehungen – du wirst nicht genommen.‘ Aber ich wurde genommen. Ich habe es geschafft. Und ihr werdet es auch schaffen.“

Somon Komilov für Your.tj

Aus dem Russischen von Usmon Rakhmonov

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