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Die Scheißkerle kommen: Bischkeker Gruppe Vtoroi Ka geht auf Europatour

Von Istanbul bis Reykjavík: Im Oktober und November tourt das avantgardistische Musikduo Vtoroi Ka durch Europa. Es ist die erste Tour dieser Art für eine Musikgruppe aus Kirgistan und ein weiterer Schritt in der aufstrebenden Karriere der Band.

Zwei Personen mit Sonnenbrillen in urbaner Umgebung, vor einem alten, verwitterten Gebäude mit dramatischer Lichtstimmung.
Im Oktober und November auf Tour in Europa: Sultan und Ilija von der Gruppe Vtoroi Ka (Foto: Vtoroi Ka).

Von Istanbul bis Reykjavík: Im Oktober und November tourt das avantgardistische Musikduo Vtoroi Ka durch Europa. Es ist die erste Tour dieser Art für eine Musikgruppe aus Kirgistan und ein weiterer Schritt in der aufstrebenden Karriere der Band.

Wie ganz Zentralasien erlebt auch Kirgistan einen Popmusik-Boom, der mitunter auf die zunehmende Reichweite durch die Anbindung an internationale Streaming-Plattformen zurückzuführen ist. Die heimischen Acts können jedoch nicht an die Erfolge ihres Nachbarlands Kasachstan anknüpfen. Dieses hat sich längst als popkulturelle Größe etabliert – bis hin zur Verleihung eines renommierten Grammy Awards. Zwar finden immer wieder Konzerte kirgistanischer Acts im Ausland statt, doch ihr Publikum bleibt meist auf Mitglieder der zentralasiatischen Diaspora beschränkt.

Das innovative Bischkeker Musikduo Vtoroi Ka begibt sich nun auf eine ambitionierte Europatour, um das zu ändern. Vom 17. Oktober bis zum 12. November ist die Gruppe an 16 Terminen auf Bühnen in elf verschiedenen Ländern zu sehen – von Istanbul über Berlin und Paris bis Reykjavík. Es ist die erste Tour dieser Art für eine aktuelle Musikgruppe aus Kirgistan und ein Durchbruch für die dortige Musikszene. Für Vtoroi Ka hingegen ist es der logische nächste Schritt in ihrer aufstrebenden Karriere.

Diese Meinung vertreten auch die Organisatoren des „Iceland Airwaves“-Festival in Reykjavík, bei dem Vtoroi Ka am 7. November auftreten wird. In der Vorstellung der Gruppe auf der Festivalseite zeigen sie ihre große Überzeugung von deren weiterer Laufbahn: „Bei der aktuellen Dynamik wird es nicht lange dauern, bis der Name Vtoroi Ka deinem coolsten Freund ständig auf der Zunge liegt.“

Wie Bakai Koltschajew, Bandmanager der Gruppe und Direktor von Infinity Music, dem führenden Musikvertrieb in Bischkek, erklärt, lag angesichts der wachsenden internationalen Fanbase die Idee einer Europatournee schon länger in der Luft. „Wir haben die Indikatoren in verschiedenen europäischen und anderen Ländern aufmerksam beobachtet – die Zahlen zeigen, dass es ein großes Interesse gibt“, so Bakai auf Anfrage von Novastan. Besonders oft werde die Gruppe in Ländern wie Deutschland, Frankreich, Polen und Spanien gestreamt.

Hip-Hop im Bischkeker Süden

Vtoroi Ka wurde Mitte der 2010er Jahre von Sultan und Ilija im Bezirk Asanbaj im Süden von Bischkek gegründet. Die beiden Schulfreunde hatten sich bereits mehr als zehn Jahre zuvor in der zweiten Klasse kennengelernt – der Bandname bezieht sich auf die Bezeichnung dieser Klasse, „2K“. Sie begannen, im Homestudio zu selbstgebauten Beats Undergroundrap zu schreiben und ihre Musik teils zu selbst gedrehten Musikvideos auf YouTube und lokalen Plattformen zu veröffentlichen.

So entstand 2017 ihre erste EP „Iz Okna“ („Aus dem Fenster“), die sie später von den Streamingplattformen löschten, da sie mit der Qualität nicht mehr zufrieden waren. Die gleichnamige Single mit Musikvideo ist jedoch noch auf YouTube zu finden und gibt einen Einblick in die frühen Arbeiten der Gruppe.

Anfang 2020 – zu diesem Zeitpunkt überlegten sie bereits, das Duo wieder aufzulösen – gelang ihnen mit der Single „Reznitsam stalo tjaschelo“ („Die Augenlider sind schwer geworden“) der erste lokale Durchbruch. Ein halbes Jahr später folgte ihr erstes „offizielles“ Release, das Album „Den‘ Zawisimosti“ („Tag der Abhängigkeit“). Es ist ein musikalisch reichhaltiges Hip-Hop-Album, das sich vor allem um die heimische „Hood“, den Mikrobezirk Asanbaj, dreht.

Lest auch bei Novastan: Plattenbauromantik und Retrosound: „Serial“ des Bischkeker Duos Wtoroj Ka

Während sie in der lokalen Hip-Hop-Szene gefeiert wurden, schrieben Sultan und Ilija allerdings schon längst ganz andere Musik. Ihr zweites Album „Serial“, das 2022 erschien, enthält zwar immer noch einige gerappte Stücke, allen voran die Single „39 Schkola“ („39. Schule“), die einer ihrerzeit in Straßenschlachten gefürchteten Bischkeker Schule gewidmet ist. Doch ist das Album mit seiner Szenerie rund um das intensive Leben in den Teenagerjahren bereits stark von musikalischem Eklektizismus geprägt. Auch Fans vom Pop-Rock der Nullerjahre kommen hier auf ihre Kosten.

Immer auf Achse

Im Juli 2022 gelang mit der Single „Teni ot Palm“ („Palmenschatten“) der nächste Durchbruch. Der Track mit seiner eingängigen Basslinie wurde zum auch weit außerhalb Kirgistans beachteten Sommerhit. Bis heute ist es das meistgehörte Stück von Vtoroi Ka. Im dazugehörigen Musikvideo waren Sultan und Ilija erstmals in den skurril altmodischen Gangsterrollen zu sehen, die sie in den folgenden Jahren weiterentwickeln würden.

So auch in dem Anfang 2023 erschienenen Stück „Wstretschajte Govnjukow“ („Die Scheißkerle kommen“) mit seinem im Retro-Stil gehaltenen Musikvideo. Darin inszenieren sich die beiden als Unruhestifter, die mit einer „ganzen Truppe“ und ihrer „Live-Liveband“ in deine Stadt kommen.

‚Immer auf Achse‘ ist fortan das Motto, sowohl für Vtoroi Ka als auch für ihre künstlerischen Gangsterfiguren. Mal treten sie als unerreichbare Fliehende auf, wie in der Single „Gde to za granitsej“ („Irgendwo im Ausland“), mal als Hustler, stets auf der Suche nach dem nächsten Coup, wie in dem Ende 2023 erschienenen „Tonirovannyi Kaban“ („Getönter Benz“), in dem die beiden mit ihrem Geschäftspartner „real bayke“ (gespielt von Bakai) losziehen, um Sankt Petersburg zu erobern. Auch für die Gruppe selbst begann damit das Reisen: Teile dieser Videos wurden im Rahmen ihrer ersten Konzerte in Russland gedreht.

Tatsächlich waren Vtoroi Ka damals längst auf dem Radar führender russischer Musikkritiker. Das führende Hip-Hop-Magazin The Flow berichtete im Juli 2022 erstmals über die beiden „Newcomer“. Journalisten wie Nikolaj Red’kin und Danya „Pornorap“ äußerten in ihren öffentlichen Kanälen ihre Begeisterung für die „unheimlich stylischen Scheißkerle“, die die „besten Musikvideos des vergangenen Jahres [2023]“ produziert hatten.

Post-Punk und Rave

Mit dem im April 2024 erschienen Album „Swinaja Poputka“ (eine wörtliche Übersetzung von „Piggy Ride“, also „Huckepack“) gelang Vtoroi Ka der endgültige Durchbruch im russischsprachigen Raum. Mit ihren vom Postpunk inspirierten, aber durchweg bunten und ironischen Tracks trafen sie offensichtlich einen Nerv. Neben mehreren weiteren Best-ofs schaffte es das Album auf den ersten Platz des Top-50-Jahresrankings von The Flow.

Doch auch vom Erfolg lässt sich die Gruppe nicht einfangen. Mit dem Release des Albums kündigte sie in den sozialen Medien das Ende ihrer Postpunk-Phase an. Die im März 2025 erschienenen „GO PUBE EP“ bewegt sich in der Tat eher in Richtung elektronischer Rave-Musik. Auch ihre visuelle Ästhetik entfernt sich von der Welt der Lederjacken tragenden Gangstern und dreht sich stattdessen um eine psychedelisch-fantasievolle Neuinterpretation kirgisischer Alltagmotive.

Solche Elemente finden sich bereits in früheren Musikvideos wie „Dura“ („Dümmchen“) und auch in den Videos zu „Soundcheck“ und ihrer jüngsten Single „Minimum iz sta“ („Minimum aus Hundert“). Das musikalisch und visuell an die frühen Nullerjahre appellierende Stück dient auch als Ankündigung für das für 2026 geplante Album „Swobodnye Dwischenija“ („Freie Bewegungen“).

Kirgisischer Karneval

Diese Neuorientierungen gehen auch mit einer geografischen Expansion einher. Nach einer Minitournee durch Russland im Mai 2025 besuchten Vtoroi Ka im August mehrere Festivals in China und kommen nun mit ihrer ganzen Truppe und ihrer „Live Liveband“ zu uns.

Bei all dem musikalischen Wandel fällt es auch der Berliner Booking-Agentur More Zvukov, die den Großteil der Tour organisiert, schwer, die „innovative“ Gruppe einem Genre zuzuordnen. Im Werbetext heißt es, sie sei „bekannt für ihre einzigartige Mischung aus elektronischen, alternativen und Indie-Sounds. Vtoroi Ka verbindet experimentelle Beats mit gefühlvollen Texten und schafft so Musik, die Genregrenzen überwindet und bei Zuhörern unterschiedlicher Kulturkreise Anklang findet.“

„Psychedelisch-fantasievolle Neuinterpretation kirgisischer Alltagsmotive“, Screenshots aus dem Musikvideo zu „Soundcheck“ (Julija Petrowa, 2025)

Dennoch gibt es einige Konstanten, die der Gruppe über die Jahre eine klare Signatur verschaffen – ob zu rohen Trap-Beats, melancholischen Basslinien oder fettem Elektro. Da sind zum einen der Spaß und die Selbstironie, mit der sie sich und ihre Umgebung darstellen, ohne dabei jedoch in Klamauk zu verfallen. Die Verbindung von schrägen Motiven und künstlerischer Präzision hat manchmal etwas sehr Karnevaleskes (bezeichnenderweise ist Vtoroi Ka auch am 11.11. in Bonn zu sehen).

Lest auch bei Novastan: „Einen Sound für Bischkek erschaffen“ – „Den‘ Zawisimosti“ vom Bischkeker Musikerduo Wtoroj Ka

Zweitens sind die musikalischen Weltenbummler ihrer Heimatstadt Bischkek immer verbunden geblieben. Von Anfang an war es ihre Ambition, einen Bischkeker Sound zu schaffen. So ist das Russisch, in dem ihre Texte verfasst sind, ein weitgehend kirgistanisches Russisch, voller Begriffe, die den Journalisten, der sie für The Flow interviewte, zu mehreren Rückfragen zwangen. Auch in ihrer visuellen Sprache sind die beiden eifrige Vertreter Kirgistans und schaffen dabei eine ganz eigene Bilderwelt voller spielerischer Details, die sich von den touristischen Klischees abhebt.

Ein Teil dieser Bilderwelt ist sicherlich der Verdienst der Art-Direktorin Julija Petrowa, die Vtoroi Ka seit 2021 begleitet. Sie hat auch die Regie der meisten neueren Videos der Gruppe geführt. Generell hat sich das Team um die musikalischen Allrounder Sultan und Ilija, die ihre Musik und Texte stets selbst schreiben, aufnehmen und mischen, mittlerweile deutlich erweitert.

Volle Säle und Energie

Ihre Liveband, die auch in den verschiedenen Live-Videos, wie dieser Neuinterpretation ihres Hits „Teni ot Palm“ zu sehen ist, zählt einen Schlagzeuger, einen Gitarrenspieler und einen Soundingenieur. Hinzu kommen eine Kommunikationsbeauftragte und Bakai, der als Manager alles Organisatorische übernimmt, „damit sich die Musiker voll auf ihre Kunst konzentrieren können.“

„Vtoroi Ka ist ein großes Team, das sorgfältig an Musik und Image arbeitet“, fasst Bakai zusammen. Der wachsende Erfolg, der sich in Dutzend- und teils Hunderttausenden Hörerinnen und Hörern in verschiedenen Ecken der Welt manifestiert, ist ihm zufolge nur „folgerichtig, denn die ganze Arbeit geschieht ehrlich, tiefgründig und auf hohem Niveau.“

Während der Tour, so Bakai weiter, hoffe er auf „volle Säle und wahre Energie“. In dieser Hinsicht bahnen sich die Etappen der kommenden Tour in Deutschland vielversprechend an: Eines der beiden Berliner Konzerte und das Konzert in Hamburg waren schon Wochen vor dem Start ausgebucht.

Hier geht es zu der Liste der Tourdaten von Vtoroi Ka. Mitunter treten sie auf: am 24. Oktober in Wien, am 28. und 29. Oktober in Berlin, am 30. Oktober in Hamburg, am 1. November in Heidelberg und am 11. November in Bonn.

Florian Coppenrath für Novastan.org

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Kommentieren (1)

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Daniel, 2025-10-15

Kommt auf das Konzert in Bonn !

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